Gefeiert, verfemt – und berühmt geblieben - Ufa-Diven im Dritten Reich

Evelyn Steinthaler – „Schau nicht hin“

von Renate Wagner

Gefeiert, verfemt – und berühmt geblieben
 
Ufa-Diven im Dritten Reich
 
So nationalistisch das Dritte Reich war, auf einer Ebene machte man Ausnahmen: Beim deutschen Film durften ausländische Schauspieler zu Starruhm kommen – neben dem Holländer Johannes Heesters vor allem die beiden Schwedinnen Zarah Leander und Kristina Söderbaum, die Ungarin Marika Rökk und die Tschechin Lida Baarová.
Auf diese vier Damen richtet Autorin Evelyn Steinthaler nun den genauen Blick. Nicht auf ihre künstlerischen Leistungen, sondern darauf, welche Zugeständnisse sie an die Nazis machten – und ob sie sich bewußt waren, daß sie durch ihre Arbeit für das damalige Deutschland ein autoritäres Regime auch international bestätigten und bekräftigten.  
In einer Zeit, wo die Welt von russischen Künstlern die Distanzierung von Wladimir Putin verlangt, wenn sie im Westen tätig sein wollen, verwundert es nicht, daß es quasi als Anhang zu den Nazi-Diven ein eigenes Kapitel über „die unpolitische Operndiva“ gibt, wo die Autorin selbst nicht genau zu wissen scheint, wie sie mit dem „Fall Anna Netrebko“ umgehen und ihn letztlich beurteilen soll. Bei den vier hier negativen „Heldinnen“ von einst ist ihre Position jedoch klar, und der Spruch lautet: Schuldig. 
 
Zarah Leander (1907-1981), Kristina Söderbaum (1912-2001)., Marika Rökk (1913-2004) und Lída Baarová (1914-2000) waren Schauspielerinnen, deren Rang im Dritten Reich unbestritten war, falls man heute imstande ist (und man ist es im allgemeinen nicht), ihre Leistungen ideologisch abgekoppelt von der Welt zu sehen, in der sie entstanden sind. Wobei sich das  große Show-Talent Leander sich nicht wie die Söderbaum (durch ihren Gatten Veit Harlan), Rökk (durch ihren Gatten Georg Jacoby) und Baarová (durch ihr Verhältnis mit Goebbels) auf starke persönliche Beziehungen verlassen konnte. Dennoch machte sie Karriere – aus Berechnung, wie die Autorin darzulegen sucht.
Joseph Goebbels war die Schlüsselfigur zu allem, was im Dritten Reich in der Filmwelt geschah. Wer sich seinen Wünschen widersetzte (es gibt den Fall Renate Müller), der konnte seine Karriere abschreiben (und stürzte rätselhaft in den Tod). Andere entzogen sich dem Regime wie Marlene Dietrich, die so schön ins „deutsche“ Konzept gepaßt hätte. Wer da war – Lilian Harvey, Anny Ondra, Olga Tschechowa, Ilse Werner – reichte nicht aus, die riesige Filmindustrie zu bestücken, auch waren so solide Schauspielerinnen wie Paula Wessely, Marianne Hoppe, Brigitte Horney vergleichsweise glanzlos. Die Leander war das nicht. Und wurde, wie die Autorin es formuliert, „die Propaganda-Diva des Herrn Goebbels“. Sie war mit ihrer unvergleichlichen Stimme und ihrem interessanten Aussehen zweifellos die spektakulärste Persönlichkeit unter den vieren.
Ihre Geschichte, die ebenso wie jene der drei Kolleginnen ausführlich erzählt wird, ist nicht neu, man hat sie oft gelesen, oft genug auch schon unter der Anklage des Opportunismus und der politischen Verantwortungslosigkeit.
 
Was die Autorin allerdings am meisten erregt (man kann es nicht anders sagen), ist die Schuldlosigkeit, mit der sich die Damen nach dem Krieg präsentierten (wie auch andere, von Leni Riefenstahl bis Winifred Wagner). Es ist klar, warum Evelyn Steinthaler die „Ausländerinnen“ als Beispiele wählte – deutsche Schauspielerinnen, die nicht ohne Not (sprich ohne jüdische Herkunft) emigrierten wie die Dietrich, hatten keine andere Möglichkeit, den Beruf auszuüben (und nicht in einer Munitionsfabrik zu landen), als zu spielen, was man von ihnen verlangte. Aber niemand zwang zwei Schwedinnen, eine Ungarin, eine Tschechin, in Deutschland Karriere zu machen.
Gleicherweise empörend wird es von der Autorin empfunden, daß alle vier Frauen noch veritable Nachkriegs-Karrieren vor der Kamera (und die Leander und die Rökk auch gefeiert auf Wiener Bühnen) machten. Daß ihre Filme nicht verdammt wurden, sondern nach wie vor zumindest in den Nachmittagsprogrammen der Fernsehsender laufen (obwohl man nicht den Eindruck hat, daß da viele Ufa-Filme zu sehen sind). Daß ihre Namen bekannter geblieben sind als mancher ihrer Zeitgenossinnen, als könnte sich der Glanz, mit dem die Goebbels-Filmwelt sie umgossen hat, auch noch 80 Jahre nach Kriegsende erhalten.
Diese Frauen werfen, so die Autorin, „noch immer ihre langen Schatten in der heutigen Populärkultur. (…) Diese sich bis in das frühe 21. Jahrhundert fortsetzenden Spuren fordern eine Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen von politischen Positionierungen“, über die  Verknüpfung von Kunst und Macht und über die  Verantwortung von Künstlern.
 
Evelyn Steinthaler – „Schau nicht hin“
Kunst als Stütze der Macht – die Geschichte der Diven des NS-Kinos
© 2024 Verlag Kremayr & Scheriau, 208 Seiten,
 25,- €
 
Weitere Informationen: www.kremayr-scheriau.at