„Jauchzet, frohlocket“

Die Wuppertaler Kurrende mit dem Weihnachtsoratorium

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

„Jauchzet, frohlocket“
 
Die Wuppertaler Kurrende mit dem Weihnachtsoratorium
 
Von Johannes Vesper
 
Nach vielen Jahren hat die Wuppertaler Kurrende jetzt, verstärkt durch den NFM Boys Choir Wroclaw, das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach mit vier hochrangigen Solisten und Concerto Köln wiederaufgeführt. „Ein wunderbarer Auftakt zum Jubiläumsjahr 2024“ schrieb Lukas Baumann im Programm, der in der Saison 2023/24 mit der Kurrende u.a. in Luxemburg, Italien und Frankreich gastiert. Selbst ehemaliger Kurrendaner, leitet er den Knabenchor seit Sommer 2022. Das Weihnachtsoratorium ist eines der populärsten und volkstümlichsten Werke Bachs (1685-1750) und gehört für viele zu Weihnachten wie die Christvesper zum Heiligen Abend. Der große Saal der Historischen Stadthalle war ausverkauft, obwohl das Werk allein in Wuppertal im Dezember dreimal aufgeführt wird. Die sechs Kantaten, je eine für die christlichen Festtage zwischen dem ersten Weihnachtstag und dem Dreikönigstag, waren 1734/35 im Original für Knabenchor geschrieben (Thomaner) worden. Die Kurrende knüpfte also an große Traditionen an.
 
In hohem Tempo sauste mit historischem Barock-Klang Concerto Köln los. Pracht und Klangfülle des Eingangschor, ursprünglich als „Tönet ihr Pauken, erschallet Trompeten“ anläßlich eines Geburtstags der Kurfürstin komponiert, entstand dann mit dem Einsatz des ausgezeichnet präparierten Chores, der sich unter dem exakten wie inspirierenden Dirigat von Lukas Baumann voll entfaltete. Gegen den Glanz des Chores kamen die ventillosen Barocktrompeten von Concerto Köln kaum an. Die gestalterisch auffällige Dynamik der historischen Pauken schon im ersten Takt gehört wohl zur historischen Aufführungspraxis, ist aber gewöhnungsbedürftig. Mit beweglicher Strahlkraft begann Markus Schäfer die tenoral-rezitativische Erzählung der Weihnachtsgeschichte. Der renommierte Tenor, Gesangsprofessor aus Hannover, war kurzfristig für den erkrankten Daniel Johannsen eingesprungen und erst am Vortag per Zug aus dem Vogtland angereist. Mit warmem, beseeltem Alt reflektierte Marie Henriette Reinhold, die in Bayreuth schon als Blumenmädchen im Parsifal zu hören war, hier „mit zärtlichen Trieben“ die Geburt Jesu, begleitet von sauberer Oboe d´amore. In bewegendem Piano gestaltete der Chor meditativ den Choral „Wie soll ich Dich empfangen“. Als „Großer Herr und starker König“ wurde der souveräne und sonore Bariton von Thomas Laske begleitet von den Barocktrompeten des Orchesters.
 
Concerto Köln ist als Ensemble für Barockmusik international bekannt und hat 2022 der sächsischen Hofmusik zu Bachs Zeiten ein glänzendes Denkmal gesetzt (Pisendel). Heute wird Johann Sebastian Bach im Allgemeinen historisch aufgeführt, was den Vorteil hat, daß das Orchester nie Gefahr läuft, Chor und Solisten zu überdecken. Der feine Klang der Instrumente scheint an die menschliche Stimme angepasst, ist aber gewöhnungsbedürftig.
Die Sinfonie im 6/8Takt zu Beginn des zweiten Teil Teils ist eine Originalkomposition, die die Zuhörer mit Fantasie an der Stimmung der Hirten in der Heiligen Nacht in der Wüste teilnehmen ließ. Sauber, dynamisch differenziert, im Wechsel zwischen Streichern und Oboen, jugendlich flott gespielt verstrich die Nacht geschwinde bis die Himmel am Morgen („Brich an du schönes Morgenlicht“) in reduzierter Lautstärke tagten. Die Furcht der Hirten auf dem Felde, versinnbildlicht durch abstürzende Continuo-Sechzehntel, war im PP da schon untergegangen. Tatsächlich sind nur wenige Stücke des Weihnachtsoratoriums Originalkompositionen, denn Bach kopierte gerne eigene frühere Gelegenheitsmusiken und unterlegte sie mit kirchlichen Texten (nicht nur Eingangschor). Solches Parodieren (Zitieren) war im Barock weithin beliebt und zeigte eine gewisse kompositorische Ökonomie, die aber mit der Ökonomisierung des Weihnachtsfestes heute gar nichts zu tun hat. Virtuos, froh und schnell eilten sodann Tenor und Soloflöte durch die Arie Nr. 15, bevor der „gesamte Chor“ der Hirten mit Herzklopfen (Stakkato beim nachfolgenden Bariton Arioso) im finsteren Stall den Choral „Schaut hin…“ erklingen ließen. Die homogene Kultur und Klangfülle der 65 Kurrendaner und 30 Knaben des NFM Boys Choir Wroclaw erstaunte, hatten die Jungen doch nur einen Nachmittag für gemeinsamen Proben. Im übrigen wurde das Weihnachtsoratorium als Ganzes doch erstmalig 1845 in Breslau aufgeführt. Dieser Knabenchor ist war 2009 gegründet worden, hat gesungen in Europa u.a. unter John Eliot Gardiner, Zubin Mehta und ist beheimatet im National Forum of Music in Wroclaw, einem der größten Konzerthäuser Europas.
 
Bei der Arie „Schlafe mein Liebster“ musizierte die Soloaltistin mit Oboe d´amore und Solovioline nahezu kammermusikalisch intim, durchsichtig. Besonders beglückend war der seelenvolle da capo Beginn im pp. In den folgenden Glanzstücken des Chores („Ehre sei Gott..“, Herrscher des Himmels (Beginn des 3. Teils) zeigten Chor und Orchester „mit voller Kraft“ was da musikalisch möglich ist. Wunderbar füllte die Mittelstimmen des Chores den Gesamtklang. Julie Sophie Wagner (Ensemblemitglied der Leipziger Oper) und Thomas Laske gestalteten ausdrucksvoll und sicher miteinander ihr Duett („Herr dein Mitleid…“). Über das „selige Wunder“ sang die Altistin in Begleitung der Solovioline mit kleinem wie feinem Ton. Im Chor Nr. 33 (Ich will Dich mit Fleiß bewahren.) wurde die Vorfreude auf das ewige Leben mit überraschend langer Generalpause nach der Fermate deutlich markiert. Einen musikalischen Höhepunkt stellte der Choral Nr. 59 „Ich steh an deiner Krippen hier …“ dar. Im zarten, verhaltenen Chorklang ging das Herz auf, wenn dem Kind in der Krippe „Geist, Herz, Seel und Mut“ geschenkt wird. Immerhin spielt die Geschichte im Heiligen Land, wo man am 7.Oktober mit Kindern und Kleinkindern anders umgegangen ist. Aber im letzten Rezitativ verbreitet der inzwischen leicht angestrengte Tenor doch Zuversicht: „Was will der Hölle Schrecken nun“ und im Schlußchor hörte man gerne, daß „Tod, Teufel, Sünd und Hölle ganz und gar geschwächt“ sind. Hoffentlich. Mit frenetisch-jubelndem Applaus, Pfiffen, Bravi, stehenden Ovationen feierte das Publikum die Kurrende und ihre Gäste, das Orchester. Blumen gab es zusätzlich für die Solisten, die Leiterin der NFM chlopców und den Dirigenten. Eine Sternstunde der Kurrende in Wuppertal.
 

Foto © Johannes Vesper

Johann Sebastian Bach (1685-1750): Weihnachtsoratorium Kantaten I-III & VI. 02.12.2023 Forum Niederberg Velbert. 03.12.2023 Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal. Ausführende: Wuppertaler Kurrende, NFM Boys Choir Wroclaw (Einstudierung Malgorzata Podzielny), Concerto Köln, Julie Sophie Wagner (Sopran), Marie Henriette Reinhold (Alt) Markus Schäfer (Tenor), Thomas Laske (Bariton), Gesamtleitung : Lukas Baumann