Drogen und Rauschmittel (1)
Wenn in den Medien weniger von der gefährdeten Menschheit und mehr von der bedrohten Gesellschaft die Rede ist, geht es oftmals um Drogen und Rauschmittel und vor allem um deren Mißbrauch. Eine der beliebtesten Drogen der 1920er Jahre war das Kokain, das damals legal in Apotheken angeboten wurde und die Chefs der gutbürgerlichen Pharmafirmen - Merck, Knoll, Boehringer - gesetzeskonform zu den Kokain-Baronen ihrer Zeit machte. Auch noch heute verdienen Hersteller von Medikamenten an gefährlichen Drogen, die es auf Rezept gibt, wobei besonders dem opiumartigen Schmerzmittel Pentanyl eine dubiose Rolle zukommt, da ihm in diesem Jahrhundert bereits eine Million Amerikaner zum Opfer gefallen sind. Angesichts dessen wollen vermutlich nur noch die wenigsten genauer wissen, wie Opiate oder Opioide auf das Gehirn eines Menschen einwirken. Kürzestmögliche Antwort: Sie besetzen besondere Rezeptoren auf den Oberflächen von Neuronen im Zentralnervensystem.
Wer sich jetzt die Frage stellt, wer eigentlich festlegt, wann ein Stoff als heilendes Medikament zugelassen oder als Droge im Sinne eines süchtig machenden Rauschmittels verboten wird, hofft sicher darauf, eine Antwort wie «Die medizinische Wissenschaft und die Gesundheitsexperten!» zu bekommen. Er reagiert dann enttäuscht, wenn zu erfahren ist, daß dabei vielfach politische und soziale Überlegungen und ökonomische Kräfte eine Rolle spielen. Staaten haben immer seltsam selektiv entschieden, welche Stoffe unter Strafe zu stellen waren und welche nicht. Die Idee, Marihuana zu verbieten, ist 1923 in Südafrika mit seiner britischen Kolonialregierung aufgekommen, als die hellhäutigen Herrschenden bemerkten, daß es der Stoff der Schwarzen war. In Deutschland war indischer Hanf seit den 1920er Jahren verboten, aber gekümmert hat das niemanden, bis christlich-demokratische Wein- und Biertrinker um 1970 eine «Drogensucht» unter jungen Leuten konstatierten und Marihuana als «Mörderkraut» diffamierten, während sie sich weiter zuprosteten und ihre Leber mit Schnäpsen ruinierten. Das Bundesverfassungsgericht erklärte sich 1994 mit dieser Art des Konsums einverstanden, indem es beschied, Alkohol werde zum Genuß getrunken und sei kulturell tief in der deutschen Gesellschaft und ihren Traditionen verwurzelt. Allerdings hat zum Beispiel ein langjähriges Mitglied des Bundesgerichtshofs, Professor Thomas Fischer, 2018 in der 65. Auflage eines Nachschlagewerks zum Strafgesetzbuch festgehalten: «Eine Gesellschaft, die fünf Prozent ihrer Mitglieder wegen des Konsums von Rauschmitteln kriminalisiert, während sich zugleich weitere 30 Prozent der Bevölkerung legal und staatlich gefördert totsaufen oder -rauchen, verhält sich evident irrational», nämlich höchst unfair und einseitig. Hier sollte die Frage erlaubt sein, welcher verantwortliche Politiker anders denkt ...
So wütend einen die geschilderte Lage machen kann - das Wort Droge hat seinen finsteren Charakter erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts angenommen. Der Begriff leitet sich etymologisch vom niederländischen «droog» ab, was eine Trockensubstanz meinte, die in dieser Form verschickt und zum Gebrauch mit Wasser versetzt werden konnte. Damit waren Teeblätter und Kaffeepulver gemeint, wobei der Weg des Wortes «droog» über das englische «drug» zur deutschen «Droge» führte, womit lange Zeit das gemeint war, was heute vorsichtiger als Arzneimittel oder vornehmer als Medikament bezeichnet wird.
Teil 2 von 4 folgt am kommenden Sonnabend an dieser Stelle.
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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