Sprachlos komisch (3)

Bildergeschichten ohne Worte - von Adamson bis Ziggy

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger
Sprachlos komisch (3)

Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -



Wer sich mit jenen Einzelgängern befaßt, die in Bildergeschichten ohne Worte als Comic-Figuren die Prüfungen des Alltags zu bestehen suchen, der wird bald erkennen, daß Adamson eine Leitfigur geworden ist und prägende Handlungsmuster vorgegeben hat. Trotz größter Anstrengungen geht alles auf komische Art und Weise schief.
 
Nit m-ö-ö-ö-glich!

Die Comic-Figur wird "komisch" angelegt. Das komische Aussehen ver­braucht sich rasch, wenn die Handlungen und Situationen keine komischen Wirkungen auslösen. Jeder Clown weiß das. Jeder Clown weiß aber auch, daß seine Gestik und Mimik umso vielsagender sind, je weniger er spricht. So beschränkte sich der große Clown Grock (Adrian Wettach) häufig

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einer­seits auf die staunende Frage "Warum?" und andererseits auf die fas­sungslose Feststellung "Nit möööglich".
 Charlie Rivel, auch er einer der großen Clowns, haucht sein hingebungsvolles "Schöön" in die Manege und beschreibt das Maß der Verzauberung im Ram­penlicht. Nach dem mühevollen Gelingen eines akrobatischen Kunststücks gerät er geradezu in Verzückung und stöhnt beseligt "Akrobat ... schööön!"
 
Der große Komiker und Schauspieler Tati verzichtete in seinen Filmen (z.B. "Tatis Schützenfest", "Mon oncle") weitgehend auf die Sprache und setzte dem Geplapper nur kurze Grunzlaute entgegen. Der Tonfilm lief bei ihm sozusa­gen ins Leere.
 Bei der Betrachtung von Stummfilmen, die uns bedeutende Komiker wie bei­spielsweise Charlie Chaplin präsentieren, fragt man sich, ob nicht das Feh­len der Sprache die Qualität des Spiels erhöht. Der Zuschauer wird ganz auf Mimik, Gestik und Handlung verwiesen; der Schauspieler muß den Verzicht auf das Wort als unerhörte Herausforderung begreifen, die sein Kön­nen auf die höchste Probe stellt.­
 
Ferd´nand

Comics ohne Worte müssen eine ähnliche Meisterschaft erkennen lassen, sollen sie die optimale Wirkung erzielen.
Nachfolger fand Adamson in großer Zahl, ebenbürtig war ihm kaum einer.
Nach dem bewährten Muster Adamsons verfuhren zum Beispiel Emil, Ferd'nand (in deutschen Ausgaben auch: Ferdinand) und Pitt.

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Ferd'nand, ein gutmütiger Trottel, wurde 1937 von dem Dänen Henning Dahl Mikkelsen (Mik) entwickelt. Seine äußeren Kennzeichen waren ein Zucker­brothut, Schnurrbärtchen und Kolbennase. Während Adamson nur als be­harrlicher Junggeselle vorstellbar ist, gründete Ferd'nand schon bald eine Familie und mußte sich nun mit resoluter Ehefrau und pfiffigen Söhnchen herumschlagen. Damit erweiterte der Künstler das Handlungsfeld seiner Figur, es gibt mehr Konfliktsituationen, mehr Komplikationen und mehr Ge­legenheiten für komische Verwicklungen. Allerdings: das Interesse des Be­trachters wird von der Hauptfigur abgelenkt und auf drei Personen verteilt. Er muß nach und nach die Familie als komische Einheit begreifen und hat teil an deren Verstrickung in Alltagsprobleme.
 
Pitt und Emil

In deutschen Zeitungen und Zeitschriften der 50er Jahre des 20. Jahr­hunderts erschienen zur Unterhaltung der Leser - und damit an Verhältnis­se der Vorkriegszeit anknüpfend - Comic-Figuren, die aus dem Ausland "im­portiert" worden waren. Näheres über Herkunft und Autor wurde nicht preisgegeben.
 Ganz auf den Spuren Adamsons versuchten sich "Pitt" und "Emil". Jeder Comic-Strip umfaßte drei oder vier Bilder, die Strichführung war sparsam und konzentrierte sich auf die Figur und die tragenden Elemente der Handlung. Behandelt wurden tägliche Drangsale, Ungeschicklichkeiten, klei­ne und

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große Unglücksfälle. Pitt ist ein "Heringsmännchen" mit Pflaumennase undStachel-Haarsträhne über der Stirn. Manchmal trägt er einen kleinen verbeulten Hut; manchmal agiert er barhäuptig. Neben der winzigen laufenden Nummer in den Zeich­nungen entdeckt man hin und wieder den Namen Bare oder Bar und darf annehmen, dass es sich um den Namen des Zeichners handelt.
"Emil" ist knollennasig, trägt einen schwarzen Schnurrbart und hat sich, zur Leibesfülle neigend, in eine eng sitzende geflickte Jacke gezwängt. Seine Erlebnis-Bilder stammen von Trampress Vaz Dias; die Buchstaben OLMO in einer Raute lassen auf den Autor schließen.
Weder Emil noch Pitt können sich mit der Comic-Figur Adamson messen. Sie bleiben als Persönlichkeiten blaß, und ihre Ausdrucksfähigkeit ist be­grenzt. Während sich Adamson zahlreiche Charaktermerkmale zuordnen lassen, fallen einem bei Emil und Pitt nur wenige ein. Hauptmerkmal ist eine dümmliche Untüchtigkeit, die den permanenten Fehlschlag aller Bemühun­gen provoziert. Täppische Versager sind sie, und den Autoren gelingen nur selten ungewöhnliche Geschichten, die ihre Protagonisten über den durch­schnittlichen Clown erheben.
 
Storm P.

In diesem Zusammenhang sei noch der zu seiner Zeit sehr beliebte däni­sche Zeichner (und Kabarettist) Robert Storm Petersen (1882 - 1949) er­wähnt, der zahlreiche Bildergeschichten von tiefgehender Komik her­stellte. Er entwickelte den Comic-Strip "Drei kleine Männer" und viele andere, darunter das Clochard-Gespann Perikles und Agamemnon; ferner stammt der erste dänische

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Zeichenfilm von ihm. Eine dauerhafte Comic-Fi­gur in der Nachfolge Adamsons schuf er nicht - ihm war daran gelegen ein groteskes Universum zu schaffen. Als er 1949 starb, hinterließ Storm P. über 60.000 Zeichnungen.
Der skurrile Einzelgänger in Bildergeschichten ohne Worte hat sich bis in die Gegenwart erhalten; aber er ist ein seltenes Exemplar. Da erscheint zum Beispiel in französischen Tageszeitungen der kahlköpfige "Turlupin" (zu deutsch "Witzbold"), ein ziemlich rücksichtsloser Tunichtgut. Einen Langbart beraubt er eines Teils seiner Haarzierde und schmückt da­mit seinen eigenen Schädel. Der Zeichner nennt sich - in Abkürzung seines Namens Pierre de Montvallon - PIEM (geb. 1923).
In deutschen Tageszeitungen taucht seit einigen Jahren ein namenloser korrekt gekleideter Herr mit dem bebrillten Eierkopf des Intellektuellen auf und stellt sich mit verkniffen-besorgtem Gesichtsausdruck den Her­ausforderungen des Alltags. Natürlich ist auch er ein notorischer Pechvo­gel. Als Kofferträger in einer fremden Stadt den Weg zum Bahnhof su­chend, folgt er vertrauensvoll einem Mann, der das Hinweisschild "Zum Bahnhof" mit sich führt. Als der Mann den Pfeil schließlich an seinem Be­stimmungsort befestigt, deutet er in die entgegengesetzte Richtung ...
Zeichner ist Harald Sattler (geb. 1939). Er beherrscht die ebenso knappe wie präzise Formensprache, die den guten Comic-Strip auszeichnet, der auf Worte verzichtet. Aber mit seiner Figur vermag er bedauerlicherweise nicht das Quentchen heimliche Zuneigung zu wecken, das einer Comic-Figur zur Beliebtheit verhilft. Das mag auch damit zusammenhängen, daß man nie die Augen des Männchens sieht und dass sein Gesichtsausdruck meist ver­bittert oder mißtrauisch ist. Schade: Kein Name, kein Charakter, keine greifbare Existenz!

Mehr wüßte man gern über das zeichnerische Werk von "Jals". Es soll sich um das Pseudonym des 1938 in Essen geborenen Cartoonisten Alfred J. Smolinski handeln. Die wenigen Cartoons und Comics, die ich kenne, lassen auf künstlerisches Talent und zupackenden Witz schließen. Ihm wäre die Schöpfung einer eigenen Comic-Figur in erfolgreicher Serie zuzutrauen.
Adamson, Emil, Pitt, Ferd'nand - sie sind Kleinbürger, Alltagsmenschen. Vieles, was ihnen zustößt, könnte auch uns passieren. Natürlich möchten die Zeichner die gewohnten Grenzen sprengen und das Ungewöhnliche in den Handlungsablauf einbeziehen. Beispielsweise möchten sie die Dimensionen der täglichen Katastrophen vergrößern. Sie tun es, und sie dürfen es!
 
Naturgesetze vs. Komik

Die Welt der Komik hat eigene Regeln. So müssen sich die Naturgesetze den Konzepten der Komik unterordnen. Der Bilderwitz hebelt sie aus. Beispiele:
Adamson wirft seine Zigarre aus dem Fenster, finster entschlossen, das Rauchen aufzugeben. Sofort bereut er seinen Entschluss und eilt die Trep­pe hinab. Schneller als der Fall fängt er die Zigarre noch vor ihrem Aufprall auf den Boden auf. Die Reparatur des Wasserhahns führt zu einem verheerenden Rohrbruch. Aber Adamson wird nicht etwa zu Boden gedrückt. Eine Riesenwelle trägt ihn aus dem Fenster.
Oder Pitt! Er schleudert die an einer Kette hängende Metallkugel nach kräftigen Dre­hungen um die eigene Achse und - katapultiert sich selbst in die Luft. Ein anderes Mal will es ihm nicht gelingen, einen Stahlträger am Haken des Lastkrans zu befestigen. Schließlich hängt er sich an den Haken und schwebt davon, den schwergewichtigen Balken unter den Arm geklemmt. Unmöglich? Möglich im Reich der Komik! Wie der Clown scheitert die Comic­-Figur am Möglichen und leistet plötzlich das

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Unmögliche!
Dabei fällt mir eine Szene mit dem schon recht betagten Clown Grock (1880 - 1959) ein. Er pflegte einen ganz gewöhnlichen Stuhl zu besteigen und auf dessen Leh­ne sitzend die Konzertina zu spielen. Eines Tages brach die Sitzfläche des Stuhles ein, auf die er sich gestellt hatte. Da stand er nun hilflos im Rah­men des Stuhls, eingekeilt und in schier aussichtsloser Lage. Plötzlich sprang er hoch und saß mit gekreuzten Beinen auf der Stuhllehne. Das Spiel konnte weitergehen. Kein Zuschauer hätte diese Selbstrettung für möglich gehalten. Grock hatte seinen Stuhltrick entdeckt und bewältigte ihn unter größter Kräftekonzentration immer wieder neu, ein akrobatisches Kunst­stück ohnegleichen, das ihm keiner nachmachte.


Literaturempfehlungen:
Oscar Jacobsson - "Adamson"- Bildgeschichten, © 1982 Knaur Taschenbuch 2130 / Edition Erpf, Bern
Robert Storm Petersen - "Das Auto", © 1961 Langen Müller, München
Robert Storm Petersen - "Komische Welt", o.J. Bertelsmann Lesering, Lizenz Rütten & Loening
MIK - "Ferdinand ist da!", © 1983 Edition Erpf, Bern
Grock - "Nit m-ö-ö-ö-glich", © 1962 Feuerberg Verlag, Hannover
Grock - "Ein Leben als Clown", © 1951 Hoch Verlag, Düsseldorf

© Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008
Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.

Redaktion: Frank Becker