Pallas Athene von Arno Breker
und Eulensicht von Azra Akšamija
vor dem
Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium
„Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann,
ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“
George Santayana
Seit dieser Woche steht Arno Brekers „Pallas Athene“, ergänzt durch eine neue Arbeit der Künstlerin und Architekturhistorikerin Azra Akšamija, wieder vor dem Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal. Azra Akšamijas Skulptur „Eulensicht“ entstand im Rahmen des Wettbewerbs für eine künstlerische Kommentierung der „Pallas Athene“ von Arno Breker. Der Umgang mit der „Pallas Athene“ war aufgrund von Brekers Rolle als einer der prominentesten und einflussreichsten Künstler im Nationalsozialismus viele Jahre umstritten. In einer Podiumsdiskussion hatte die damalige NRW-Kultusministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen 2019 die Kommentierung durch ein zeitgenössisches Kunstwerk vorgeschlagen. Mit maßgeblicher Unterstützung des Ministeriums konnte die Stadt Wuppertal 2023 den Wettbewerb ausloben, der nun seinen Abschluß findet.
Mit ihrem Werk „Eulensicht“ lädt die Künstlerin Azra Akšamija die Betrachtenden zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der „Pallas Athene“ und ihres Schöpfers ein. Die interaktive Skulptur, die ähnlich wie ein münzbetriebenes Fernrohr funktioniert, ermöglicht einen neuen Blick auf Brekers Werk und die ideologische Indienstnahme des Motivs der „Pallas Athene“ durch den Nationalsozialismus. Denn wer durch das „Fernglas“ in Form eines stilisierten Eulenkopfes schaut, sieht Brekers Statue gerahmt von der Kontur eines „Pallas Athene“-Kopfes im strengen Profil. Akšamija zitiert damit die nationalsozialistische Interpretation der Figur aus der antiken Mythologie, wie sie besonders prominent auf dem Umschlag des Katalogs zur „Großen Deutschen Kunstausstellung“ 1937 erscheint.
Bei Nacht erschließt sich eine weitere Dimension der „Eulensicht“. Ein aus einem Auge der Eule projizierter Lichtstrahl beleuchtet Brekers „Pallas Athene“ und wirft den Schatten der Figur an die Schulfassade. Durch die Beleuchtung wird auch ein Zitat von George Santayana sichtbar: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Die überlegende Nachtsicht der „Eule“ erkennt somit Gefahren, die der Mensch im Dunkeln nicht wahrnimmt.
Azra Akšamijas „Eulensicht“ ergänzt die „Pallas Athene“ vor dem Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium nicht nur in dem Sinne, daß sie ihr eine neue, kritische Lesart hinzufügt.
Sie stattet die Figur darüber hinaus mit einem Attribut aus, das Breker ihr vorenthalten hatte, obwohl es fest zur klassischen Darstellungstradition gehört: der Eule, Symbol der Weisheit.
Die feierliche Einweihung findet 28. Januar 2026 um 13 Uhr statt.
Zur Künstlerin Azra Akšamija:
Azra Akšamija ist eine Künstlerin und Architekturhistorikerin. Sie wurde 1976 in Sarajevo (Bosnien und Herzegowina) geboren und lebt und arbeitet in Boston/Mass. (USA) und Graz (Österreich). Akšamija ist ordentliche Professorin am Fachbereich Architektur des Massachusetts Institute of Technology und leitet dort das Programm für Kunst, Kultur und Technologie sowie das Future Heritage Lab. In ihrer künstlerischen Praxis und akademischen Forschung untersucht sie, wie soziales Leben durch kulturelle Voreingenommenheit sowie die Zerstörung kultureller Infrastrukturen im Kontext von Konflikt, Migration und Vertreibung beeinflußt wird.
Das künstlerische Schaffen von Azra Akšamija wurde international von zahlreichen renommierten Institutionen gewürdigt, zuletzt im Kunsthaus Graz, im Aga Khan Museum Toronto, in der Kästner Gesellschaft Hannover und auf der Architektur-Biennale Venedig 2021. Ferner zeigte sie ihre Arbeiten u.a. in der Wiener Secession, auf der Biennale in Venedig, und auf der Manifesta 7, und in Museen für zeitgenössische Kunst in Zagreb, Belgrad und Ljubljana, im Sculpture Center und im Queens Museum of Art in New York, in der Royal Academy of Arts in London, im Jüdischen Museum Berlin. Sie nahm teil an Biennalen in Mailand, Istanbul, Eindhoven und Amman.
Azra Akšamija hat zwei Master-Abschlüsse in Architektur von der TU Graz (2001) und der Princeton University (2004) erworben sowie einen Ph.D. in Theorie und Kritik der Kunst und Architektur vom MIT (2011). 2013 erhielt sie den Aga Khan Preis für Architektur für ihr Design des Gebetsraums im Islamischen Friedhof Altach, Österreich, 2018 den Kunstpreis der Stadt Graz und 2020 ein Ehrendoktorat des Montserrat College of Art, Beverly/Mass. Sie ist Autorin von „Mosque Manifesto: Propositions for Spaces of Coexistence“ (Revolver Verlag, 2015) und „Museum Solidarity Lobby“ (Revolver Verlag, 2019). Als Herausgeberin verantwortete sie: „Architecture of Coexistence: Building Pluralism“ (ArchiTangle, 2020) und „Design to Live: Everyday Inventions from a Refugee Camp“ (MIT Press, 2021, gemeinsam mit R. Majzoub und M. Philippou herausgegeben).
Zur Entstehung des Wettbewerbs:
Seitdem im Jahr 2003 die von Arno Breker geschaffene Skulptur der „Pallas Athene“ vor dem Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal-Elberfeld aus Protest von ihrem Sockel gestoßen wurde, wurde immer wieder über ihren Verbleib am Standort diskutiert.
Im Dezember 2019 gipfelte die Auseinandersetzung in einer öffentlichen Podiumsdiskussion über die Frage: „Soll ein Breker vor einer Schule stehen?“ An der Diskussion nahmen teil: Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kunst und Wissenschaft, Brigitte Franzen, ehemalige Vorstandsvorsitzende der Irene und Peter Ludwig-Stiftung, Dr. Felix Krämer, Direktor des Museums Kunstpalast, Matthias Nocke, Kulturdezernent der Stadt Wuppertal, sowie der Geschichtslehrer Martin Schulte und zwei Schülerinnen des Gymnasiums. Die Skulptur abzureißen, wurde von der Mehrheit abgelehnt und ist aus denkmalschutzrechtlicher Sicht nicht erwünscht. Stattdessen wurde beschlossen, einen Wettbewerb für eine künstlerische Kommentierung aus zeitgenössischer Sicht auszuschreiben.
Zum historischen Hintergrund von Arno Brekers „Pallas Athene“:
1954 beriet die Kunstkommission der Stadt Wuppertal über ein Kunstwerk für den Neubau des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums und lud daraufhin drei Künstler zu einem beschränkten Wettbewerb ein: Hans Rompel (Düsseldorf), Fritz Bernuth (Oberammergau) und Arno Breker (Düsseldorf).
Breker (Wuppertal-Elberfeld 1900 - 1991 Düsseldorf) war als typischer Vertreter des heroisierenden Neoklassizismus in exponierter Weise mit dem nationalsozialistischen Regime verbunden: als Staatsbildhauer, „Gottbegnadeter“ und Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers war er einer der wichtigsten und stilbildenden Vertreter der nationalsozialistischen Ideologie und Kunstauffassung. So schuf er u.a. Monumentalskulpturen für das Olympiastadion 1936 und die Neue Reichskanzlei 1938.
Die großen NS-Städtebauprojekte, für die Breker die Bauplastik lieferte, wurden Ende 1939 kriegsbedingt eingestellt. Seine kontextlos gewordenen Bauplastiken wurden jedoch durch weiterhin Fotografie und Film als kanonisch verbreitet. Vor allem durch seine Präsenz in der Massenpresse erfüllte Brekers Werk die propagandistische Funktion, für die sein Name bis heute steht.
Warum fiel die Wahl 1954 auf Breker? Sein Name stand damals wie heute für künstlerischen Opportunismus und ideologische Instrumentalisierung der Kunst. Sein Bruder Hans, der ebenfalls in der NS-Zeit künstlerisch aktiv war, benannte sich in „van Breek“ um, als ihm 1948 die Hochschule für Architektur und Kunst in Weimar eine Professur anbot – unter der Bedingung, daß er seinen Namen ändere. Der Architekt Friedrich Hetzelt, ab 1953 Beigeordneter in Wuppertal, hatte unter anderem das neue Stadtbad (Schwimmoper) entworfen und war ständiges Mitglied der Kunstkommission. Da er während der NS-Zeit von Brekers Freund Albert Speer in die Planungen zur Neugestaltung der Reichshauptstadt einbezogen worden war, bestanden alte Verbindungen.
Wie aus den Sitzungsprotokollen der städtischen Kunstkommission in den 1950er Jahren hervorgeht, bestand zudem die Vorgabe, für Werke im öffentlichen Raum vorzugsweise einheimische oder in Wuppertal geborene Künstler einzuladen. Breker, der in Wuppertal-Elberfeld geboren worden war, erfüllte dieses Kriterium.
Im Zusammenhang mit Brekers Auftrag fällt auf, wie wenig nach dem Zweiten Weltkrieg über die NS-Kunst gesprochen wurde. In den Presseberichten zur Aufstellung der „Pallas Athene“ im Mai 1957 wurde Brekers nationalsozialistische Karriere kaum erwähnt. Die kunsthistorische Forschung beschäftigte sich zwar mit Brekers Schaffen für das nationalsozialistische Regime, stellte aber Fragen der künstlerischen Qualität in den Vordergrund und schenkten den Inhalten, der Propaganda und der politischen Instrumentalisierung von Kunst und Künstlern weniger Beachtung.
Die städtische Kulturpolitik der Nachkriegszeit zeigt sich deutlich an der künstlerischen Gestaltung des Johannisbergs. Am 26. Februar 1957 hatte die städtische Kunstkommission beschlossen, vor dem Neubau des Stadtbades am Johannisberg die Bronzeplastik „Great Seated Woman“ des britischen Bildhauers Henry Moore aufzustellen. Gut zwei Monate später wurde direkt nebenan auf dem Gelände des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums, ausgewählt von derselben Kommission, Arno Brekers „Pallas Athene“ der Öffentlichkeit übergeben. Die Widersprüchlichkeit dieser Entscheidung für zwei völlig gegensätzliche bildhauerische Positionen, die sich in zwei weiblichen Bronzefiguren für den öffentlichen Raum manifestieren, kann als sinnbildlich für eine Stadtentwicklungspolitik verstanden werden, die nach Krieg und Diktatur einen kulturellen Neubeginn anstrebte und zugleich an eingefahrenen Mustern festhielt. So erhielt denn auch Arno Brekers Bruder Hans 1956 den Auftrag zur Ausgestaltung der Innenräume des Wuppertaler Opernhauses mit Gipsreliefs.
Im Kontext der Kunst-am-Bau-Plastik in Wuppertal war die „Pallas Athene“ von Breker insofern eine Besonderheit, als die Darstellung einer Gestalt aus der griechischen Mythologie den Schulneubau nicht nur dekorieren, sondern auch als humanistisches Gymnasium kennzeichnen sollte. Die Figur „Pallas Athene“ nimmt zudem Bezug auf den Namensgeber Wilhelm Dörpfeld, der als Archäologe ab 1882 maßgeblich an den Ausgrabungen in Troja und ab 1885 an den Ausgrabungen auf der Akropolis in Athen beteiligt war.
Als Darstellung einer mythischen Figur steht Brekers „Pallas Athene“ in einer komplexen Darstellungstradition, die sich in über 2500 Jahren entwickelt hat. Die Vielfalt an stilistischen Variationen und figürlichen Haltungen, die jeweils auch unterschiedliche inhaltliche bzw. erzählerische Intentionen verfolgen, ist enorm. Zu den klassischen Attributen der Pallas Athene zählen Speer, Schild und Helm sowie (Brust-) Panzer und Gorgoneion. Vielfach wird sie von einer Eule begleitet, als einem Symbol ihrer Weisheit.
Neben den Großplastiken, welche die Göttin in repräsentativer Ruhestellung zeigen, ist der Typ der speerschwingenden Athena Promachos (Beschützerin im Krieg) aus dem 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. hervorzuheben. Diesem Figurentypus, der ein offensives, dynamisches Voranschreiten der Athene zeigt, ging ein archaischer, statisch abwehrender Typus voraus, auf den sich Breker mit seiner „Pallas Athene“ bezieht. Formal bezieht sich Breker insbesondere auf die Kunst der Archaik.
Von besonderem Belang für Brekers Werk und seine Bedeutung ist, daß Pallas Athene im „Dritten Reich“ gleichermaßen als Kunst- wie als Kriegsgöttin geschätzt und gezeigt wurde. Ihr Bild fand in der nationalsozialistischen Bildsprache breite und offensive Verwendung. So erschien Pallas Athene erstmals auf einer Plakette zum Reichsparteitag im Jahr 1933. 1937 wurde das nahezu identische Motiv als Titelblatt des Katalogs zur „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München verwendet. Dieser Athene-Kopf, ergänzt um eine Fackel und einen Reichsadler mit dem Hakenkreuz in den Fängen, wurde schließlich 1938 als ständiges Titelblatt der Zeitschrift „Die Kunst im Deutschen Reich“ verwendet. Es avancierte damit gleichsam zum Logo einer „deutschen“ Kunst im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie.
Redaktion: Frank Becker
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