Berühren erwünscht

Tony Cragg „Please Touch“ im Kunstpalast Düsseldorf

von Johannes Vesper

Tony Cragg - Foto © Frank Becker
Tony Cragg „Please Touch“

im Kunstpalast Düsseldorf
 
Von Johannes Vesper
 
Materialien haben eine Wirkung auf uns, auf unsere Gefühle auf unsere Gedanken. Man sieht die Breite verglichen mit dem 19. Jahrhundert … alle Materialien mit denen Künstler arbeiten, sind heute möglich, weil wir wissen wollen, was sie für uns bedeuten, …das ist eine neue Zeit“. Begriffe und Kategorien wie figurative und abstrakte Kunst, seien für ihn nicht so wichtig. Mit solchen Worten führte Tony Cragg in seine neue Ausstellung (22.02.-26.05. 2024) ein. Es war wieder einmal ein Genuß, ihm zu zuhören, wie er mit Humor, Heiterkeit und Gelassenheit sein Auditorium infizierte, als er den überraschenden und ungewohnten Zugang zu den im Museum ausgestellten Kunstwerken vorstellte. Denn alle die Skulpturen dieser Ausstellung dürfen und sollen berührt werden: „Please Touch“. Die deutsche Sprache bietet manches an für eine Berührung mit Hautkontakt, wenn man also nicht nur anschaut, sondern anfaßt, antastet, ertastet, und endlich vielleicht sogar begreift, was da vor einem steht. Anschauung, die hier im Lichtraum mit ständig sich ändernder Lichtsituation sensibilisiert wird, reicht nicht. Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalastes erzählte, daß die Berührung als Ausstellungsidee schon seit Jahren zwischen Tony Cragg und ihm im Raum stand. Er habe immer wieder beobachtet, daß Betrachter von Bildern oft zurücktreten, um das ganze Bild ins Auge zu fassen, während sie sich zu Skulpturen eher hinbewegen, Nähe und/oder gar direkten Berührungskontakt suchen. Beim Berühren der Skulptur kommen zur optisch-visuellen Augenweide zwischen Erkenntnis und Erotik weitere sensorische Informationen dazu: Struktur, Textur und Krümmung der Oberfläche, Temperatur des Materials, sein Klang. Tony Cragg verwendet alles, was ausreichende „Festigkeit und plastische Stabilität“ aufweist. Durch die Berührung wird die passive Teilhabe am Kunstwerk zu einer Art aktiver Partizipation. Kunst entsteht im Auge, bzw. unter der Hand des Betrachters. 
 
Die Vielfalt des Materials wie der Formen erstaunt bei Tony Cragg immer wieder: Bronze, Stahl, Fiberglas, Schichtholz, Stein, Glas, Plastik. Daß Bronze schon immer so gerne von Bildhauern benutzt wird, beruht darauf daß Bronze sich bereits bei relativ niedrigem Schmelzpunkt verflüssigt und gut zu polymorphen Formen gegossen werden kann. 
 
Rund 30 Skulpturen werden gezeigt. Da sind Skulpturen der „early forms“ zu sehen, bei denen Flächen hybrid ineinander übergehen, eine gedrehte hochglänzende Edelstahlsäule, ein verfremdeter Kopf aus braun-bunt gemasertem Travertinbrocken („ohne Titel 2019“), dessen spiegelglatte Oberfläche an wenigen Stellen herdförmig zerstört wurde, also einzelne Löcher aufweist, sodaß sicht- und tastbar wird, was drinnen vorgeht (Bild gewordene Psychologie ?).
 
Die Strukturen im Inneren seiner Skulpturen hinter ihrer Oberfläche interessieren ihn schon immer. Schon früher lenkte er den Blick der Betrachter ins Innere seiner Skulpturen, indem er diese löcherte (z.B. 27000 Löcher in „Zufuhr“). Dabei zeigt sich Tony Cragg fasziniert vom Reichtum der Formen in der Natur. Ein Fossil, das er mit acht Jahren gefunden habe, liege immer noch im Regal seines Ateliers und beschäftige ihn, erzählt er. Der Legende nach hat der berühmte Henry Moore als Kind seiner Mutter den Rücken massiert und u.a. so über die Haptik skulpturale Vorstellungen entwickelt. Auf solche oder ähnlich Weise inspiriert worden zu sein, wies Tony Cragg lächelnd zurück. 
 
Eine bisher eher fremde Bild- und Formwelt zeigt seine Skulptur „Die Welle“. Da werden Menschengestalten in einer von Katsushika Hokusai inspirierten Tsunami-Welle großer Wucht umher gewirbelt, ihre Gliedmaßen in die Luft geschleudert, eine amorphe Leibermasse bricht sich schicksalhaft im Raum. Das erinnert an Darstellungen des jüngsten Gerichts aber auch an Mat Collishaw («All Things Fall» ). In Zeiten von Krieg, zunehmendem Rechtsradikalismus, sich manifestierender Klimakatastrophe spiegelt diese Skulptur den Ernst der Lage. 
Alle seine Skulpturen seien „Verlängerungen seiner Hände“, mit denen er ja das Material knetet und formt. Die Skulpturen sind also „Manipulationen“ (aus dem Lat.: manus = Hand, plere = füllen), im ursprünglichen Wortsinn, „Handhabungen“, wovon er mit der Skulptur „Manipulations“ (2017) bildhaft Zeugnis ablegt. 
 
Bei der Betrachtung seiner Skulpturen kommt es auf den Blickwinkel an. „Mental landscapes“, gefertigt aus Jesmonit (Akrylharz auf Gipsbasis) präsentiert sich beim ersten Hinschauen abstrakt, wobei einzelne, die Silhouette überragende Strukturen schnell auffallen. Bei näherem Hinsehen scheint es sich um kleine Öhrchen zu handeln und beim Abtasten der Skulptur mit den Augen entsteht endlich das Bild eines lachenden Narren.
 
Am Ende des Rundganges durch die eher engen, wenig großzügigigen Ausstellungsräume sind Regale aufgebaut, wie sich auch im Atelier des Künstlers finden. Zahllose Utensilien charakterisieren die Arbeitsatmosphäre. Produktives Chaos gehört einfach dazu, seit Jahren.

Tony Cragg Atelier - Foto © Johannes Vesper

Zu dieser unkonventionellen Ausstellung gibt es keinen Katalog. Tony Cragg wollte aber im Gehirn der Besucher präsent bleiben und bietet eine Maske seines Gesichts für 12,- € im Museumsladen an. Die Maske zeigt ihn wie er leibt und guckt, so ähnlich wie der pluralis majestatis auf der Oberfläche der Skulptur „We“ (2015). 
 
Zur Ausstellung wird ein umfangreiches Begleitprogramm angeboten, u.a. Führungen für Blinde und sehbeeinträchtigte Personen (in Kooperation mit dem Blinden- und Sehbeeinträchtigungsverein Nordrhein e,V.. Es gibt öffentliche und Themenführungen, Taschenlampenführungen für Kinder und Erwachsene und mehr.
 
Tony Cragg. Please touch !
22.02.2024-26.05.2024
Kunstpalast - 40479 Düsseldorf - Ehrenhof 4-5 
 
Weitere Informationen: www.kunstpalast.de
 
Tony Cragg in den Musenblättern: https://musenblaetter.de/suche.php?suche=Tony+Cragg
 
Redaktion: Frank Becker