3 : 2 für die Ewigkeit

Ein Heldenepos in elf Gesängen - Siebter Gesang

von Michael Zeller
3 : 2  für die Ewigkeit
Ein  Heldenepos in elf Gesängen
 
Von Michael Zeller
 
Die Wahrheit is auf’n Platz
und der Mythos sitzt im Kopf
Adi Preißler/M.Z.
 
 
 
Siebter Gesang
 
Männerklausur war Ehrensache
striktes Zölibat auf Zeit
für die deutschen Fußballspieler
die drei Wochen in der Schweiz
Kein Nikotin, kein Alkohol
bis auf ein Bier zum Abendbrot
und selbst noch Sprudel ist verpönt
denn Herberger vertrat die Meinung
jede Art von Flüssigkeit
schade seinen Kickerkörpern
Der Schluck Tee zur Halbzeitpause
Zitronenscheibchen zum Zerkauen
Das war’s. Mehr ließ der „Chef“ nicht zu
 
Spiez: Der Landgasthof am See
Spiez: Das war geschlossener Raum
im ganzen Haus kein Fernseher
Die Außenwelt drang nicht nach innen
Man baute an der eigenen Stärke
sie war zu hegen und zu pflegen
das Vertrauen auf sich selbst
Die Abgeschiedenheit von Spiez
schuf eine Gruppenphantasie
der keiner sich entziehen konnte
und irgendwann auch nicht mehr wollte
bis zum letzten Reservisten
 
Der „Geist von Spiez“ schreibt sich im Plural
Fast alle von den deutschen Spielern
waren noch im Krieg gewesen
Sie kannten Hunger, Durst und Kälte
von anderen Dingen nicht zur reden
Dankbar genossen sie den Luxus
des „Belvedere“ am Thuner See
Gutes Essen, schöne Landschaft
Tretboote durften sie benutzen
und das alles gab es gratis
Sie waren die Könige der Welt
Der wirtschaftliche Daseinskampf
in den zerstörten deutschen Städten
für drei Wochen still gestellt
Da ließ sich gut ein Bier verkneifen
und Frauen/Bräute konnten warten
sie würden nicht verloren gehen
Der „Geist von Spiez“ hielt sie im Griff
 
Nach dem Jugoslawien-Sieg
steht fest: Die Mannschaft bleibt zusammen
für eine ganze Woche noch
Zwei Spiele gibt’s auf jeden Fall
Das Endspiel, wenn wir noch mal siegen
ein einziges Mal nur, stellt euch vor!
Der Deutsche Fußballbund beschließt
die Spielerfrauen herzuholen
für diese letzte schwere Woche
Natürlich nicht ins „Belvedere“
in das strenge Männerkloster
wo der „Geist von Spiez“ logiert
Ob’s der Trainer gerne sieht?
Wohl kaum. Frau Ev, die eigne Gattin
bleibt brav in ihrem Häuschen sitzen
 
Doch nun sind die Frauen mal da
und Herberger trägt alle Sorge
daß sie „seinen Männern“ nicht
den Kopf verdrehen, kurz vorm Ziel
und aus den Kerlen Löwen machen
der durchaus unerwünschten Art
Man sieht sich, vor und nach dem Training
da ist alles gut im Blick
Wenn sie sich treffen - nie allein!
„Mein Mann kommt immer nur mit Eckel“
klagt Frau Schäfer BILD ihr Leid
Manndeckung der besonderen Art
Da waren sie unerreichte Klasse
und nicht nur auf dem grünen Rasen.
 
Später, nach dem Abendessen
werden die Damen vorgelassen
hinter die Mauern dieses Klosters
In den Salon. Wohin denn sonst?
Dort sitzt man gruppenweis beisammen
den Damen wird Likör gereicht
Man plaudert dies und plaudert jenes
bis die Uhr zehnmal geschlagen
Der „Chef“ erscheint, und er wünscht allen
„Gute Nacht!“, auch laut genug
„Gute Nacht, Herr Herberger!“
Kaum fünf Minuten sind vergangen
steht er wieder in der Tür
„Ich geh ins Bett jetzt. Gute Nacht!“
„Gute Nacht, Herr Herberger“
Und wieder öffnet sich die Tür
eine kleine Weile später
„Ich wünsche allen Gute Nacht!“
„Gute Nacht, Herr Herberger. . .“
Jetzt ist der Kapitän gefordert
Fritz Walter waltet seines Amts
Der Trainer muß nicht noch mal kommen
Ein viertes „Gute Nacht!“ zu rufen
 
 
Der „Geist von Spiez“ – wer exorziert ihn?
Er ist teutonischen Geblüts
hat wenig Freunde auf der Welt
Wir selber mögen ihn ja kaum
und können ihm doch schwer entrinnen
von der Etsch bis an den Belt
Nur: Wir müssen uns entscheiden
Ohne diesen „Geist von Spiez“
gäb es das „Berner Wunder“ kaum
 
 
 © Michael Zeller

(Erstveröffentlichung in den Musenblättern)