Wie wir thematisch  
            bei der Sache bleiben 
            Ich darf mich thematisch nicht ablenken lassen. Ich muß bei der Sache bleiben, sonst vergaloppiere ich mich. Gerade hatte ich erst das Gefühl, daß sich jemand zu mir ins Bett gelegt hat, dabei spürte ich nichts. Da waren keine Nähe und kein Hautkontakt. Da war nur jemand, der mein Bettzeug drückt und seufzt. Kann es sein, daß sich da jemand außerhalb des Bewegungsmelders bewegte und ich ihn so nicht erfassen konnte? Was ist, wenn der Mensch, der vielleicht dazu bestimmt ist die größte Liebe meines Lebens zu werden, sich immer außerhalb meines Bewegungsmelders bewegt und ich ihn nie wahrnehmen kann? Muß ich den Radius meiner eigenen Anwesenheit ausweiten und mich auf neue Wege einlassen? 
            Ich darf mich thematisch nicht ablenken lassen, sondern muß bereit sein auf den Punkt zu kommen. Ich könnte runter in die Küche gehen und froh sein zum Beispiel, daß das Licht angeht wenn die Kühlschranktür aufgeht. Das Haus wirkt doch ganz anders, wenn es nur vom Licht der Kühlschranktür beleuchtet wird. Ich frage mich manchmal, wie man früher die Nahrungsmittel gefunden hat, als es im Kühlschrank noch kein Licht gab. Hat man erst was gegessen als es hell wurde oder fühlte man sich durch? Ich möchte keine Schinken in einer Plastikhülle ertasten, bevor ich mich entscheide ihn mit Fingern zu essen.  
            Manchmal frage ich mich wie ich Soldaten in einer Ausgehuniform grüßen soll. Muß ich da salutieren oder renne ich zum Fenster und mache es auf und zu? Ich kenne den militärischen Doppelgruß, aber der hat sich leider nicht durchgesetzt. Wohin gehen Soldaten wenn sie sich schick gemacht haben? Gibt es Räume in denen sie mal seufzen dürfen, wo sie ihren Bettnachbarn ihre Einschulungsfotos zeigen können? Wenn ich Gestalter von Aufenthaltsräumen für Soldaten wäre, würde ich eine Dartscheibe in die Ecke hängen und den neuesten Playboy auf dem Klo herumliegen lassen. Natürlich gäbe es auch eine Bücherecke, in der die Bibel und das Buch „Verhalten bei Gefahr“ zu finden sind, aber auch nur, damit man am Tag der offenen Tür allen Eltern zeigen kann, daß wir keine Barbaren sind und ein wenig Höllenaufenthalt noch keinem geschadet hat. Natürlich gäbe es in dem Raum einen Kühlschrank mit abgelaufenen Sofortgerichten, die man nur heiß zu machen braucht. Wenn ich Soldat wäre, würde ich immer nur nach Hause wollen, weil ich dort nicht gebraucht werde und mich thematisch alles unterfordern würde. Ich hatte mal mein Kühlschranklicht durch eine rote Birne ersetzt, da wirkten alle Nahrungsmittel so als ernährten sie Sankt Pauli. 
            Ich darf mich thematisch nicht ablenken lassen, deswegen bin ich froh, daß die Welt im Lichtschein meiner Kühlschrankbirne so unfertig erscheint. Wenn die Lichtquelle im Kühlschrank ausfallen würde, dann wäre ich schrecklich überfordert, dann müßte ich im Dunkeln das Haus verlassen und in irgendeinem Glaspalast neues Licht besorgen. Ich wüßte gar nicht wo ich in der Lampenabteilung mal Birnen für den Kühlschrank gesehen habe. Man achtet nie auf etwas was man nicht braucht. Wie oft geht man an etwas vorbei bis einem auffällt, daß man darauf Hunger hat. Ich würde erstmal versuchen meinen Kühlschrank unbeleuchtet zu nutzen. Ich würde mich an alles herantasten. Die Kühlung funktioniert ja, es fehlt nur das Licht darauf. Auch Eisbären können sich im Dunkeln orientieren und tauchen nicht plötzlich am Strand von Sansibar auf. Den Gefallen tue ich keinem Supermarktverkäufer, daß ich ihn frage ob er mir sagen könne wo die Kühlschrankbirnen stehen. Der würde doch aufhören den Thunfisch ins Regal zu stapeln und sofort jemanden anrufen, der kommen soll um dieses Problem zu lösen. Ist es nicht das, was sie in der Fortbildung gelernt haben, daß der Tag kommen wird und einer ihrer Kunden unvermittelt auftaucht und nach einer Kühlschrankbeleuchtung fragt? Ist es nicht der Augenblick für den sie geschult wurden und erschallt nicht sofort im Supermarkt die Durchsage: „Heute im Angebot Kühlschrankbirnen im Zwölferpack“? Im Internet wird oft angeblich die Kühlschranklampe zusammen mit der Backofenlampe verkauft und ich denke, wie viel Pech kann ein Mensch ertragen wenn zusammen mit der Kühlschranklampe auch noch die Backofenlampe ausgefallen ist und er dann eine Supermarkt-Koryphäe fragen muß, ob es dafür Ersatzlampen gibt. 
            Ich darf mich thematisch nicht ablenken lassen. Ich muß bei der Sache bleiben sonst vergaloppier ich mich und strauchele. Das letzte Mal habe ich mir gleich einen neuen Kühlschrank gekauft, der kühlte wie bescheuert und zur Kühlschranklampe wurde gleich eine Ersatzlampe geliefert. „Die Lebensdauer dieser Kühlschranklampe beträgt laut Produktinformationen 1000 Stunden“ klärte man mich auf. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, daß nach meinem Tod die Kühlschranklampe noch funktionieren wird. Da werden meine Nachkommen meinen Kühlschrank öffnen und sagen: „Er war kein Kind von Traurigkeit. Das ist sicher.“ Das stimmt. Ich war kein Kind von Traurigkeit. Meine Eltern hießen Demut und Danke und waren gut zu mir. Erst später habe ich mich verstellt.  
            © Erwin Grosche 
             Erwin Grosches Web-Seite: www.erwingrosche.de 
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