„Danke, verehrtes Publikum“

Gala-Konzert in Wuppertal zum Abschied Franz Xaver Ohnesorgs vom Klavierfestival Ruhr

von Johannes Vesper

Gidon Kremer und András Schiff - Foto © Peter Wieler 

„Danke, verehrtes Publikum“
 
Gala-Konzert in Wuppertal zum Abschied Franz Xaver Ohnesorgs vom Klavierfestival Ruhr
 
Nach 28 Spielzeiten verabschiedete sich Franz Xaver Ohnesorg als Intendant des Klavierfestivals Ruhr mit einem Konzert der Weltklasse. Sieben Weltstars kamen dazu in den Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal. Daß das Klavierfestival nicht nur von künstlerischer, sondern auch von politischer Bedeutung ist, zeigt der Blick auf seine Geschichte. 1988 vom Initiativ Kreis Ruhr gegründet, um bei dem auch damals notwendigen Strukturwandel weg von Kohle und Stahl dem Ruhrgebiet zu neuer, anderer Identität zu verhelfen, fördert es seit 2005 mit seinem Education-Programm die gesellschaftliche Integration der Jugend in problematischen Regionen. Bei dem jetzigen Konzert demonstrierte man wie schon wie beim Konzert im Juli 2023 vor dem Konzertsaal mit Plakaten gegen RWE, einen der Hauptsponsoren des Festivals. Diesmal drangen die Anti-Kohle Demonstranten unter Randale in den Saal ein, wo sie, unverständliche Parolen schreiend, Flugblätter von der Empore aus in den Saal warfen und von Ordnern aus dem Saal entfernt werden mußten, nach dem Franz Xaver Ohnesorg auf das Hausrecht verwiesen hatte. Das Publikum hatte Gegenlärm des Unmuts, aber auch Beifall produziert. Merkwürdig! Das Ganze erinnerte an Saalschutzaktivitäten in den 20er Jahren.
 
Nach wenigen Minuten aber stellte sich wieder konzentrierte Konzertatmosphäre ein und Franz Xaver Ohnesorg eröffnete in bekannter sprachlicher Eleganz und Souveränität dieses erstaunliche Konzert, zu dem die musikalischen Freunde, einige von weit her, angereist waren, obwohl sie am folgenden Morgen wieder zu Proben und Konzerten in Berlin und Amsterdam antreten mußten. Der greise Alfred Brendel war gar eigens aus London gekommen.
Kit Armstrong, der Naturwissenschaftler unter den Pianisten, bot zu Beginn Tastenmusik von John Bull und William Byrd aus einer Zeit, in der das Hackbrett mit den fliegenden Hämmern zwar schon überholt, aber das Klavier noch nicht erfunden war. Dieses frühe flotte, empfindungsreiche wie hoch virtuose Klavierspiel aus dem 16. Jahrhundert (ursprünglich für Cembalo) wird den Weg in die Herzen der damaligen Zuhörer durchaus gefunden haben. Die frühe Pracht der reichen Triller und reiner Polyphonie fast ohne Harmonie (kaum Akkorde) erscheint heute gewöhnungsbedürftig, entfaltete aber als Ohrenöffner große Wirkung.
Till Fellner, von Alfred Brendel vor vielen Jahren zum Klavierfestival gebracht, spielte, da Ohnesorg „keinen Tag ohne Schubert aushält“, die beiden Impromptus D935 1 u. 2. Mit ihren plötzlichen und unvermuteten Stimmungsschwankungen weisen sie musikalisch weit in die Zukunft. Wunderbar entrückte Pianissimi wurden gestört durch das Öffnen von Saaltüren wegen eines ersten medizinischen Notfalls.
 
Gidon Kremer, András Schiff und Franz Xaver Ohnesorg kennen sich seit 40 Jahren. Da war letzterer beim Lockenhausfestival als Mädchen für alles eingesprungen und hatte damals schon Konzerte moderiert. Heute Abend spielten die beiden für ihren Freund die Violinsonate A-Dur (D574) von Franz Schubert (D 574). Schiff hatte extra seinen braun-rot geflammten Mahagoni Bösendorfer Flügel mitgebracht. Dynamisch überraschend verhalten gingen Violine und Klavier das Allegro moderato des 1. Satzes an. Auch im Rondo des brillanten Presto-Scherzos mit den immer wieder aufsteigenden punktierten Fanfaren hatte die Geige fast Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Nicht so im liedartigen Andante des 3. Satzes. im letzten Allegro vivace mußte wegen eines weiteren medizinischen Notfalls noch einmal der Vortrag unterbrochen werden. Ebenfalls mit András Schiff spielte Radovan Vlatkovic op. 70 von Robert Schumann (1810-1856) (Adagio und Allegro). Weich, golden, klangvoll und herrlich erfüllte reine Romantik den großen Saal.
Nach der Pause kam es denn zu dem absoluten musikalischen Höhepunkt des Abends, der Apassionata Beethovens durch Fabian Müller. Mit voller Kraft und elektrisiert vorwärts stürmender Dramatik einerseits, aber auch mit zarter Empfindung (wunderbar die fragenden Intermezzi im 2. Satz) und geheimnisvoller musikalisch-klavieristischer Beredsamkeit trotzte er dem Steinway dieses Schlüsselwerk der Klavierliteratur ab. Das Publikum auf der Stuhlkante staunte atemlos wie fasziniert und brach nach leichtathletischen FF und letzter, unfaßbarer Temposteigerung in begeisterte Bravi. Pfiffe und stehende Ovationen aus. Fabian Müller unterrichtet übrigens Klavier an der hiesigen Musikhochschule auf dem Sedansberg.


Alfred Brendel - Foto © Peter Wieler

Bei Ligetis Klavierstücken wird der Flügel unter den Fingern Pierre Aimard zum Schlagzeug in Oktaven. Da wird die Zeit verdichtet und jede Melodik vermieden. Alfred Brendel am Tisch mit Wasserglas schaut scharfäugig auf den Pianisten, bevor er von Engeln und Teufel Justinus Kerners liest, die Menschen spielen. Wenn er trocken über die von Christo verpackten drei Tenöre und deren darin verpackten musikalischen Versuche liest oder über den berühmten dritten Zeigefinger des noch berühmteren Pianisten, dann kringelt sich sein Publikum vor Lachen. Aimard bot kochenden Hirns kongenial galoppierenden Unsinn mit den Klavierstücken Ligetis, wenn die rechte Hand, immer spielend, nach rechts die Tastatur verließ und nur mühsam von der linken wieder eingefangen wurde. Sein „Schießklavier“ hat er uns diesmal vorenthalten, gab aber als Zugabe sein Gedicht über den Klavierheiligen St. Caecilius mit der roten Fliege und dessen Klaviergebirge zwischen Wupper und Emscher.
Zu allerletzt erläuterte András Schiff mystagogisch das Capriccio des 18jährigen Johann Sebastian Bachs, welches der zur Abreise des geliebten Bruders komponierte hat und spielte es sich dann von der Seele. Ein denkwürdiges, nicht störungsfreies Konzert!
 

Die Weltstars: Franz-Xaver Ohnesorg, Kit Armstrong, Alfred Brendel, Pierre-Laurent Aimard, Gidon Kremer, Till Fellner, Radovan Vlatkovic,
Fabian Müller - Foto © Peter Wieler

Historische Stadthalle Wuppertal, 28.10.2023: Benefiz-Gala zu Gunsten der Stiftung Klavier-Festival Ruhr. Abschied von Prof Franz Xaver Ohnesorg als Intendant: Es spielten Kit Armstrong: John Bull (1562-1628): Melancholy Pavan, Fantasia(Fitzwilliam 108), William Byrd (1543-1623): John Come Kiss Me Now-16 Variations. Till Fellner: Franz Schubert (1797-1828) Impromptu Nr. 1 f-Moll D935/1 und Nr. 2 As-Ddur D935/2. Sir András Schiff, Gidon Krämer: Franz Schubert Sonate A-Dur für Violine und Klavier D 574, Sir András Schiff, Radovan Vlatkovic(Horn): Robert Schumann (1810-1856) Adagio und Allegro für Horn und Klavier op 70. Fabian Müller. Ludwig van Beethoven(1770-1827: Sonat Nr. 23 in f-Moll op 57 „Apassionata“, Alfred Brendel(Lesung) und Pierre- Laurent Aimard: Unsinns-Gedichte und Klavierstücke von György Ligeti (1923-2006) und György Kurtág (*1926). Sir András Schiff: Johann Sebastian Bach (1685-1750): Capriccio in B-Dur über die Abreise des geliebten Bruders (BWV 992). Moderation: Franz Xaver Ohnesorg.