Sentimental Value
Affeksjonsverdi – Norwegen 2025 Drehbuch und Regie: Joachim Trier
Mit: Stellan Skarsgård, Renate Reinsve, Inga Ibsdotter Lilleaas. Elle Fanning u.a Man braucht nur an die Bilder von Munch, an Stücke von Strindberg und vor allem an Filme von Ingmar Bergman zu denken, um zu wissen, wie düster skandinavische Gemüter sein können. Hie und da beweist das wieder ein Film (wenn auch die einstige Bergman-Größe noch nicht erreicht wurde). Der Norweger Joachim Trier stellt zweieinviertel Stunden lang einen alten Mann ins Zentrum seiner Geschichte „Sentimental Value“, sowohl in Beziehung zu seiner Familie wie zu seinem Beruf als Filmregisseur. Und immerhin hat der Film in dem demnächst 75jährigen Stellan Skarsgård einen nahezu genialen Hauptdarsteller, der jede Sekunde fesselt.
Zu Beginn sieht man ausführlich ein schönes farbiges Holzhaus inmitten der Natur, offenbar am Rand von Oslo. Eine Frauenstimme (der Film läuft auf Norwegisch und stellenweise Englisch) kommentiert, als dort zwei Mädchen durch die Zimmer und in den Garten stürmen. Der Vater ist allerdings nicht da – er hat die Familie verlassen, um eine internationale Karriere als Regisseur zu machen. (Die Schweden werfen Ingmar Bergman heute noch vor, daß er sich nie um seine neun Kinder von sechs verschiedenen Frauen gekümmert hat – vielleicht steckt das ein wenig in der Figur).
Dann sind die Töchter erwachsen, und man erlebt eine von ihnen, Nora (Renate Reinsve) im Kostüm, ein erwartungsvolles Theater, die junge Schauspielerin so in Lampenfieber-Panik, daß sie davonlaufen möchte. Man zwingt sie geradezu auf die Bühne, der Erfolg ist groß. Ihre Schwester Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas) ist Historikerin, verheiratet, hat einen aufgeweckten kleinen blonden Sohn.
Und dann ist die Mutter tot, und der Vater, aus dessen Familie das Haus stammt, steht vor der Tür. Joachim Trier nimmt sich viel Zeit, die inneren Widerstände der beiden jungen Frauen zu zeichnen, die nicht verzeihen können, dem Vater nie etwas bedeutet zu haben. Gustav Borg ist seine einst glanzvolle Karriere längst aus den Händen geglitten. Nun will er mit einem neuen Film, der Geschichte seiner Mutter und ihren Widerstand in der Nazi-Zeit (bis heute eine tiefe Wunde in der norwegischen Gesellschaft!) sein Comeback feiern. Aber Nora ist zu verletzt, um die angebotene Hauptrolle anzunehmen.
Der Film wendet sich nun vor allem Gustav zu, der in „seinem“ Haus den Film drehen will und dazu eine junge amerikanische Schauspielerin gefunden hat. Elle Fanning als Rachel Kemp kann, was der Regisseur allen Darstellern in hohem Maße abverlangt – schweigend, nur mit Mimik und Körpersprache Emotionen auszudrücken. Ihr Versuch, Gustav in allem zu verstehen und sich die Rolle anzueignen, ist eine der vielen bemerkenswerten Leistungen des Films. Und man versteht auch, daß Rachel aus dem Projekt aussteigt, weil sie spürt, daß sie als Amerikanerin nicht in diese so norwegische Geschichte paßt.
Am Ende gibt es (muß das im Kino immer sein?) doch die Annäherung zwischen Vater und Töchtern, wenn auch Stellan Skarsgård selbst in Szenen des körperlichen Zusammenbruchs keinerlei Sentimentalität bedient. So gut die Frauen sind, die Töchter, die Amerikanerin – es ist sein Film - und der Film von Norwegen, der heuer in Cannes den Großen Preis der Jury erhielt, in acht Kategorien für den Europäischen Filmpreis nominiert wurde und für Norwegen in das Auslands-Oscar-Rennen 2026 zieht. Wenn sich die seelischen Belastungen der Beteiligten auch auf die Zuschauer übertragen – man sieht dennoch fasziniert zu.
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