In wogendem Schwall, tönendem Schall, in des Weltatems wehendem All

Richard Wagners Tristan und Isolde im Barmer Opernhaus

von Johannes Vesper

Isolde (Stéphanie Müther) und Brangäne (Jennifer Feinstein) - Foto © Matthias Jung

In wogendem Schwall, tönendem Schall, in des Weltatems wehendem All

Richard Wagners Tristan und Isolde im Barmer Opernhaus
 
Von Johannes Vesper
 
Eine Seefahrt, die ist lustig, aber nicht bei Richard Wagner. Das Drama utopischer Erotik von Tristan und Isolde beginnt auf der Irischen See. Bei der Premiere am 22.10.23 im Barmer Opernhaus wogte dazu eine Sturmflut per Video in Zeitlupe auf der Rückwand der Bühne. Richard Wagner hatte schon im Fliegenden Holländer das Leben als gefährliche Seefahrt begriffen, nachdem er im Unwetter vor Norwegen bei der Flucht vor Gläubigern aus Riga Schiffbruch erlitten hatte. Jetzt ist das Wetter zwar besser, aber mit der berühmten Homonymität „Wehe du Wind“ und „wehe mein Kind“ beginnt die existentielle Beziehung des Liebespaars: Isolde liebt Tristan, den sie von einer Verletzung mit vergiftetem Schwert das Leben rettete, als der ihren Verlobten umgebracht hatte. Jetzt muß er sie seinem König Marke von Cornwall zur Hochzeit bringen. Musikalisch beginnt zwischen beiden eine unmögliche Beziehung, laut Anweisung in der Partitur „langsam und schmachtend“ im Pianissimo. „Zaghaft“, alles andere als „eilend“ sucht sich die Musik in unbestimmter, vieldeutiger Harmonik zu orientieren und kündigt die Moderne, das Ende der Tonalität an. Ohne Musik wäre laut Nietzsche bekanntlich das Leben ein Irrtum und, schlimmer, die Dreiecksgeschichte von Tristan, Isolde und König Marke banal. Intensiv hatte Richard Wagner Arthur Schopenhauer gelesen, diesen misanthropen Pudelliebhaber, der glaubte in der Musik „unendliche Wünsche, unendliche Befriedigung, unendliche Schmerzen“ erleben zu können. Richard Wagner, da er im Leben nie das große Glück der Minne genossen hat, wollte er mit dem „Tristan“ dem „schönsten seiner Träume ein Denkmal setzen“ (Brief an Franz Liszt am 16.12.1854.), verliebte er sich doch im Alter von ca. 40 Jahren in die junge, verheiratete, aus Elberfeld stammende Mathilde Wesendonck. Für sie komponierte er ihre Gedichte zu Liedern, vielleicht seinen besten Kompositionen. Die Affäre „mit seiner ersten und einzigen Liebe“(?) endete am 17.08.1858. Ergänzend dazu entstand „Tristan und Isolde“. Im 1. Akt auf dem Schiff nach Cornwall will Isolde Tristan, obwohl verliebt, mit einem Gifttrank umbringen, der aber von ihrer Dienerin Brangäne mit einem wirklich starken Liebestrank vertauscht wird, was auch immer im „Trank ohne Wank“ enthalten war. Mord und Leidenschaft liegen dicht nebeneinander, damals wie heute. Auf der Bühne sieht man hinter einem aus drei Segeln angedeutetem Schiffsbug die See in Beleuchtung wie bei William Turner. Stephanie Müther mit großem stimmlichem Ausdruck, eindrucksvoller Kraft und Subtilität im Piano ist bei der Premiere für die akute erkrankte Kirstin Sharpin eingesprungen. Sie kam mit Erfahrungen von der Oper Chemnitz bis hin nach Japan, war 2022 in Dortmund 2022 als Brünhilde und Tosca und in Bayreuth als Ortrud zu hören, also mit Wagner vertraut, was dem „Tristan“ in der Barmer Oper auch gut tat.
 

Isolde (Stéphanie Müther a.G.) und Tristan (Samuel Sakker a.G.) - Foto © Matthias Jung

Das sommernächtliche Rendezvous im Schloßpark bei König Marke, zunächst durch eine goldene Pforte verschlossen, betört beide. Die hohen Bäume und Pflanzen wachsen um sie herum als Videokulisse auf. Hörnerschall in der Ferne hinter der Bühne stört nicht die leise Tremolo-Intimität, wenn im PPP die „Nacht der Liebe hernieder sinkt“. Da ging bei synkopal verschobenen Triolen die kammermusikalisch zarte Musik mit glänzenden Soli der Holzbläser oder der Solovioline direkt aufs Herz. Endlich milderte die Harfe die Unsicherheit des Tristanakkords, bevor das ekstatische Liebespaar von Melot (Jason Lee) in flagranti ertappt wird, der sie an König Marke verrät. Der schwerverletzte Tristan kann von Kurwenal (Martijn Sanders mit sonorem, leicht sprödem Bariton) gerettet und nach Kareol gebracht werden. Dort kämpfte der wagnererfahrene Samuel Sakkers, der diese Rolle schon in Nancy gesungen hat, lange mit dem Tod. Seine „Tagesgewitter im Kopf“ wurden per Video auch für das Publikum Realität, wenn er in psychedelisch euphorischer Trance inständig hofft, Isolde noch mal zu sehen. In dieser langen und anstrengenden Szene kam seine schöne Stimme an ihre Grenzen und es bewahrheitete sich die Äußerung von Rossini, der von wundervollen Momenten aber langen Viertelstunden bei Wagner gesprochen hat. Kurwenal hat ein Schiff zu Brangäne geschickt. Sie kommt, findet aber Tristan tot vor. Damit ist aber noch nicht Schluß. Denn es erscheinen König Marke mit Gefolge und Brangäne, die ihm den Liebestrank verraten hat, er also an der Treue seines lieben Tristan nicht mehr zweifeln muß. Marke will beiden verzeihen. 


Kurwenal (Martin Sanders a.G.,) Melot (Jason Lee), König Marke (Erik Rousi) Tristan (Samuel Sakker) - Foto © Matthias Jung

Seine Großzügigkeit hilft nicht. Kurwenal und Melot kämpfen und sterben. Isolde auch, in „wogendem Schwall, tönendem Schall, in des Weltatems wehendem All ertrinken, versinken, unbewußt in höchster Lust“ geht sie dionysisch entgrenzt mit nackten Füßen ins inzwischen ruhige Meer. „Zarte Abendröte im Hintergrunde“ lautet hier die Regieanweisung. PPP, morendo im wahrsten Sinne. Musikalisch gelingt die Premiere unter der sicheren Stabführung des jungen GMD Patrick Hahn nach 15 Orchesterproben vorzüglich mit durchsichtiger Dynamik (beglückende Pianissimi) und spannender Agogik. Es handelt sich um seine 4. Opernproduktion in Barmen. In der Wiener Staatsoper war 1862 nach 77 Orchesterproben die Uraufführung wegen Unspielbarkeit abgesagt worden! Die Inszenierung erscheint nicht überfrachtet, ist für das Publikum klar nachvollziehbar. Eine gewisse Statik in der der Personenregie kontrastiert zu den eher seltenen, beglückend-dramatischen Momenten. Für Martin Andersson (2022 „Tosca“ in Gießen) und Edison Virgil (2021 Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ in Bremerhaven) war es die erste Produktion einer Wagner-Oper. Nach 5 Stunden gab es im ausverkauften Opernhaus gewaltigen Applaus für alle Sängerinnen und Sänger, vor allem auch für Patrick Hahn, das glänzende Orchester, den trefflichen Chor und einige unverständliche Buhs für das Regieteam. Schade, daß für eine so große Aufführung nur ein dürres Faltblatt als Programm dient! Für das informative und sehr empfehlenswerte digitale Programmheft auf dem Mobiltelefon muß man erst mal initiativ werden. Das lohnt.  
 
Musikalische Leitung: Patrick Hahn - Konzept und Regie Video: Martin Andersson - Regie Bühne: Edison Vigil – Bühne: Lukas Noll – Kostüme: Dorothee Joisten – Choreinstudierung: Ulrich ZippeliusDramaturgie: Laura Knoll
Besetzung: Samuel Sakker (A.G.): Tristan - Erik Rousi: König Marke - Kirstin Sharpin bzw. am 22.10.23 Stephanie Müther(A.G.): Isolde - Martijn Sanders( A.G.): Kurwenal - Jason Lee: Melot - Jennifer Feinstein (A.G.): Brangäne - Sangmin Jeon: Ein Hirt, Stimme eines jungen Seemanns - Andreas Heichlinger: Ein Steuermann - Herren des Opernchors und des Extrachors der Wuppertaler Bühnen. Sinfonieorchester Wuppertal
Weitere Aufführungen: 29.10.23, 12.11,23, 35.02.24, 27.03.24, 24.03.24 (jeweils 16 Uhr)