Verbrechen kolonialer Vergangenheit

Katja Lembke (Hrsg.) – „Die Haifischinsel - das erste deutsche Konzentrationslager“

von Johannes Vesper

Die Haifischinsel
 
Das erste deutsche Konzentrationslager
 
Daß die deutschen Konzentrationslager während der NS- Zeit nicht die ersten ihrer Art waren, steht schon bei Wikipedia und ist auch in dem hier besprochenen Band zu lesen. Der spanische General Valeriano Weyler y Nicolau gilt als „Vater der Konzentrationslager“, der mit solchen Rekonzentrationszentren 1895/96 den Aufstand auf Kuba gegen Spanien bekämpfen wollte. Wegen untragbarer Verhältnisse und zahllosen Toten in diesen Lagern mit insgesamt 400.000 Insassen erklärten die USA vielleicht in der ersten militärischen Intervention aus humanitären Gründen Spanien 1898 den Krieg und besetzten Kuba, gleichzeitig die Philippinen, die sie damals von den Spaniern übernommen hatten. Um die sich sogleich bildende philippinische Unabhängigkeitsbewegung von Amerika freundlichen Einheimischen zu trennen, wurden auch dort Konzentrationslager angelegt, die bald überfüllt waren und Zustände wie zuvor in Spanien boten. Auf Afrikanischem Kontinent war es der berühmt-berüchtigte Lord Kitchener, der in Südafrika seit 1900 im 2. Burenkrieg die englische Kolonialherrschaft stärkte, indem er einheimischen Buren und Schwarze in rund 100 Konzentrationslager sperrte.
 
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es Missionare, die als erste Deutsche nach Südwestafrika gingen. Der Zusammenhag zwischen Mission und Kolonialismus ist eine längere Untersuchung wert. Das Haus des ersten Missionars ist das älteste Steinhaus Namibias. Adolf Lüderitz kam als Kaufmann aus Bremen erst 1884 in dahin, unmittelbar nach dem Berliner Kongreß, auf dem die Welt unter den europäischen Mächten kolonial aufgeteilt wurde. Am 7. August des Jahres wurde die Region unter „deutschen Schutz“ gestellt, das erste deutsche „ Schutzgebiet Lüderitz“ geschaffen. Die Briten hatten auch schon einen begehrlichen Blick auf den Südwesten geworfen, und bereits wenige Jahre später zu Beginn des 1. Weltkriegs die namibische Küste besetzt, womit das deutsche Kolonialkapitel dort nach 30 Jahren beendet war. Die Deutschen haben in Namibia vor allem Bodenschätze gesucht, dazu Siedlungen gegründet, Straßen befestigt und Eisenbahnen gebaut. Die Geschichte der deutschen Konzentrationslager wird zwischen zahlreichen historischen wie zeitgenössischen Fotos abgehandelt. Die Akzeptanz des deutschen Kolonialismus wurde 2016 in einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums dokumentiert. Mit ihrem schmalen Band will die Herausgeberin das Konzentrationslager, welches auf der Haifischinsel vor Lüderitz/Namibia von 1905-1907 existierte, in Erinnerung bringen, und sieht eine Kontinuität zwischen der kolonialen deutschen Katastrophe des Kaiserreichs und der Shoa unter den Nationalsozialisten, welcher Gedanke weder originell noch neu noch in der Literatur unumstritten ist. Katja Lemke bezieht sie sich auf Hanna Ahrendt, Caspar W. Friedrichsen und zwei Magisterarbeiten aus Berlin und Wien. 
 
Aber immerhin hat sie mit Methoden der historischen Archäologie wohl zum ersten Mal das Konzentrationslager auf der Insel untersucht, wobei sich Berichte aus historischen Dokumenten augenscheinlich ergiebiger erwiesen als die Ausgrabungen. Bei denen konnten immerhin Reste der Wasserversorgung des Lagers identifiziert werden. Zu welchem Zweck „wissenschaftliche Rassenkunde“ damals betrieben worden ist, bleibt im Text offen. Mit welcher wissenschaftlichen Fragestellung 1913 abgeschlagene, präparierte Köpfe toter Kriegsgefangener in deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert wurden, wird nicht angegeben und ist einfach nur entsetzlich. Im Zusammenhang mit den Aufständen der Herero und Nama werden noch heute Reparationen gefordert. Deutschland und Europa wurden in den Kolonien als Räuber von Bodenschätzen und Kunst wahrgenommen, mit welchem Image man noch heute zu kämpfen hat. Über Reparation und Restitution muß verhandelt werden. Wie weit Deutschland durch seine Kolonialpolitik nationale Identität in Afrika zerstört hat, ist in Bezug auf Kamerun anderswo umfangreich dokumentiert. 
Der populärwissenschaftliche vorliegende Band über die Haifischinsel und das ehemalige KZ daselbst bietet in relativ kurzen Kapiteln einzelne Aspekte der Deutschen Kolonialgeschichte in Namibia und reiches Bildmaterial. Ein Literaturverzeichnis wird dem Interessierten zupaßkommen.
 
Katja Lembke (Hrsg.) – „Die Haifischinsel - das erste deutsche Konzentrationslager“ 
© 2023 Nünnerich-Asmus Verlag & Media, 96 Seiten, kartoniert - ISBN 978 –3– 96176 – 242 – 2
20,- €
Weitere Informationen: www.na-Verlag.de