Flirt mit der Macht

Ein sprachgewaltiges Duell bei der Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache 2025

von Marduk Buscher

Unter den wachsam gemalten Augen von Jakob Grimm überreicht Marie-Agnes Strack-Zimmermann den 
Jakob-Grimm-Preis Deutsche Sprache an Hape Kerkeling - 
Foto © Marduk Buscher
Flirt mit der Macht
 
Ein sprachgewaltiges Duell
 
Marie-Agnes Strack Zimmermann ehrt Hape Kerkeling anläßlich
der Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache 2025
 
Ein kommentierender Bericht von Marduk Buscher
Baden-Baden, 28.9.2025
 
Wir wollen Ihnen diesen sprachlich interessanten Beitrag von Dr. Marduk Buscher nicht vorenthalten, machen jedoch darauf aufmerksam, daß wir um einige Kommentierungen (fett gedruckt) nicht umhin kommen, weil wir den Eindruck vermeiden wollen, wir könnten mit der Geschichtsklitterung des Autors einverstanden sein.
 
Wenn Kultur und Politik zusammenkommen, werden in der Regel keine Bomben geworfen, obgleich Frau Strack-Zimmermann bei kulturellen Veranstaltungen, in denen es auch um Politik geht, stets damit rechnet, daß „jemand das Messer wetzt“, wie sie anläßlich ihrer Laudatio auf Hape Kerkeling in einem Nebensatz äußerte.
Dieser erhielt im klassizistischen Weinbrenner-Saal des Baden-Badener Kurhauses den diesjährigen „Jakob-Grimm-Preis Deutsche Sprache“, welchen die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht. Seit 2023 unterstützt durch die in Baden-Baden beheimatete Eberhard-Schöck-Stiftung, welche sich unter anderem für die Sprache als Mittel zur Völkerverständigung einsetzt. Seit 2000 verleiht sie daher den „Kulturpreis Deutsche Sprache“.
Die Verleihung des Grimm-Preises ist seit 2023 Höhepunkt der nun dreiteiligen Ehrung.
Vor diesem Hintergrund kommt nicht von ungefähr, daß – wie auch schon in den vergangenen Jahren – Übersetzungsleistungen bzw. Untersuchungen zu ihren Voraussetzungen Auszeichnungen erhielten.
 
Den „Institutionenpreis Deutsche Sprache“ erhielt in diesem Jahr das „Zentrum für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen“ der Universität Würzburg (https://www.ukw.de/behandlungszentren/zentrum-fuer-vorsprachliche-entwicklung-und-entwicklungsstoerungen-zves/startseite/ ), vertreten durch Prof. Dr. Kathleen Wermke. Die Wissenschaftlerin untersucht mit ihrem Team die allerfrühesten Lautäußerungen von Neugeborenen und konnte dabei nachweisen, daß diese in Tonalität und Rhythmus von dem im Mutterleib Gehörten geprägt sind. Ein japanisches Baby „singt“ also meßbar anders als ein deutsches oder afrikanisches Kind.
Den „Initiativpreis Deutsche Sprache erhielten Nina Thielicke und Christine Wagner für ihr Projekt „Echt absolut – Literarisches Übersetzen mit Jugendlichen“ (https://echtabsolut.de/ ). Diese haben in den letzten vier Jahren mit Hunderten von Jugendlichen zusammengearbeitet und eine online zugängliche Materialsammlung erstellt, welche im schulischen Umfeld oder der Erwachsenenbildung dazu dienen kann, Unterrichtseinheiten zu gestalten. Sprachbewußtsein und Entwicklung der eigenen Kreativität stehen dabei im Mittelpunkt.
 
Der „Flirt“ zwischen der verteidigungspolitischen Sprecherin der FDP, damaligen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Bundestags und heutigen Europaabgeordneten, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, und dem – einem Millionenpublikum bekannten – Multitalent Hape Kerkeling, begann im Oktober 2023, als Kerkeling bei der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf eine Laudatio auf Strack-Zimmermann als Trägerin der Josef-Neuberger-Medaille hielt für ihr Engagement gegen Antisemitismus. Er habe danach „unvorstellbare Anfeindungen“ hinnehmen müssen.
Doppelte Verneinungen tragen das Problem in sich, daß sie politisch unterschiedlich gebraucht werden können. „Übersetzende“ Erklärungen bei der Verwendung des Begriffs „Kampf gegen den Antisemitismus“ sind deshalb Voraussetzung für jede unmißverständliche Kommunikation.
 
„Semitismus“ ist laut Wikipedia zunächst rein sprachwissenschaftlich eine „Anleihe an Konstruktions- oder Ausdrucksweisen, wie sie in semitischen Sprachen üblich ist“. Ende des 18. Jahrhunderts wurde er als Synonym verwendet für „alle negativ bewerteten Komponenten der Moderne, für den Kapitalismus, die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft und ihren pluralistisch-antagonistischen Charakter, das traditionskritische Literatentum, aufklärerische Ideen oder die ‚Veräußerlichung‘ der Zivilisation“ (Th. Nipperdey: Art. Antisemitismus, in: HWPh, Bd. 1, 415f).
„Antisemitismus“ mag also im Ursprung ein konservatives Festhalten an bürgerlichen Werten gewesen sein. Erst die nationalsozialistische „Rassenlehre“, welche das Judentum zu „Rasse“ und Volk machte, gab dem Begriff „Antisemitismus“ den heute gebräuchlichen Sinn einer menschenverachtenden Ablehnung der Menschengruppe, welche jüdischen Glaubens ist.
 
Während Kerkeling 2023 sich eher zu einem naiv-humanistischen, quasi innenpolitischen Verständnis für den Kampf gegen Antisemitismus in diesem Sinne bekannte, bezog Strack-Zimmermann damals den heute auch allgemein zweck- und sinn-entfremdeten Begriff auf die internationale Politik und verstieg sich zu der Aussage, daß unter „Antisemitismus“ sowohl das russische „Engagement“ im Ukraine-Krieg wie auch die Taten der Hamas am 7. Oktober 2023 gezählt werden müßten. (Der Euphemismus „Engagement“ des Autors, der mit ideologischen Scheuklappen in der unerträglichen Lüge verharrt, Rußland sei von der Ukraine im Auftrag der NATO angegriffen worden, steht natürlich im krassen Gegensatz zur historischen Wahrheit. Der Begriff wurde darum von der Redaktion, die sich von der Umdeutung des russischen Terrors gegen die ukrainische Zivilbevölkerung durch Raketen und Drohnen deutlich distanziert, in Anführungszeichen gestellt.)
 
In diesem Sinne und in ihrem Selbstverständnis müßten die israelischen Vergeltungsmaßnahmen gegen die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen ebenfalls als Kampf gegen den „Antisemitismus“ gezählt werden, welche heute (2025) aber von Teilen der Weltbevölkerung als ein Genozid angesehen werden. (Auch hier sieht die Redaktion eine fahrlässige, wenn nicht gezielte Umdeutung, denn das durchaus diskutable Vorgehen des israelischen Militärs richtet sich in erster Linie gegen die mörderische - s.o. 7. Oktober 2023 - Terrororganisation Hamas, von der sich die Bevölkerung Palästinas nicht distanziert.)
 
Es würde zu weit führen, hier die von Michael Wolffsohn vertretene Differenzierung zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Antijudaismus heranzuziehen (siehe z.B. https://www.deutschlandfunk.de/historiker-michael-wolffsohn-ueber-antijudaismus-antisemitismus-antizionismus-dlf-80795d45-100.html ), um zu belegen, warum Strack-Zimmermanns Instrumentalisierung des Begriffs zu seiner Unschärfe beiträgt, wenn sie ihn indirekt auf den „Angriff Rußlands auf die Ukraine und de(n)r Überfall der Hamas Terroristen auf Israel(…)“ bezieht (https://www.bild.de/regional/duesseldorf/duesseldorf-aktuell/hape-kerkeling-hielt-laudatio-strack-zimmermann-mit-antisemitismus-medaille-geeh-85884872.bild.html ).
 
Vor diesem Hintergrund nimmt es aber nicht Wunder, daß Kerkelings diesjährige Dankesrede an Stiftung, Akademie und Laudatorin auch als „Widerrede“ auf Strack-Zimmermanns damalige Dankesrede verstanden werden kann.
Die – wie zu erwarten – launige Rede von Hape Kerkeling vergleicht sein „geliebtes“ Deutsch mit anderen Sprachen und kommt zu dem überraschenden Schluß, daß Deutsch sehr viel weniger konkret und unmißverständlich sei als die romanischen Sprachen. Zum Beispiel lese er bei Gebrauchsanleitungen stets die italienische Version, weil diese ein Drittel kürzer und um ein Vielfaches klarer sei, als die deutschsprachigen Anweisungen.
Er begründet dies mit der Herkunftssprache des Lateinischen, welches als strukturell stark prädisponierende Sprache eine Vielzahl von Sinngebungen bereits in den genau definierten Endungen ihrer Konjugation und Deklination bereithielte. Diese Endungen gäben klar Auskunft über die zeitliche Reihenfolge und die Verbindlichkeit von Handlungen. Er zog als Beispiel das Römische Reich selbst heran, welches mittels des Gerundivums im Lateinischen in aller Kürze und Klarheit als „ein zu zerstörendes“ bezeichnet werden könne. Ein Wunsch, den er schon als Schüler auch stets unterstützt habe. Seine Sympathie habe stets bei den kleineren, unterdrückten Völkern gelegen.
Kerkeling verpackt in dieser prägnanten Sprachanalyse seine Position zu den militärischen Auseinandersetzungen des Jahres 2025 und bezieht damit für den Beobachter sowohl zum Ukraine-Krieg, für welchen er sich möglicherweise eine Niederlage Rußlands wünscht, als auch zum Völkermord des Apartheid-Staates Israel Stellung. (Anmerkung der Redaktion: Israel einen Apartheid-Staat zu nennen und ihm Völkermord expressis verbis zu unterstellen ist für uns unerträglich, weshalb wir den Autor auch hier scharf kritisieren.)
 
Im Subtext stellt er so richtig, daß der von ihm wertgeschätzte Anti-Imperialismus keinesfalls als Kampf gegen den Antisemitismus verstanden und gleichgesetzt werden darf, wie Strack-Zimmermann ihn 2003 und fortwährend begreift und manipulativ verwendet. (Auch diese Unterstellung der Manipulation gegenüber einer ehrenhaften Politikerin weist die Redaktion entschieden zurück.)
Möglicherweise fand im Vorfeld bereits ein Streit zwischen den beiden wechselseitigen Laudatoren statt, denn die Dankesrede von Strack-Zimmermann enthielt – bei aller oberflächlichen Wertschätzung von Hape Kerkeling – durchaus Bemerkungen, die fast als beleidigend, zumindest aber als nicht besonders feinfühlig empfunden werden müssen.
So zog sie beispielsweise einen Vergleich Kerkelings mit dem Bayerischen König Ludwig II. heran. Während Letzterer sich in seinem geliebten „Würmsee“ (heute Starnberger See) ertränkt habe, sei Kerkeling diesem Schicksal nur durch sein außergewöhnliches Talent entgangen. Anderenfalls wäre ihm nur übriggeblieben, sich im heimatlichen, Recklinghausener „Müllsee“ (phon.) ebenfalls zu ertränken. Welchen See sie damit meint, ist nebensächlich. Die pejorative Achse zwischen Ge-„Würm“ und „Müll“ ist aber für den aufmerksamen Zuhörer aufschlußreich. Die völlig anlaßlose, unmotivierte und dem Redeanlaß zuwiderlaufende Erwähnung eines Suizids aber gerade gegenüber Kerkeling ein Affront. Dessen heißgeliebte Mutter hatte sich das Leben genommen, als dieser noch ein Kind war.
 
„Übersetzungen“ sind manchmal also auch in ein und derselben Muttersprache geboten, wenn es gilt, manipulative Unterstellungen zu korrigieren.
Die Rede Kerkelings schloß übrigens versöhnlich. Er erklärte das von ihm der Ungenauigkeit gescholtene Deutsch zu seiner großen Liebe. Keine andere Sprache habe Worte wie „Wuppertal“ hervorgebracht, welche in aller Kürze so viel Emotionalität und Sinnlichkeit vereine. Er jedenfalls werde stets auf der Suche bleiben, um sprachliche Schätze wie „Wuppertal“ zu heben und zu beleuchten.
Die gewetzten Messer blieben also in ihren Scheiden, und Strack-Zimmermann überreichte Kerkeling unter anhaltendem Applaus die verdiente Auszeichnung.
 
© Foto und Text : Dr. Marduk Buscher • mardukbuscher@t-online.de
 
Redaktion: Frank Becker