Musikstunde

Von den oft mißachteten, häufig schlecht behandelten, doch unersetzlichen Korrepetitoren

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde

Der Korrepetitor
 

Tja und dann hatten wir – wieder mal – da und dort einen Opernorchesterstreik. Diesmal aber wurde ihm so begegnet, daß ich beinahe geneigt bin, von einer neuen musikalischen Ära zu sprechen, deren Geburt wir im Moment erleben. Während also der Bühnenverein und die Orchestervereinigung in Krisengesprächen und Kolophonium-Gipfeln zusammensitzen – wissen Sie übrigens, daß es ein neues Kolophonium speziell für Bratsche gibt? – Hartz 5! – werfen wir einen Blick auf das streikgebeutelte Publikum.
 
Überall fielen Opernvorstellungen aus, aus Leipzig, Dortmund, dem braven Münster, Duisburg etc. etc. hagelte es Horrormeldungen. Daneben aber gibt es pfiffige Menschen, die originelle Ideen haben und die den Aufführungen auf die Sprünge helfen und das hat mit den Korrepetitoren zu tun. Was für ein Beruf, meine Damen du Herren. Ohne ihn gäbe es überhaupt keine Opernaufführungen. In der ganzen Welt ist der Korrepetitor derjenige, der den Sängerinnen und Sängern die Opernarien Ton für Ton in die Ohren und die Gurgel träufelt. Er simuliert das Orchester, wenn der Chor probt, er singt die anderen Partien, wenn er der Diva eine Rolle einbläut, er hämmert die richtigen Einsätze, wenn der Kinderchor wieder mal daneben haut, er hört zu, wenn ihm der Star des Längsten und des Breitesten berichtet, daß seine Frau wieder das Fenster auf Kippe gestellt hat und er deshalb heute Probleme mit dem Gis habe, er weiß, was die Stars nicht essen sollten aber dennoch tun und wie verheerend sich die Vorliebe für Bohnengerichte beim Buffo Baß auf den zierlichen und hochsensiblen lyrischen Sopran auswirken und er hat für alles eine Tablette, einen Balsam, ein Rezept bereit, auch gegen Mundgeruch bei Otello. Ohne Korrepetitor gäbe es keine Oper, nirgends. Ohne Korrepetitor gäbe es kein Ballett – das ist übrigens die härteste Art von Korrepetitions-Arbeit: Ballett. Da kommt es nicht auf die musikalische Seite an, da kommt es auf den Rhythmus an. Der Ballett-Repetitor braucht nicht zwei Hände mit Pianistenfingern, der braucht zwei Dampframmen, mit denen er das „une – deux – trois – quatre“ auf die Tasten hämmert, daß es nur so staubt. Alles das muß er können, der Korrepetitor, außerdem muß er vom Blatt spielen können, er muß in einer Partitur die Stimme der Piccoloflöte (ganz oben) gleichzeitig mit der vom Kontrabaß lesen können (gerne ganz unten), er muß das alles so runterspielen können, als hätte er nie etwas anderes gemacht und das bis hin zu den großen szenischen Proben.
 
Und was hat er davon? Ein dunkles Zimmer im Keller des Opernhauses, aus dem er auch noch ständig rausgeworfen wird, weil auch noch andere da rein müssen. Er ist zwar von allen geschätzt, aber nur heimlich. Keine Sängerin, kein Sänger würde jemals zugeben, daß die grandiose Gestaltung einer Partie zu 8o % dem guten Korrepetitor zu verdanken ist, nein, das alles ist natürlich allein und ausschließlich das Verdienst des Sängers. Es hat so was von einem Sexualberater: wer gäbe schon gerne zu, dass das besonders schöne Vorspiel sozusagen eine Choreographie des Sex-Therapeuten ist. Das ist der Korrepetitor: er muß einer sein, der unter vier Augen Therapeut und Diktator ist, der gleichzeitig Sado und Maso sein kann und der immer eines sein muß: ein verteufelt guter Musiker. Nun aber schlägt die Stunde des Korrepetitors: Die Oper in Frankfurt ist dem Orchesterstreik folgendermaßen begegnet: man spielte Verdis „I masnadieri“ mit zwei Korrepetitoren am Flügel. Sie sollen großartig gewesen sein. Dafür schon mal einen Extra-Bembel nach Frankfurt. Und noch eine Idee kreativer ging der Dirigent Kazushi Ono in Paris vor: Es sollten die „Bassariden“ von Henze aufgeführt werden, das Orchester aber war im Streik. Also ersetzte er es durch drei Konzertflügel (an dem die Korrepetitoren saßen) und einem Spezialensemble für den Bläsersatz. Es war – so sind sich alle Kritiker einig – ein hinreißender Abend. Ein Hoch den Korrepetitoren, sie sind die Retter der Opernhäuser! Und, ich meine: daß eine Oper mal so klingt, als würde man sie zu Hause so für sich spielen, das aber mit den ganz großen Stimmen: also mehr Karaoke, quasi, geht nicht mehr. Freuen wir uns auf diese neue Zukunft der Oper! Viel Spaß dabei und überhaupt!
 
Ihr Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker