Tony Cragg im Dom Quartier zu Salzburg
(noch bis 6.10.2025)
Von Johannes Vesper
Welch eine Affenhitze in diesen Tagen. Im Mozarthaus schieben sich Besucher aus aller Herren Länder durch die Ausstellung, scheinen an den Ventilatoren und deren Luftströme noch mehr interessiert zu sein als an den Bühnenbildern und Clavicords der Mozart Zeit.
Die Touristen strömen auch über Salzburgs Residenzplatz. Unzählige Handys richten sich auf die fünf riesigen, dunkel patinierten, flachen Gesichter aus Gußeisen von Jaume Plensa, die mit geschlossenen Augen den Residenzbrunnen umringen und auf die tief in uns verborgene Schönheit, über „the Secret Garden“ unseres Lebens verweisen (27.07-29.08.2025). Mit seiner „Awilda“ aus weißem Marmor ist der Bildhauer auf dem Modern Art Spaziergang („Walk of Modern Art“) schon seit 2010 in Salzburg vertreten. Wenn unerwartet plötzlich die große Glocke des Doms schlägt, scheint die Betriebsamkeit tatsächlich kurze Zeit zur Ruhe zu kommen und man kann sich dem Zauber des Platzes nicht entziehen.
Vor der Residenz macht eine hohe Flagge aufmerksam auf die aktuelle Ausstellung „Tony Cragg: Zeiten“. Die Alte Residenz im Domquartier der Altstadt zwischen Dom- und Residenzplatz beherbergt im 3. Obergeschoß die Residenzgalerie mit Werken der Europäischen Malerei des 16.-19. Jahrhunderts und im 1. Stock die prächtigen Prunkräume aus dem 18. Jahrhundert. Sechs derselben bieten bis zum 6. Oktober Werken Tony Craggs eine Bühne. Es handelt sich um die erste zeitgenössische Skulpturenausstellung in diesen ehrwürdigen, historischen Palastfluchten. Der in Wuppertal heimische Bildhauer stellt dabei nicht zum ersten Mal in Salzburg aus, wird er doch von Thaddäus Ropac, dem international tätigen auch in Salzburg heimischen Galeristen vertreten. Vor Jahren schon sahen wir Craggs Skulptur „Caldera“ vor dem Landestheater in Salzburg und später auch in New York – Unterbarmen ist eben überall. Auf dem Krauthügel hinter der Festung Obersalzberg wiesen 2014 drei große Skulpturen von Tony Cragg im Freien der Kunst die Richtung. Sicher ist es kein Zufall, daß die beiden weltberühmten Bildhauer dem internationalen Publikum der Welt in der Zeit der Festspiele ihre Kunst hier präsentieren.
Schon bei dem repräsentativen Aufgang zu den Prunkräumen der Residenz wird aber auch deutlich, daß der Touristenstrom seinen Weg nicht herfindet, obwohl die hohen Räume ein sehr viel angenehmeres Klima bieten. Hier kommt es zu einem aufregenden Dialog zwischen der Architektur und den Craggschen Skulpturen mit neuen frischen Aspekten. Die gestapelten Biedermeiertische mit ihren eleganten Füßen, die sich nahezu tänzerisch auf dem Parkett zu bewegen scheinen, greifen einerseits Craggsches Stapeln auf, welches sich seit frühesten Arbeiten immer wieder als ein Urprinzip seiner Arbeiten darstellt, wecken aber andererseits auch ironische Assoziationen an höfisches gesellschaftliches Leben, wie es in diesen Räumen stattgefunden hat.
Was die afrikanischen weißen Kopfstützen, die zu einer durchsichtigen eleganten Skulptur zusammengefügt wurden, in dieser Anordnung mit Ruhe und Schlaf zu tun haben, erschließt sich dem Zuschauer weniger, obwohl Tony Cragg in seinem Video zu Erklärung der ausgestellten Werke auf den Zusammenhang besonders hinweist. Der Titel „Rapid eye movement“ bezeichnet in der Schlafphysiologie bestimmte Schlafphasen. Physiologisch einleuchtender scheint der Titel den abtastenden Augenbewegungen zu entsprechen, die geschwinde von Linie zu Linie der eleganten Skulptur hin und her springen, um sie als Gestalt zu erfassen.
Die fünf Köpfe aus iranischem Travertin, die je nach Blickwinkel und Standort des Betrachters Gesichtsprofile erkennen lassen, entsprechen Skulpturen, wie sie von Tony Cragg seit Jahren schon immer wieder mal in Schichttechnik produziert wurden.
Eine große, schräg stehende, goldfarbene, aus vielen kleinen Elementen zusammengesetzte Schale mit kleinere Defekten kontrastiert mit der originalen Ausstattung des Prunkraums aus dem 18. Jahrhundert in bemerkenswerter Weise.
Bei den Glasarbeiten macht sich der Bildhauer Gedanken zur Welt, wie sie sich uns heute darstellt, beherrscht von machtpolitisch geleiteten Ganoven auf verschiedenen Kontinenten. Wie wir alle, weiß natürlich auch er nicht, warum diese Menschen mit dunklem Herzen so mächtig sind und soviel Einfluß haben. Seine „Black Guards“, schwarze Herzen in helles Glas eingeschlossen, sich drängend auf einem schwarzem Tisch, schaffen bewegte Bilder, die sich einprägen, wobei der an sich einleuchtende, von Cragg im Video kommentierte Bezug zur Weltlage sich aus der Ansicht allein nicht unmittelbar aufdrängt.
Die höchst differenzierte, durchbrochene Skulptur aus rotem Glas (Visible Man) in dem Prunkraum vor rot gestalteter Wandtapete zeigt, wie Skulptur, Kunst und Innenarchitektur untereinander im Hinblick auf Ästhetik und Dekoration Beziehung aufnehmen können. Der Unterschied zu dem nahezu mythischen Eindruck, den seine Skulpturen in freier Natur, im Wald, in Konkurrenz zu hohen Eichen und mächtigen Buchen entfalten, ist frappant.
Den letzten weißen, hellen Saal beherrscht „Distant Cousin“ eine fantastische, sich barock frei und offen gebärdende Skulptur an- und abschwellender, teilweise sich durchdringender, durchaus voluminös-schlangenartiger heller Elemente. Interessierte Besucher zeigten sich im Gespräch über diese Werke äußerst interessiert an einem Besuch in Tony Craggs Skulpturenpark Waldfrieden, in dem Jaume Plensa im Jahr 2014 eine große Ausstellung hatte.
Für diese Ausstellung seiner zeitgenössischen Skulpturen in den historischen fürstbischöflichen Galerien hat Tony Cragg den Titel „Zeiten“ gewählt, weil wir zwar im Heute leben, aber doch immer aus der Vergangenheit herkommen und von der Entwicklung der Zeit bestimmt sind. Das erklärt er in dem sehr sehenswerten Video zur Ausstellung, welches in einer Endlosschleife im ersten Ausstellungsraum läuft. Wer die Gelegenheit hat die Ausstellung zu besuchen bekommt jedenfalls neue Aspekte seines Werkes zu Gesicht.
Tony Cragg: Zeiten in den Prunkräumen der Residenz von Salzburg. In Kooperation mit Thadäus Ropac 25.07.-06.10.2025. Eine angekündigte Broschüre zur Ausstellung war zum Besuch noch nicht fertig.
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