Revolution
Ein viktorianischer Roman aus dem Jahr 1981
Deutschland 1851. Drei Jahre nach der deutschen Märzrevolution 1848, der Einsetzung der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche und nur ein Jahr nach der Niederschlagung der Demokratiebestrebungen mit Waffengewalt ist im Deutschen Bund soweit relative Ruhe zurückgekehrt, daß sich Bildungsreisende wieder ins Land wagen.
Die englische Familie Morrison um den strengen anglikanischen Reverend Charles Morrison samt Ehefrau Marion, Tochter Ellie und der unverheirateten Schwester Morrisons, Charlotte, hat eine Rheinreise per Dampfschiff gebucht, die sie über Koblenz, Bonn und Köln durch die romantischen Rheinlande führt. Unterwegs lernt man die mitreisende englische Familie Newman kennen. Deren Oberhaupt Edward weckt in Charlotte verdrängte Erinnerungen an ihre erste und einzige Verliebtheit. Damals mit achtzehn wegen des Todes der Eltern bereits in der Obhut ihres pietistischen älteren Bruders wurde ihr eine mögliche Verbindung aus gesellschaftlichen Gründen untersagt. Nun hat Charlotte, ein „ältliches Fräulein“ wie man früher ihre Situation beschrieben hätte, Jahrzehnte damit verbracht, sich um die Bedürfnisse anderer zu kümmern, ihre Bruders und seiner Familie und eines älteren Verwandten, hat sich anscheinend in ihr untergeordnetes, dienendes Leben gefügt.
Doch wühlen die Begegnung mit Edward Newman und die offenbare Verehrung eines jungen preußischen Offiziers für die fünfzehnjährige Ellie in Charlotte vergessen geglaubte Bilder und unterdrücktes Verlangen nach Glück und Freiheit auf. Ann Schlee läßt an den sich auflehnenden, ja für Charlottes Verhältnisse aufbäumenden Gedanken und Gefühlen dieser unter dem Druck ständiger Gängelung und Bevormundung Mut fassenden Frau teilnehmen. Man beobachtet fast begierig die kleinen Schritte des Abwerfens von den Fesseln des ihr suggerierten Unwertes ihrer Person, der ihr von Charles und Margot versagten Persönlichkeit. Wir erleben eine sanfte, aber entschiedene Revolution.
Die amerikanische Autorin Ann Schlee (1934-2023) hat sich in den 1970er Jahren (der Roman erschien erstmals 1981) eingehend mit der Geschichte der 1848er Revolution, den deutschen und englischen politischen wie bürgerlichen Verhältnissen um 1851, der Kölner Dombaugeschichte und mit dem touristischen Rheintal zwischen Koblenz und Köln beschäftigt, sich intensiv hineingefühlt. Aber auch den viktorianischen Literaturstil von u.a. Charlotte und Emily Brontë, Elizabeth Barrett Browning, Jane Austen oder Christina Rossetti hat Ann Schlee nicht nur studiert, sondern ihn für diesen äußerst lesenswerten historischen Roman glänzend adaptiert. Seine Wiederentdeckung ist ein Glücksfall. Die reiche Bildsprache, Spannung, Ereignisse und überraschende Wendungen machen das Buch zu einer empfehlenswerten Lektüre.
Ann Schlee – „Die Rheinreise“
Roman – aus dem Amerikanischen Englisch von Werner Löcher-Lawrence
© 2025 Dumont Buchverlag, 206 Seiten, gebunden, Lesebändchen – ISBN 978-3-7558-0047-7
24,- €
Weitere Informationen: www.dumont-buchverlag.de
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