Kontakthof - Mit Teenagern ab 14

Ein Stück von Pina Bausch - gesehen

von Jürgen Kasten

Foto: Tanzteheater Pina Bausch

Kontakthof
 Mit Teenagern ab ´14`
 
Ein Stück von Pina Bausch
 

Die Erstaufführung dieser Fassung mit Jugendlichen hatte
im November 2008 während des internationalen Tanzfestivals  im Schauspielhaus Wuppertal stattgefunden. Der Erfolg war überwältigend. Die Fachpresse überschlug sich in Lobeshymnen. Wir von den Musenblättern konnten uns sozusagen auf den letzten Drücker nun endlich auch überzeugen, denn noch viermal, am 29., 30., 31. Januar und am 01. Februar 2009, erfolgte eine Wiederaufführung, nun zum wirklich letzten mal im renovierungsbedürftigen Wuppertaler Schauspielhaus, das ab jetzt geschlossen wird.

Die eigentliche Kontakthof-Uraufführung mit der Tanzcompagnie hatte 1978 stattgefunden, ein Experiment mit Damen und Herren ab 65 Jahren mit Laiendarstellern im Jahre 2000 und nun, 30 Jahre nach der ersten Präsentation, eine Wiederaufnahme des Stückes mit Teenagern ab 14.
Benedict Billiet und Jo Ann Endicott , die im Ursprungsstück tragende Rollen spielten, probten und studierten mit den Jugendlichen über ein Jahr lang. Über 200 Jugendliche aus verschiedenen Schulformen wurden getestet, 40 von ihnen ausgewählt und jeweils 26 Jungen und Mädchen bildeten sodann ein Ensemble.
„Das Stück KONTAKTHOF ist zwar immer gleich; aber Jung und Alt bringen ihre eigenen Erfahrungen ein und so erzählen auch die Jugendlichen ihre eigene Geschichte. Jetzt, zum Ende der Proben hin beim gesamten Durchlauf, kommen auch die Gefühle der Jugendlichen zum Durchbruch“, erklärte Frau Billiet.
Und so erlebten es auch die Zuschauer: Anfangs steif, mit eckigen Bewegungen, betreten die Jugendlichen die Bühne, ein grauer, kahler Raum, in der Ecke ein Klavier, Stuhlreihen an den Wänden, dazu schnulzige Musik der 20er und 30er Jahre. Die „Herren“ tragen Schlips und Anzug, die „Damen“ bunte, eng anliegende Kleider, grell geschminkt.
Eine morbide Tanzschulidylle Anfang des Jahrhunderts. (Bühne: Rolf Borzik, Kostüme nach Entwürfen von Borzik, Marion Cito).
Der geschilderte Eindruck ist gewollt. Die Kargheit des Raumes demonstriert schlichte Arbeitsbedingungen des Theaters, gerade in heutigen finanziellen Nöten hochaktuell. Unterstrichen noch durch das Auftreten eines Revisors, der ständig die wenigen Accessoire zählt, auf einer Liste abhakt und dabei auch die Anzahl der auftretenden Akteure einbezieht.
Kontakthof ist ein Ort der Begegnung, an dem man sich trifft, sich zeigt, sich verwehrt. Dies mit seinen Ängsten, Sehnsüchten, Enttäuschungen, Verzweiflungen. Es geht um erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, um erste Versuche und Zärtlichkeiten und was daraus entstehen kann.
So hat es Pina Bausch vor 30 Jahren beschrieben. Kontakthof bezeichnet aber auch den Raum eines Bordells, den Ort, an dem der Körper zum Kauf dargeboten wird.
Das Zurschaustellen ist die Eingangssequenz. Die Jugendlichen betreten einzeln die Bühne, zeigen sich von vorn, hinten und im Profil, strecken ihre Hände vor, bevor sie sich zur Gruppe zusammen finden.

Annäherungsversuche folgen, doch alle angedeutete Zärtlichkeit endet mit einer schmerzlichen Geste. Jungen stehen oder hocken verloren im Raum, nehmen eine umarmende Pose ein, in die Mädchen hineingleiten, sich jedoch augenblicklich wieder entziehen.
Ein schüchternes Mädchen bittet Zuschauer um Münzen für ein elektrisches Schaukelpferd, das dann doch nicht anspringt. Ein Junge muß um Hilfe gebeten werden. Verächtlich hält er dem Mädchen den Stecker vor, den sie natürlich (!) übersehen hat. Selbstverloren hockt sie dann kerzengerade auf dem Pferd.
Mit laszivem Hüftschwung schreitet ein Mädchen immer wieder eine Linie entlang. Ein Junge sitzt an einem Pult daneben, ordnet Papiere, beobachtet das Mädchen, entschließt sich zu einer Berührung, doch zu spät, sie ist schon vorbei.
Im leeren Ballsaal sitzen sich an gegenüberliegenden Wänden ein Junge und ein Mädchen gegenüber. Sie animieren sich zum Ausziehen, zögernd, verlegen, werden von der einmarschierenden Gruppe unterbrochen.
Die wenigen Tanzeinlagen, meist vom gesamten Ensemble vorgetragen, wirken trotz aufreizender Posen emotionslos, mit starren Gesichtszügen. Sie schreiten bis zur Rampe aufs Publikum zu, laufen zurück, beginnen aufs Neue. In einer anderen Szene stehen alle Jungen an der Wand. Zu einem Boogie-Woogie fuchteln ihre Arme ekstatisch den Mädchen entgegen, die gleichsam mit ihren Stühlen immer näher rücken. Hektisches Betasten, Berühren folgt. Angewidert entwinden sich die Mädchen.
Das Ensemble findet sich zum Kreis, angedeutete Tanzschritte, grotesk, schleppend. Einzelne brechen kurz aus, beschimpfen die anderen, fügen sich dann doch wieder ein.
Die gesamte Stuhlreihe wird an die Rampe gerückt. Die Jugendlichen erzählen von ihrem reduzierten Liebesleben, alle gleichzeitig, jeder für sich. Niemand hört dem anderen zu, egoistisch nur auf sich fixiert. Hinter ihnen schreitet ein Junge mit Mikrophon die Reihe entlang. Versatzstücke eines jeden einzelnen werden deutlich. „Hdl“ in einer SMS finde ich doof. Da schreibe ich doch lieber „habe Dich lieb“. Die Suche nach Zärtlichkeit und Annäherung mißglückt auf ganzer Linie. Es endet immer mit verbalen und physischen Ausschreitungen. Die Sehnsucht zueinander scheitert am Egoismus des Einzelnen.
 
Unmöglich, hier alle Szenen zu rekapitulieren. „Erklären kann man das Stück ohnehin nicht, man muss es erleben“, sagte Benedicte Billiet während der Pressevorstellung vor dem Tanzfestival im letzten Herbst. Sie wurde genauso wie Jo Ann Endicott in den donnernden Schlußapplaus einbezogen – und natürlich Pina Bausch, die alle Ensemblemitglieder, auch diejenigen, die am gestrigen Sonntag nicht auftraten, auf die Bühne holte.
Lächelnd verteilte sie Rosen, während Oberbürgermeister Jung zu ihr eilte, sich bei allen Mitwirkenden bedankte, sie beglückwünschte, um dann darauf hinzuweisen, daß dies nun einer der 365 Orte sei, der für seinen Ideenreichtum ausgezeichnet werde, und zwar in Form einer Urkunde von Bundespräsident Köhler in Kooperation mit der Deutschen Bank. Sie hat Deutschland zum Land der Ideen ausgerufen, wobei sich mir der Zusammenhang zwischen Deutscher Bank und Ideen nicht wirklich erschloß. Doch das tat diesem Abend keinen Abbruch. Kontakthof ist wirklich ein Ort für alle, offen für Jung und Alt.

Ich schließe in der Hoffnung für alle Beteiligten, daß es zukünftig weitere Aufführungen geben wird, zur Freude der Zuschauer, zur Freude und Selbstverwirklichung der Jugendlichen.
Vermutlich im März wird übrigens der Film von Anne Linsel auf ARTE gezeigt, den sie begleitend während der Proben und Aufführungen gedreht hat.
 

Kontakthof mit Teenagern ab ´14` in der Inszenierung und Choreographie von Pina Bausch.
Besetzung am 01. Februar 2009:
Flutra Ajvazi, Kira Clemens, Philipp Danisch, Timo Dieckmann, David Erler, Maria Färber, Margarita Fast, Anastasia Friesen, Marvin George, Lisa Hymmen, Soeren Keup, Jan Lade, Kim Christin Lörken, Safet Mistele, Jaqueline Palilla, Ben Pfennig, Lennard Pfennig, Jonas Quatuor, Melissa Raucamp, Ramona Rexfort, Hedie Rzgar, Frederike Schmidt, Katharina Schüller, Meike Schuppenhauer, Björn Tappert, Rosario Tavano.
Keine Chantal oder Kevin dabei. Das ist ja auch schon mal eine gesellschaftliche Aussage.
 
In Zusammenarbeit mit diesen Schulen:
Carl-Fuhlrott Gymnasium, Gesamtschule Barmen, Gesamtschule Else-Lasker-Schüler, Gesamtschule Erich-Fried Ronsdorf, Gesamtschule Langerfeld, Gesamtschule Vohwinkel, Gymnasium Bayreuther Straße, Hauptschule Hügelstraße, Rudolf-Steiner-Schule, St. Anna Gymnasium, Städtisches Reichenbach-Gymnasium Ennepetal.
 
Musik von Charlie Chaplin, Anton Karas, Juan Llossas, Nino Rota, Jean Sibelius u.a.