Heute gelang alles

François Leleux (Oboe und Leitung) im 4. Sinfoniekonzert der 161. Wuppertaler Saison

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Heute gelang alles
 
Johannes Brahms – Franz Krommer – François Leleux (Oboe und musikalische Leitung)
im 4. Sinfoniekonzert der 161. Wuppertaler Saison
 
Von Johannes Vesper
 
Keine Oper, aber immerhin zwei Ouvertüren hat Johannes Brahms (1833-1897) geschrieben. Zu Beginn gab es also sein Gastgeschenk für die Verleihung des Ehrendoktors der Philosophie an ihn (Universität Breslau). Die Fakultät war der zehnminütigen Akademischen Festouvertüre nicht anzuhören. Geschwind, mit Feuer legte das sehr große Orchester (mit Piccolo, Kontrafagott, Tuba, riesigem Schlagwerk) unter dem inspirierenden Dirigat von François Leleux los. Über den leisen, geschwinden Marsch zu Beginn klingen bald synkopische, typisch Brahmssche Orchesterschläge und Studentenlieder, darunter urkomisch das fast zu geschwinde „Fuchslied“ (8./9. Strophe: „Was mach´d die Frau Mama, sie fängt dem Papa Flöh“). Wunderbar, wie Brahms mit großem Apparat die Banalität der Themen orchestral verhackstückt und zuletzt vor triumphalem „Gaudeamus igitur“ mit vollem Orchester und starkem Blech nicht zurückschreckt. Musikantisch frisch musizierten zur Freude des Publikums die Sinfoniker, wurden bei diesem musikalischen Spaß vom Dirigenten mit seinem eleganten wie präzisen Dirigat, nur seltenem scharfen Blick zu reizvoller Dynamik (PP mit Finger auf den Lippen) und überraschendem Wechsel zwischen Legato und Stakkato angehalten. Wunderbar wie er mit Freude der Pauke die Einsätze zuwinkte. Zum ersten Mal gab es hier großen Applaus aus dem voll besetzten großen Saal.
 
Übrigens, als Ehrendoktor ist Brahms unter den Komponisten nicht der einzige: Mendelssohn (Leipzig), Dvorak (Cambridge und Prag. Er wurde sogar geadelt), Max Reger (Dr. med.!), Max Bruch (beide Berlin) sind die bekanntesten Komponisten-Doctores h.c..
Das 2. Oboenkonzert von Franz Krommer (1759-1831) war zu seiner Zeit sehr bekannt. Der böhmische Komponist, ein Nachfolger Mozarts als Hofkomponist in Wien, hatte sich als kaiserlicher Kammertürhüter bei Reisen durch ganz Europa profiliert. Nach seinem Tode wurde er schnell vergessen. Dabei hatte er viel komponiert: Sinfonien, Konzerte, Blas- und Kammermusik. Zeitgenosse Beethoven mochte ihn nicht, hielt ihn wohl für einen Konkurrenten.
 

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Beim Oboenkonzert spielte der Dirigent zum Dirigat auch das Soloinstrument. Mit Temperament und musikalischer Intelligenz präsentierte er das Konzert. Im Interview hatte er die Frage nach Oboe und Dummheit mit dem Hinweis auf Fußballer und Kopfbälle gekontert. Bei den Oboisten war jedenfalls heute ein Risiko nicht zu belegen. Der Dirigent kommunizierte souverän körpersprachlich, sich biegend vor dem Orchester, kontaktierte mit ausdrucksvoller Mimik die Streicher oder hielt die Oboe mit der einen und dirigierte mit der anderen Hand. Wenn 150 ml Luft/sec durch das Instrument gejagt werden müssen, gilt es, souverän zu bleiben, wenn die Luft knapp wird. Heute gelang alles. Mit dem eindrucksvollen Konzert wurde wieder mal gezeigt, welche musikalischen Perlen unter den Spitzen musikalischer Eisberge (Mozart, Beethoven, Schubert usw.) zu entdecken sind. Schon im ersten Allegro entwickelte sich ein beglückendes Wechselspiel zwischen der Solo-Oboe und z. B. Fagott, wobei das gesamte Orchester kammermusikalisch mit dem Kollegen an der Solo-Oboe musizierte. Im langsamen 2. Satz hörte man, als die Oboe über langsamen, harmonisch erregenden Streicherrepetitionen höchst ausdruckvoll quasi eine Arie anstimmte, die berühmte Stecknadel im Saal fallen. Mit punktiertem Stakkato begann der sehr flotte Dreier des Schlußsatzes, in welchem Episoden höchster Virtuosität mit elegischeren Episoden wechseln. Nach sehr flinker Stretta der Sonderklasse brach sofort frenetischer Applaus und Jubel aus, den François Leleux gleich auf die vorzüglichen Orchestersolisten lenkte. Er bedankte sich für den Applaus mit dem Hinwies auf das Glück eines wunderbaren Konzertes in diesen kriegerisch-bedrohlichen Zeiten und einem nachdenklichen Stück Christian Willibald Glucks. Das Publikum zeigte sich höchst beeindruckt von diesem Debüt des Dirigenten, der vor zahlreichen Orchestern (Orchestre de Chambre de Paris, Camerata Salzburg, hr-Sinfonieorchester u.a.) gestanden hat und als Solist aufgetreten ist u.a. mit den New York Philharmonikern und dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin.
 
Nach der Pause gab es dann die Zweite Sinfonie von Johannes Brahms, der selbst dazu geschrieben hatte, daß er nie etwas „Traurigeres, Molligeres“ geschrieben habe. Das sah Eduard Hanslick, der Kritiker und gefürchtete Bösnickel jedenfalls für Bruckner und Wagner anders: „Die zweite Symphonie scheint wie die Sonne erwärmend …. sie gehört allen, die sich nach guter Musik sehnen. Sie leuchtet in gesunder Frische und Klarheit…;“. Recht hatte er.
Das den 1. Satz bestimmende Dreiton-Eingangsmotiv (D-Cis-D) wechselt zunächst zwischen Blech- und Holzbläsern, bleibt im ganzen 1. Satz präsent, wird variiert, erweitert, leicht abgeändert und rhythmisiert. Nach leiser Pauke entsteht dann das prächtige Thema der Celli. Das reiche, thematische Material wird in der Durchführung um und um gewirbelt, bevor nach schönem Hornsolo in der Reprise das Eingangsmotiv erneut friedliche Stimmung verbreitet. Der Holzbläserchor gefiel heute auch in den Soli besonders. Ernst begannen die Celli mit gegenläufig fallendem Thema das Adagio des 2. Satzes, der einer der eindrucks-, bzw. ausdrucksvollsten orchestralen Adagio-Sätze des 19. Jahrhunderts ist. Das Allegretto des 3. Satzes mit überraschendem, ornamentalem Vorschlag auf der 3. Note vermittelt keine existentiellen Auseinandersetzungen. Bei ihm handelt es sich eher um eine rhythmisch vertrackte (ständige Taktwechsel) Serenade oder Suite. Auch hier entfaltet sich der Chor der Holzbläser souverän und klangreich über dem Pizzi der Celli. Der Schlußsatz beginnt zunächst geheimnisvoll-gespenstig, bevor er mit Brahmsscher Kraft und Brahmsschem Rhythmus richtig losbricht. Wenn dann nach längerem Gewühl des vorderen Orchesters in der letzten Reihe die Posaunen ergriffen werden, sich die Tuba aufrichtet und das prächtige Blech strahlt, naht das glanzvolle Ende dieser großen Sinfonie. Erneut Begeisterung des Publikums. Bravi, Pfiffe, zusätzlich Blumen und eine Flasche für den Dirigenten, der mit seinem Debüt mehr als überzeugte.
 

Foto © Johannes Vesper

4. Sinfoniekonzert, 1. Aufführung So. 17., 2. Aufführung heute, Montag 18.12.2023 20 Uhr, Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal. Sinfonieorchester Wuppertal, François Leleux, Oboe und musikalische Leitung.
Johannes Brahms: Akademische Festouvertüre c-Moll op 80.
Franz Krommer: Oboenkonzert Nr. 2 F-Dur op. 52 1. Allegro, 2. Adagio, 3. Rondo.
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op 73, 1. Allegro non troppo, 2. Adagio non troppo, 3. Allegretto grazioso, 4. Allegro con spirito