„Quid sum miser tunc dicturus”

Große und rare Chorwerke mit dem Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal

von Johannes Vesper

Gregor Meyer - Foto © Johannes Vesper
„Quid sum miser tunc dicturus”
 
Requiem aeternam
 
Von Johannes Vesper
 
Wenn bei Felix Mendelssohn-Bartholdy der Hirsch nach frischem Wasser schreit, dann ist das keine Folge des Klimawandels, sondern die Vertonung des 42. Psalms. Es geht um Gottferne, bei der die Seele dürstet. Tiefe Kontrabässe eröffnen das Werk, bevor der Alt des Chores der Konzertgesellschaft Wuppertal dann der ganze Chor von der schreienden Seele singt, bzw. Veronika Seghers mit hellem, beweglichem, jugendlichem Sopran einfällt und ihr Herz ausschüttet. Mit Mendelssohnscher Eleganz wurde mit großen Emotionen Gott gesucht, unter denen der Mensch fast untergehen könnte („alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich-„). Aber alle Betrübnis der Seele weicht, wenn die Solistin, inzwischen begleitet von höheren Streichern ohne Kontrabässe, gemeinsam mit dem Chor in der musikalisch starken wie hymnischen Empfehlung „Harre auf Gott“ den Herrn Israels zuversichtlich preist, was heute dort im Vergleich zur Zeit des Alten Testaments nicht leicht fällt. Thomas Laske und Uwe Stickert, ergänzt um Chorsolisten (Volker Herminghaus, Bernd Übermuth) kommen dazu und singen von den Verheißungen des Herrn am Tage und ihrer trotzdem betrübten Seele. Mit Sangesfreude, Volumen und wunderbarer Dynamik präsentierte sich der Chor dem Publikum, folgte sauber, wach, und musikalisch dem klaren Dirigat Gregor Meyers. Der Leiter des Gewandhauschors zu Leipzig war zum zweiten Mal aus Leipzig für ein Konzert des traditionsreichen Chores der Konzertgesellschaft Wuppertal angereist, der seine motivierende Souveränität und Musikalität sehr zu schätzen weiß. Glänzend eingestimmt ging man in die Pause.
 

v.l., stehend: Thomas Laske, Volker Herminghaus, Bernd Übermuth, Uwe Stickert - Foto © Johannes Vesper

Hans Rott, Emilie Meyer, Friedrich Gernsheim, Anton Urspruch, Georg Goltermann, Julius Rieth und viele andere Komponisten mehr schaffen es mit ihren Werken aus dem 19. Jahrhundert nur noch selten in heutige Konzertprogramme. Dazu gehört auch Louis Théodore Gouvy (1819-1898), dessen Requiem op. 70 nach Pause aufgeführt wurde. Die Familie des Komponisten hatte in der Stahlbranche eine große Rolle gespielt. Das Unternehmen war 1751 aus Belgien (Region südöstlich von Lüttich), nach Saarbrücken-Schafsbrücke (französisch Goffontaine) verlegt worden. Dort wurde Theodore Gouvy als Preuße geboren. Er sprach fließend Französisch wie Deutsch und wollte in Paris Musik studieren, aber das Konservatorium hat den Ausländer (Französische Staatsbürgerschaft erst 1852) abgelehnt. Theodore nahm Privatunterricht, brach mit 20 Jahren das den Eltern zuliebe begonnene Jurastudium ab und lebte im Wesentlichen von seinem Vermögen nach dem Verkauf seiner Anteile am Stahlwerk. Nach dem Tod der Mutter zog er 1868 zu seinem Bruder nach Humerich, wenige Kilometer westlich von Saarbrücken in Lothringen.
 
Das Requiem beginnt mit einem stehenden Holzbläserakkord, nach dem die Celli sonor und klangvoll aus der Tiefe aufstiegen. Die ewige Ruhe (Requiem aeterna...) wurde zunächst vom Damenchor erbeten. Punktierte Orchesterbässe kündigen aber an, daß der Jüngste Tag noch bevorsteht und nach einer Generalpause dann auch ausbricht. Wüstes Tremolo der Streicher, synkopierte Paukenblitze, heftige Sforzati der Streicher steigern das Grauen und den Ernst des Jüngsten Tages, wenn sich das Weltall entzünden will. Bei dem im Großen und Ganzen eher eleganten Allegro hört man später noch mal hin, wenn die Posaunen zusätzlich blasen und Orchesterschläge im Wechsel mit Pausen und leiser Pauke Aufmerksamkeit erfordern.
 

Foto © Johannes Vesper

Im Grunde bleibt diese Musik im Gefolge Mendelssohns gefällig vor allem, wenn man bedenkt, daß dieses Werk im gleichen Jahr des doch gewaltigen und großartigen Requiems von Giuseppe Verdi entstanden ist, nämlich 1874. Brahms und Wagner haben keine signifikanten Spuren hinterlassen. Zu der Zeit war Theodore Gouvy im besetzten Lothringen nach dem Deutsch-französischen Krieg 1870/71 wieder deutsch. Seine frühen Instrumentalwerke wurden in Frankreich nicht sehr geschätzt. In der von Camille Saint Saens gegründeten Société Nationale de Musique spielte er keine Rolle, obwohl Hector Berlioz ihn im Paris aufdringlich „brummender und nervender musikalischer Eintagsfliegen“  schon 1851 sehr schätzte. Gouvys Werke wurden in Köln, Mönchengladbach und vor allem Leipzig aufgeführt, wo er auch starb. Sechs Sinfonien, Trios, Quartette, Quintette, Klaviermusik, Lieder, Chorwerke, Kantaten, Requiem, zwei Opern „Le Cid” und „Mateo Falcone” hat er geschrieben.
 Nach dem Ende mit Pizzicato übernahmen die Posaunen (Tuba Mirum) zusammen mit Thomas Laske und seinem starkem Bariton die Regie. Eindrucksvoll gestaltete der Chor mit kurzen Einwürfen von der Auferstehung der Toten.
 

v.l.: Sylvia Rena Ziegler, Veronika Seghers - Foto © Johannes Vesper

Nach sehr schönem Solo des Englisch Horns beeindruckte der dunkle, klangreiche Alt von Sylvia Rena Ziegler im Recordare. Mit schnellen Sechzehnteln stürzten im mächtigem „Confutate“ die Verdammten in die Hölle. Endlich brach unter prächtigem Blechfanfaren das Sanctus aus, und der Solo-Sopran erhob sich strahlend über diskreten Holzbläsern. Das Hosianna erwies sich im ersten Durchgang bei sehr schnellem Tempo als heikel und vertrackt für den Chor, der, teilweise unisono mit dem geschwinden Orchester, die Aufgabe aber brillant gemeistert und vor allem bei der Wiederholung schwer beeindruckt hat. Zuletzt glänzten Chor, Orchester und die Solisten im Agnus dei und nach einem eindrucksvollen Lux aeterna mit allen Beteiligten blieb es lange still bevor heftiger Applaus ausbrach. Pfiffe Bravi, Sonderapplaus für die Orchestersolisten, Blumen für die Solisten und für Georg Leisse, der diesen Chor für das Konzert einstudiert hatte. Wieder einmal zeigte sich der Chor der Konzertgesellschaft mit dem Sinfonieorchester unter dem chorerfahrenen Gregor Meyer in bester Form. Auf das Verdi-Requiem im Frühjahr kann man sich freuen.
 
1. Chorkonzert der 161. Saison. Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal und Sinfonieorchester Wuppertal. Felix Mendelssohn-Bartholdy: Psalm 42 „Wie der Hisch schreit“ op. 42. Louis Théodore Gouvy: Requiem op. 70. Veronika Seghers (Sopran). Sylvia Rena Ziegler (Mezzosopran), Uwe Stickert (Tenor), Thomas Laske (Bariton). Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal e. V. (Einstudierung Georg Leisse), Sinfonieorchester Wuppertal. Leitung: Gregor Meyer Dirigent
­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­