Weltliteratur neu aufgelegt

Giuseppe Tomasi Di Lampedusa - „Der Leopard“

von Johannes Vesper

Weltliteratur neu aufgelegt 
zum 60. Jahrestag der deutschen Ersterscheinung
 
Giuseppe Tomasi Di Lampedusa
Der Leopard
 
Worum geht es? Um das Drehbuch zum weltberühmten Film von Luchino Visconti mit Burt Lancaster und Claudia Cardinale (1963)? Um Konsumliteratur? Unterhaltungsliteratur oder doch literarisches Meisterwerk? Jedenfalls hatten zwei wichtige italienische Verlage Proben des Romans erst einmal abgelehnt, als der Autor (1896-1957) starb, ohne zu wissen, ob das Werk je verlegt werden würde. Die letzten drei Jahre seines Lebens hatte er daran geschrieben. Geboren als Fürst von Lampedusa, die Insel gehörte bis 1849 der Familie, hatte er sich sein ganzes Leben lang der Literatur gewidmet, und in fünf Sprachen (auch Deutsch und Russisch) alles gelesen, was ihm vor die Augen kam. Als vermögender Adliger konnte er es sich erlauben, ohne notwendigen Broterwerb von Jugend an der Muße zu pflegen und brachte es immerhin zum Privatdozenten. Die gelegentlichen Vorträge über die europäische Literatur der Zeit wurde vor Jahren z.B. bei Wagenbach publiziert.
 
Zum Schriftsteller aber wurde er erst mit diesem Roman über seine Familie und über Sizilien. Den Plan dazu hatte er wohl 25 Jahre lang mit sich herumgetragen, geschrieben hat er ihn bei Cappuccino und Cornetti in einem Café Palermos. Die Handlung des Romans verlegte er von Lampedusa weg auf die Insel Salina, die zu den Liparischen Inseln nördlich von Sizilien gehört, und nannte die Familie Salina, nach deren Wappentier auch der Titel des Werkes gewählt wurde. Die vorliegende und kürzlich erschienene Taschenbuchausgabe ist die dritte deutsche Übersetzung, deren Schwierigkeiten der Übersetzer Burkhart Kroeber im lesenswerten Nachwort reflektiert. Der Roman spielt am Ende des Risorgimentos, als Garibaldi mit einer Söldnertruppe („Zug der Tausend“) 1860 von Genua aus nach Sizilien gelangte, um von dort aus in einem Feldzug nach Norden die Einigung Italiens zu erreichen. Don Fabrizio, das Familienoberhaupt der Salinas, litt unter dem Niedergang des Adels, seiner Familie und vor allem dem seines Vermögens. Er wußte: „Wir können bestenfalls für unsere Kinder sorgen, vielleicht noch für unsere Enkel, aber jenseits dessen, was wir noch hoffen können, mit eigener Hand zu liebkosen, haben wir keine Verpflichtungen.“ Das sieht die letzte Generation heute anders. Die Virtuosität und Souveränität, mit der Garten der Villa und dessen „fleischig fade“ Gerüche oder der Eselskarren in der Stadt mit hochgestapelten frisch geschlachteten, schon gevierteilten, ihre blutigen Innereien zur Schau stellenden Rindern beschrieben werden, bietet reines Lesevergnügen und erinnert an Zola, wenn der sich seitenlang über die See- und Flußfische in den inzwischen abgerissen Hallen von Paris ausläßt. Erstaunlich auch wie oft und wie stark es auf Sizilien sintflutartig regnet, damals noch ohne Klimawandel. Überlange Fingernägel waren in der Zeit keine törichte, effekthaschende Mode des Prekariats, sondern nutzten dem adeligen Leser beim Umblättern der Bücher Auch die Schilderung der Audienzen bei „Seiner Erhabenheit, dem Bourbonen König beider Sizilien“ in heruntergekommenen Palästen zeigt, wie differenziert, umfänglich und souverän Autor wie Übersetzer mit Wörtern und Sätzen umgehen. „Daß die Wollust des Du-bist-schuld-Rufens die größte ist, die der Mensch genießen kann“ zeigt sich im problematischen Verhältnis zwischen Fürsten und Fürstin nächtens im Bett. Da kann er das „tu dies“ und „tu das“ nicht mehr ertragen. Da ist endlich mal er es, der entscheidet, während sie zum Baldrianfläschchen greift. Also doch Weltliteratur und Schmöker!
Statt mit der Ehefrau zu streiten, zieht Don Fabrizio aber lieber nachts beim Mondenschein „auf der Terrasse mit Wein die Kometen am Schweif“, fährt tagsüber ins Bordell nach Palermo, wenn er nicht in der Unberührtheit der offenen Landschaft jagt. Da schießt er ein erdfarbenes Wildkaninchen, dessen „zwei große schwarze Augen erfüllt von tiefer Trauer über die ganze Ordnung der Dinge“ und „gemartert von der angstvollen Hoffnung, sich noch zu retten …“ den Jäger fast menschlich ansehen. Am Ende aber stirbt auch Don Fabrizio, und seine würdige, ehemals schwarze, inzwischen graue, mottenzerfressene Dogge wird vom Müllmann entsorgt.
 
Wer Sizilien, seine Eigen- und Schönheit kennenlernen und genießen will, dem sei dieser lesenswerte Roman empfohlen. Und die sizilianische Denke bezüglich Garibaldi, der italienischen Einigung und überhaupt der modernen Zeit erläutert der fürstliche Neffe dem Onkel mit dem berühmten Satz: Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, muß alles sich ändern.‘“ Immer noch und nicht nur auf Sizilien aktuell.
 
Giuseppe Tomasi Di Lampedusa - „Der Leopard“
Roman. Deutsch von Burkhart Kroeber
©2023 Piper Verlag, 2. Auflage Taschenbuch, 399 Seiten - ISBN: 9783492318631
14,-€
 
Weitere Informationen:  www.piper.de