Sprachlos komisch (6)

Bildergeschichten ohne Worte - von Adamson bis Ziggy -

von Joachim Klinger

Jochim Klinger © Joachim Klinger
Sprachlos komisch (6)

Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -


Bisher haben wir uns auf die als Einzelakteur handelnde Comic-Figur be­schränkt. Aber neben dem Clown, der allein ins Rampenlicht tritt, gibt es auch das Duo, das aus zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten beste­hende Paar, denken wir nur an Dick und Doof oder Pat und Patachon. Gewiß gibt es komische Situationen im Miteinander von zwei wortlos handelnden Akteuren: die Stummfilme mit Dick und Doof beweisen es. Gleichwohl weiß man, daß normalerweise in der Kommunikation zwischen Menschen auch die Sprachebene vorhanden ist. Gespräch, Geplänkel und Streit bringen Span­nung in eine Partnerschaft, der Wortwechsel belebt die Szenen, verbale Unverschämtheiten belustigen das Publikum.
 
Andy Capp
 
© 1972 Fawcett Publications

Das klassische Beispiel für erfolgreiche Comic-Strips, die einprägsame Fi­guren mit flott-frechen Sprüchen aufeinander prallen lassen, liefern Andy Capp (deutsch: Willi Wacker) und seine Frau Flo. Der immer arbeitslose Capp mit Schlägermütze liebt den Fußball und die Rauferei, spielt gern Bil­lard und schäkert mit jungen Mädchen. Aber die hervorragenden Zeichnun­gen des Engländers Reg Smythe (1917-1998) leben von dem ruppigen Ton der Eheleute, die zwar einander zugetan sind, aber keine Gelegenheit aus­lassen, dem Partner "eins drauf zu geben". Seit
1956 dauert dieser Ehe­krieg, an dem eine ständig wachsende Leserschaft feixend ihren Spaß hat.
 
Aber wir wollen die Bildergeschichten ohne Worte nicht aus dem Blick ver­lieren. Allerdings wird es nur noch selten um Solisten gehen.

Vater und Sohn

 
© Südverlag
Die größte Verbreitung haben unter den stummen Comic-Strips wohl
Vater und Sohn" von e.o. plauen (d.i. Erich Ohser 1903-1944) gefunden. Sie begeisterten nach wenigen Auftritten das deut­sche Volk in den 30er Jahren. Und das, obwohl sie in keiner Weise den damals propagierten Menschenbild entsprechen. "Vater" war nicht hochge­wachsen, stark und kühn mit blondem Scheitel und nordischen Gesichtszü­gen. Er war dickbäuchig, kahlköpfig und trug unter der Nase einen struppi­gen Seehundsbart. "Sohn" war kein sportlicher Sprößling, der sich stramm und strebsam zeigte, sondern ein Kerlchen mit schwarzem Wuschelkopf und Stupsnäschen, das sich gern Pflichten entzog und die liebenswerten Unar­ten von Einzelkindern pflegte.
Den rasch erregbaren Vater und seinen pfiffigen Sohn verbindet eine so innige Liebe, daß eine Mutter keinen Platz findet. Übrigens scheint das typisch für die Familie zu sein; die Ahnengalerie von Vater und Sohn kennt nur Väter und Söhne.
Die Liebe der beiden drückt sich vor allem darin aus, daß sie fest und treu zusammenhalten und gemeinsam durch Dick und Dünn gehen. Ihr Verhältnis ist voller Zartgefühl und Vertrauen. Sie sind ein Herz und eine Seele. Man denke nur an die Weihnachtsfeier!
Nie wären sie so populär geworden, hätten sich nicht Tausende von Men­schen in ihnen wiedergefunden und mit ihnen identifizieren können und sie schließlich - was das Wichtigste ist! - liebgewonnen. Erich Ohser – durch den Freitod in Gestapo-Haft so früh aus dem Leben gegangen - hat uns Nachkommen hinterlassen, die wir nicht missen mögen und die bereits Generationen begleiten.­
 
Hans Kossatz - Dackel Willi

Vom Duo zum Trio und Quartett nur ein Schritt? Mitnichten! Zu viele Per­sonen in einem Comic-Strip verstoßen gegen das Prinzip der Konzentration.

© TOMUS Verlag München
Die Reduktion der künstlerischen Mittel, die diese Konzentration fördert, ist mit einer Vielzahl von Personen kaum vereinbar. Im Comic-Strip kann es
nicht eine Reihe zentraler Figuren geben. Deshalb funktioniert die Bildergeschichten-Serie von Hans Kossatz (1901-­1985), die uns den Dackel Willi und Familie Kaiser präsentiert, nur deshalb, weil Dackel Willi die zentrale Figur ist, die Familie Kaiser mit Vater, Mutter und zwei Kindern in Atem hält und in aller Regel den Verlauf der Handlung bestimmt. Hans Kossatz, der sein "Handwerk" als Karikaturist ebenso gut beherrscht wie Möllendorff und Ohser, hat so "dackeltypische" Geschich­ten geliefert, daß man sagen möchte, dieses Thema sei ein für alle Mal ab­schließend behandelt. Jeder Dackel-Besitzer wird das bestätigen.
Die Zeichnungen sind keß und flott wie der Dackel selbst und finden auch den Beifall humorvoller Menschen, die nicht als Tierfreunde gelten können.
 
Barlogs Schreckensteiner

Eine Ausnahme von der Regel, daß mehrere Personen im Comic-Strip die Konzentration des Betrachters zerstreuen, stellt die stumme Bilderfolge von Ferdinand Barlog (1895
-1955) "Die fünf

© Deutscher Verlag Berlin 1940
Schreckensteiner" dar. Die
Veröffentlichung begann 1939 in der "Berliner Illustrirten Zeitung" und war so recht geeignet, von der Misere der Gewaltherrschaft und dem Krieg abzulenken. "Die fünf Schreckenstei­ner" , Ahnen eines Adeligen, der mit dicklich-trägem Diener und rundlicher Kammerzofe ein stattliches Schloß bewohnt, steigen zur Mitternacht aus den Bilderrahmen und nutzen die Geisterstunde für Streiche und Abenteu­er. Es handelt sich um drei imposante Herren, eine hübsche Jungfrau und einen Knaben mit einem Vogel auf der Hand. Geister allesamt mit ihren ma­gischen Kräften, die gemeinsam handelnd als homogenes Team auftreten. Die Schreckensteiner stiften Unruhe und Schaden, bewirken aber nicht selten auch Gutes. So plündern sie einerseits die reichlich ausgestattete Speisekammer (im Krieg!) und leisten andererseits Verdienstvolles bei der Schneeräumung. Sie vervollständigen den Ahnenpaß des Schlossherrn, widmen sich aber auch ausgiebig seinem Alkoholvorrat.
Die Geschichten der fünf Schreckensteiner sind im guten Sinne lustig und konnten getrost den Kindern in die Hand gegeben werden. Sie sind so harmlos in einer schlimmen Zeit, daß man eine entsprechende Absicht des Künstlers vermutet. Aber auch die offizielle Propaganda des Dritten Rei­ches sah unpolitische Belustigung zur Ablenkung nicht ungern. Man denke an die große Zahl von Lustspielen im Film der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts.
"Die fünf Schreckensteiner" waren sehr beliebt - auch weil sie den Ablauf des "normalen" Lebens störten und Verwirrung stifteten, ohne daß man sie zur Verantwortung ziehen konnte. Da die Zeichnungen akribisch angelegt waren und in ihrer Perfektion auch plastische Wirkungen entfalteten, ka­men sie in der Sammel-Broschüre (trotz Papierknappheit veröffentlicht!) noch besser zur Geltung als in der Berliner Illustrierten!

Simmelsurium

Barlogs Zeichnungen zeugen von großem Talent und stehen in der Nachfolge von Paul Simmel

© 1956 Verlag Das Neue Berlin
(1887
-1933), dem wir prächtige Berliner Typen verdanken wie "Latsch und Lommel", "Kesse Jören" und den "Steppke". Berliner sind ohne ihre "Schnauze" nicht denkbar, und deshalb begleiten Simmels Zeich­nungen in der Regel frech-fröhliche Kommentare und schnodderige Redens­arten. Hin und wieder gibt es aber auch sprachlose Bildergeschichten, die sich ganz auf Situationskomik und ulkige Typen konzentrieren. Dann er­freuen zum Beispiel auch von Simmel erfundene Attribute weiblicher Rund­lichkeit Auge und Herz des Betrachters. "Simmel-Beine" sind in den deut­schen Sprachschatz übernommen worden; be- und gezeichnet werden damit füllige Frauenbeine, die vom Fuß nur noch die Schuhspitze sehen lassen.
 
Bisher sind wir von berühmten Gestalten wortloser Comic-Strips ausgegan­gen - Adamson, der kleine König, Fäustchen, Max usw. -, jetzt wollen wir uns berühmten Zeichnern zuwenden, denen wir eindrucksvolle Beispiele dieser pantomimischen Kunst verdanken, allerdings keine gleichrangigen, unver­wechselbaren Comic-Figuren. Dabei hat es kaum Sinn, historisch oder systematisch vorzugehen, und schon gar nicht ist Vollständigkeit anzustreben.
 
Gerard Hoffnung

Der begnadete Cartoonist Gerard Hoffnung (1925 in Berlin geboren, 1959 in London gestorben) hat

© 1960 Annetta Hoffnung
© 1968 Langen - Müller
nicht viele Bildergeschichten gezeichnet, aber sie sind geradezu köstlich. Selbst Musiker, wandte er sich intensiv dem Bereich der Musik zu und karikierte Orchester, Dirigenten, Sänger, Instrumentali­sten, im trauten Heim musizierende Laien usw. Er entwickelte auch bizarre Tonmaschinen von hohem Ausstellungs- und Unterhaltungswert. Sein Humor ist gutmütig und zärtlich, seine Figuren sind schrullig, aber liebenswert. Sein Zeichenstrich ist nicht strenger Einfachheit verpflichtet, sondern kraus und schnörkelhaft, niemals aber üppig (wie manchmal bei Searle und Saul Steinberg) oder gar überladen.
Seine Zeichengeschichte "Birds, Bees and Storks" über den verlegenen Versuch, den kleinen Sohn aufzuklären, ist von zwingend lebensnahem Humor. Besonders gelungen erscheint mir die aus acht Bildern bestehende Ge­schichte von der selbsttätigen Kaffee-Maschine mit eingebautem Wecker. Sorgfältig erledigt sie für die erwartungsvoll lächelnde Frau im Bett die Zubereitung des belebenden Getränks, um es dann schließlich selbst zu ge­nießen. Hoffnungs Botschaft: Bastelt nur eure Roboter, zum Schluß wer­den sie euch selbst überflüssig machen und entmachten. Ein klarsichtiger Prophet - dieser Gerard Hoffnung!
 
Walter Trier

Daß
einem in diesem Zusammenhang Walter Trier (1890 in Prag geboren, 1951 in der Nähe von Toronto verstorben) einfällt, hat weniger mit dem (erzwungenen) Umzug des Künstlers von Berlin nach

© 2007 Arco Verlag - Ill. Walter Trier
London zu tun (1936) - wo ja auch Hoffnung untergekommen war - als mit der flott-fröhlichen Ge­staltung der Bilder und dem warmherzigen Humor. Übrigens war er – ebenso
wie Paul Simmel - für Hans Kossatz ein Vorbild.
Für Kinderbuch-Illustrationen war Trier geradezu prädestiniert, und man kann sich Kästner-Bücher gar nicht mehr ohne seine Bilder vorstellen. Der Umstand, daß er - wie Tomi Ungerer - leidenschaftlicher Spielzeug­-Sammler war, zeigt seine Affinität zur Welt des Kindes, zu Spaß und Spiel. Eine Beobachtung, die für viele Karikaturisten gilt. Sie sind nicht selten hervorragende Kinderbuch-Illustratoren und manchmal auch Kinderbuch­-Autoren wie zum Beispiel Tomi Ungerer, Maurice Sendak und Wolfgang Fel­ten.
Daß Walter Trier auch Bildergeschichten gezeichnet hat, ist mir nur von der Zeit des Ersten Weltkrieges bekannt. Die Geschichte "Meier lernt flie­gen" (1913) ist von kleinen Versen begleitet (Verfasser: H.R.); die Bilderfol­ge "Der Unverbesserliche", erschienen in der 21. Kriegsnummer der Lusti­gen Blätter Nr. 52 (1914), zeigt ein optimistisches Männchen im großkarier­ten Mantel, das einem schwarz gekleideten Herrn Meyer Siegesmeldungen von der Front überbringt und stets auf dessen grämlichen Pessimismus stößt. Solche Arbeiten mögen jungen Künstlern zum Broterwerb oder Ein­stieg in die Cartoon-Szene gedient haben. Als Emigrant in London verulkte Trier die Machthaber des Dritten Reichs, und wen wundert es, daß sich sein freundlicher Humor jetzt in beißenden Spott verwandelte?
 
Ziggy

Ein amerikanischer Vetter des kleinen Herrn Jakob ist "Ziggy" von Tom Wilson (*1931). Gnomenhaft
 
mit einem viel zu großen Kopf und dicker Nase erweist er sich als Tierfreund, der unerschrocken mit einem entlaufenen Gorilla Gebäck verzehrt, der durch sein Posaunenspiel einen verliebten Elch an sein Fenster lockt und in seiner Wohnung eine Vogelklinik unterhält.
Ziggy ist alterslos; er könnte ein kleiner Junge sein - manchmal benimmt er sich so - oder auch ein alter Mann - manchmal wirkt er so. Er ist durch und durch gutherzig - wie der Lektro - und umgibt Hund, Katze, Ente u.a.m. mit zärtlicher Fürsorge. Ab 1966 erschien Ziggy in amerikanischen Tageszei­tungen. Ein Kritzelmännchen ohne zeichnerische Eleganz und doch ebenso sympathisch wie einprägsam, eine Symbolfigur liebenswürdigen Humors. Leider beschränkt sich der Künstler meist auf Cartoons, in denen sich Ziggy unter Sprechblasen duckt; Bildergeschichten ohne Worte sind selten.


Literaturempfehlungen:
Eduard Bass - "Die Wunderelf", 2007 Arco Verlag, Reihe Orca. ill von Walter Trier
Gerard Hoffnung - "Vögel, Bienen, Klapperstörche" - 1968 Verlag Langen - Müller
Hans Kossatz - "Dackel Willi und Familie Kaiser" - o.J. TOMUS Verlag München
Paul Simmel - "Das war Paul Simmel - 1887-1933" - 1956 Verlag Das Neue Berlin
Smythe - The undisputed Andy Capp" - 1972 Fawcwtt Publications
e.o.plauen . "Vater und Sohn" - 1994 Philipp Reclam jun.
Erich Ohser (e.o. plauen) - Gesamtausgabe - © 2000 Südverlag Konstanz
Ferdinad Barlog - "Die 5 Schreckensteiner - ihre Streiche und Abenteuer" - 1940 Deutscher Verlag, Berlin


© Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.

Redaktion: Frank Becker