Zwischen Orient und Okzident

In Jordanien auf den Spuren Jahrtausende alter Kulturen

von Daniel Schwitzer
Zwischen Orient und Okzident

In Jordanien auf den Spuren Jahrtausende alter Kulturen: Der Wuppertaler Theologe Prof. Dieter Vieweger betreibt biblische Archäologie
 
 
 
Der Wuppertaler Archäologe Prof. Dr. Dieter Vieweger gräbt im Nahen Osten versunkene Städte aus und rekonstruiert, wie die Menschen dort vor Tausenden von Jahren gelebt haben. Prof. Vieweger wird häufig der Bergischen Universität zugeordnet, aber das stimmt nicht ganz. Tatsächlich gehört er der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel an, mit der die Bergische Uni durch einen Kooperationsvertrag eng verbunden ist. Aber vor allem: Prof. Viewegers Biblisch-Archäologisches Institut ist ein An-Institut der Bergischen Universität und in deren Räumen auf dem Campus Freudenberg untergebracht. Der in Tel Aviv lebende deutsche Journalist Daniel Schwitzer begleitete ihn auf einer seiner Expeditionen.

Tall Zira’a im Königreich Jordanien. Halb elf ist es an diesem Vormittag, das Thermometer zeigt 40 Grad im Schatten. Aber es gibt keinen Schatten, hier am Rande der Wüste, 17 Meter unter dem

Prof. Dr. Dieter Vieweger ...                 Foto © Daniel Schwitzer
Meeresspiegel. Die Sonne brennt brutal auf das Forscherteam aus Deutschland, das mit Schaufel, Hacke und Kelle mühselig den Boden bearbeitet. Vom benachbarten Städtchen Umm Qais aus wirken die Wissenschaftler klein wie Ameisen, fleißig und doch ein wenig verloren.
Nahaufnahme. Dieter Vieweger scheint die Hitze nichts auszumachen, obwohl er schon seit Stunden ohne Pause ackert. Gerade kniet der Wuppertaler Archäologe, auf dem Kopf den markanten breitkrempigen Hut, oberhalb von Areal I im Staub und beugt sich über eine am Boden ausgebreitete Karte. Areal I ist eine viereinhalb Meter tiefe und über 1.000 Quadratmeter große Grube am westlichen Rand der Ausgrabungsfläche, die Vieweger und seine Kollegen in den vergangenen Wochen in schweißtreibender Arbeit ausgehoben haben. Zum Vorschein kamen die Fundamente einer Stadt aus der späten Bronzezeit (1. Jahrtausend v. Chr.), mehrere einfache Hofhäuser mit Brotbackofen, ein mit Säulen ausgestatteter Tempel inklusive Heiligtum und Götterfigur; nebenan ein mächtiger Wachturm, von dem aus damals die ganze Stadt überblickt werden konnte, rundherum kasemattenartige Mauern zum Schutz vor Angreifern. Zudem entdeckten die Wissenschaftler die Überreste zweier besonders großer Gebäude.

Eines davon, vermutet Vieweger, könnte ein Palast gewesen sein: „Wir haben die Fundamente eines Treppenhauses ausgegraben. Mehrstöckig waren damals nur monumentale Bauten“. Schmuckfunde wie Skarabäen, Glasperlen und ein kunstvoll gefertigtes Silberamulett sowie eine Vielzahl von Rollsiegeln („Diplomatenpässe“ des Altertums) nährten diese These.
Wir befinden uns im äußersten Nordwesten Jordaniens, GPS-Koordinaten 32°37’ Nord und 35°39’ Ost. Weiter westlich sieht man Israel am Horizont, nach oben hin ist es nur ein Steinwurf bis zur syrischen Grenze. Hier, mitten im Wadi el-’Arab, hat Prof. Vieweger vor zehn Jahren den Tall Zira’a entdeckt. „Tall“ ist Arabisch und bedeutet Hügel. Nur ist Viewegers Tall kein natürlicher Berg, sondern einer, der im Laufe der Jahrtausende durch Besiedlung gewachsen ist – Schicht auf Schicht, Stadt auf Stadt. Archäologen nennen das auch „Kulturschutthügel“. Prof. Vieweger: „Die Menschen hatten perfekte Bedingungen. Es gab reichlich Wasser und fruchtbare Felder. Entlang des Talls verlief eine der großen Handelsstraßen.“

Vieweger vermutet auf seinem Hügel mindestens 20 unterschiedliche Kulturschichten, von der islamischen Zeit ganz oben bis ins fünfte Jahrtausend vor Christus ganz unten. „Das ist ein

... und seine Mitstreiter.                                         Foto © Daniel Schwitzer
Forschungsprojekt für die nächsten hundert Jahre“, sagt der Professor, der zwischen Jerusalem, Jordaniens Hauptstadt Amman und dem Tall Zira’a pendelt. Ein Team aus Fachleuten, Studenten und Volontären aus Deutschland sowie einheimische Arbeitskräfte unterstützen ihn bei den Grabungen. Die beginnen um fünf Uhr früh, wenn die Temperaturen noch körperliche Arbeit zulassen, und dauern bis zum Nachmittag. Den Rest des Tages nutzen die Archäologen, um den Computer mit den neuesten Grabungsdaten zu füttern, die gefundenen Scherben vom Staub der Jahrtausende zu befreien und das Werkzeug für den nächsten Tag in Schuss zu bringen – ein Kräfte raubendes Programm. Nach dem Abendessen geht in den meisten Räumen ziemlich schnell das Licht aus.

Ist die Grabungs-Saison vorbei, kehrt Prof. Vieweger nach Wuppertal zurück, wo er an der Kirchlichen Hochschule Evangelische Theologie unterrichtet. Gleichzeitig sieht er am Biblisch-Archäologischen Institut nach dem Rechten, das er seit Gründung 1999 als Direktor leitet. „Dort gehen wir ganz unkonventionell an die Archäologie heran, suchen zum Beispiel nach Schnittstellen zwischen uns und den Naturwissenschaften. Oder wir rekonstruieren am PC mit modernster Software Gebäude, deren Fundamente wir in Jordanien ausgegraben haben.“ Anfangs war das Institut ein Ein-Mann-Betrieb, heute arbeiten dort um die 30 Enthusiasten, teilweise ehrenamtlich.
Die Uni Wuppertal stellte den Archäologen moderne Räume auf dem Campus Freudenberg zur Verfügung. „Außerdem haben wir einen Freundeskreis, auf dessen finanzielle Unterstützung wir zählen können“, sagt Prof. Vieweger. Bis 2003 war das Biblisch-Archäologische Institut alleinverantwortlich für die Grabungen am Tall Zira’a. Inzwischen ist auch das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft, eine Forschungseinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Sitz in Amman und Jerusalem, beteiligt.

Mit dem Tall Zira’a hat Prof. Vieweger das Projekt gefunden, das ihn bis ans Ende seines Berufslebens begleiten wird. Andere Wünsche gibt es für ihn nicht mehr. „Archäologe zu sein, heißt nicht, Spinner zu sein! Wir wollen herausfinden, wie die Menschen in einer bestimmten Zeit gelebt haben, und nicht irgendeinem Schatz hinterherjagen.“ In diesem Moment erinnert nur Prof. Dr. Dieter Viewegers breitkrempiger Hut an Indiana Jones. Daniel Schwitzer

Kontakt:
Daniel Schwitzer
Freier Journalist, Jerusalem