Couscous, Baguette, French Tacos
und die Banlieues
Frankreich wie es leibt und ißt
Was wissen wir eigentlich über unsere französischen Nachbarn, die alten Erzfeinde, mit denen wir uns über Staatsgebiet und Grenzen jahrhundertelang nicht einigen konnten? Inzwischen bauen wir gemeinsam an einem Europa, in welchem nationale Interessen an Bedeutung verlieren müssen, kulturelle Unterschiede aber bleiben. In Deutschland werden Kalorien gegessen, in Frankreich gehört die Nahrungsaufnahme zur Kunst. Der Philosoph Emil Cioran schrieb über die französische Essenszeit, sie sei die „tägliche Liturgie der seelischen Leere“. Gastrosophen -alle Franzosen glauben an diese „Wissenschaft“ - verstehen Essen als komplexes kulturelles Phänomen. Alexandre Dumas krönte sein weltliterarisches Werk am Ende mit einem Kochbuch. Im Grand dictionnaire de cuisine finden sich allein 17 Omelett-Rezepte. Seit 2010 gehört die französische Küche zum immateriellen Welterbe. Pumpernickel ist etwas anderes als Baguette. Das Baguette entstand als Einheitsbrot der Franzosen zur Zeit der französischen Revolution: Weizenmehl, Wasser, Hefe, Salz für alle dasselbe und die Knüppelform entstand bei Bau der U- Bahn, damit die Fremdarbeiter aus dem Maghreb keine Messer zum Arbeitsplatz mitbringen mußten, sondern ihr Brot brechen konnten.
Nadia Pantel, dank ihrer französischen Oma schon immer frankophil, hat als Journalistin in Krakau, Tiflis, Belgrad gelebt, bevor sie nach Paris zog, wo im Zentrum zwei Millionen Menschen auf der Grundfläche von Koblenz wohnen. Sie erzählt unterhaltsam, humorvoll und kenntnisreich von der französischen Esskultur und dem Camembert, der das französische Denken nicht nur beim Essen beherrscht. Statistische prozentuale Verteilungen z. Mergue zB. an Wahlabenden werden bei uns im Kreis- oder Tortendiagram dargestellt, in Frankreich tatsächlich als Camembert-Diagramm. Die Franzosen lieben bekanntlich alles was stinkt und schimmelt, essen Camembert aber weniger als Schweizer Emmentaler. Als Folge des Klimawandels fürchtet der Franzose das Aussterben des Schimmelpilzes Pénicillium camemberti und Camembertmangel, was Tyrosémiophile – Sammler von Käse-Etiketten-aber nicht stört. La vache qui rit, der geschmacklose Schmelzkäse, der vor allem exportiert wird, käme als Ersatz allerdings kaum in Frage. Die lachende Kuh entstand übrigens ursprünglich als Wortspiel auf die „Walküre“ (auf Französische „La Walkyrie“) Richard Wagners. Im ersten Weltkrieg malten französische Soldaten sie auf ihre Lastwagen, um die Kriegspropaganda des Feindes mit Wagners Musik zu karikieren. Als Ersatznahrungsmittel kämen auch Kalbskopf in grüner Sauce, bretonische Austern oder die arme Fettammer (Ortolan) in Frage, deren Verzehr aber wegen der gräßlichen Zubereitung (Mästung nach Ausstechen der Augen, Kochen nach Ertränken in Armagnac, Schlucken des ganzen Vogels) inzwischen selbst in Frankreich verboten ist. Macron gilt als einer der letzten Genießer dieser widerlichen Delikatesse. Der wird heute eher French Tacos essen, einen Weizenfladen mit Pommes, Käsesauce (Gruyère und Crème fraîche) und jeder Menge Fleisch, mit und ohne Merguez. Tacos bekommt man inzwischen überall und muß als Attacke der Zugewanderten auf die haute cuisine verstanden werden, schmeckt göttlich und sättigt. Nichts für Veganer.
Kritik an der Massentierhaltung gibt es natürlich auch in Frankreich. Deswegen halten sich Bobos (bohemiensbourgois) Hühner in Paris und Schafe vor dem Invalidendom, bauen Tomaten auf Dächern an und züchten unterirdisch Pilze. Es geht um Genuß. „Wein ist bekanntlich die flüssige Seele der Franzosen und tatsächlich ist die ökologische Anbaufläche in Frankreich die größte in der EU. Die Autorin wühlt sich unter kulinarischen Aspekten tief in die französische Kultur, macht zuletzt auch nicht halt vor den sozialen Aspekten dieses wunderbaren Landes, schildert die Gewalt und Grillkultur der Gelbwesten im Kreisverkehr vor Jahren, die Zerstörungen der Schaufenster, die Gewalt in den Banlieue als legitime Form politischer Proteste, die Katastrophen von Bataclan und Nizza, die Enthauptung des Lehrers, und schöpft Hoffnung aus dem Laizismus, der Trennung von Staat und Religion(Kirche). Die Autorin macht weder Halt vor der Katastrophe Algeriens inklusive des Massakers 1961 in Paris noch vor der älteren französischen Kolonialgeschichte, dem Sklavenhandel, dem Bordeaux seinen Reichtum verdankt. Das Ganze ist, kenntnisreich, locker, lustvoll geschrieben, eine außerordentlich informative Analyse französischen Lebens, der französischen Gesellschaft und der Geschichte des Landes. Sehr Empfehlenswert!
Nadia Pantel – „Das Camembert-Diagramm Ein etwas anderes Frankreich- Porträt“
© 20256 Rowohlt – Berlin, 6. Auflage, 223 Seiten, gebunden, Schutzumschlag - ISBN 978-3-7371-0218-6
24,- €
Weitere Informationen: www.rowohlt.de/
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