Man müßte Klavier spielen können

Zu Besuch beim Klavierbauer Jakob Faust in Barmen

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

„Man müßte Klavier spielen können, 
wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau'n.“
 
Zu Besuch beim Klavierbauer Jakob Faust in Barmen
 
Von Johannes Vesper
 
„70 Prozent der Deutschen würden gerne Klavierspielen“ laut einer Umfrage 2009. Tatsächlich spielten 2021 aber 76% überhaupt kein Instrument (Statista), jedoch immerhin noch 11% Klavier. Vor dem 1. Weltkrieg wurden in Deutschland pro Jahr mehr als 200.000 Klaviere gefertigt (NMZ.de), aktuell sind es rund 15.000. Wer vor der Zeit von Radios und Schallplatte Musik hören wollte, mußte sie selbst machen und schon 1782 hieß es zum Clavichord: „Kein Instrument wird unter allen so häufig erlernt als das Klavier.“ Um zum Bürgertum dazu zu gehören, mußte man ehemals Klavierspielen können. Im 20 Jahrhundert wird daraus nur noch ein resignativer Schlager. Aber der Mann am Klavier kriegte immer noch ein Bier. Das Klavier gehörte einfach als akustische Anlage in das bürgerliche Wohnzimmer und bekam für die Familie eine ähnliche Bedeutung wie später das Radio oder der Fernsehapparat. Es wurde so viel Klavier gespielt, daß im Barmer Verein für Technik und Industrie der Vortrag über einen „Höfinghof´schen Klavier- und Nervenschoner“ Interesse weckte. Der „Harfenzug mit Kautschukplatten“ sollte verhindern, daß durch exzessives Üben Nachbarn und Klaviere in hellhörigen Bürgerhäusern gemartert wurden („Ein gutes Tier ist das Klavier…“). Heute verfügen nahezu alle Klaviere über einen Filz, der per Hebel zwischen Hämmer und Saiten (Moderator) geschoben werden kann.

Geschichte des Klavierbaus in Kürze: Ab ca. 1450 wurden in Mitteleuropa beim Hackbrett (Dulcimer) die Saiten frei Hand mit Hämmern angeschlagen („fliegende Hämmer). Um 1700 baut Bartolommeo Christofori das erste Klavier mit lederbezogenen Hämmerchen, bei dem anschlagmoduliert die Lautstärke reguliert werden konnte („Gravicembalo col piano e forte“, im Sprachgebrauch bald Pianoforte oder Leislaut im Deutschen). Um 1725 entstanden erste Hammerklaviere in Deutschland (Gottfried Silbermann). Und ab 1742 (Johann Socher in Sonthofen) Tafelklaviere. 1774 ließ sich Jean-Joseph Merlin (bekannt als Erfinder der Rollschuhe! Wirklich!) den zusätzlichen Hammeranschlag beim Cembalo patentieren. 1808 stellte R. Wornum, 1815 Ignaz Pleyel das Pianino vor, dem heutigen, senkrecht stehenden Klavier entsprechend. 1808 Erfindung der Repetitionsmechanik (Sebastian Erard). Ab 1826 Hammerköpfe mit Filzbelag. Seit 1830 kreuzseitiger Bezug der Saiten und sukzessive Ablösung der Gradsaiter. 1825 erster gußeiserner Rahmen (Alphonse Babcock), so kann die bis dahin zartere Besaitung durch festere Stahlsaiten ersetzt werden. 1866 Einführung der Guß-Vollpanzergußplatte statt Rahmen für den Flügel (Carl Rönisch, heute Standard). Bei zunehmender Verknappung des Wohnraums wurde in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts das Kleinklavier entwickelt.


Und in Barmen wurde bereits 1794 die Klavierfabrik Ibach gegründet, eine der ersten und bedeutendsten Klavierbaufirmen Deutschlands, die 1998 sogar nach einem Entwurf des amerikanischen Stararchitekten Richard Meier(New York) einen Flügel gebaut hat. Immerhin hatte Richard Wagner, als Pianist und Komponist von Klavierwerken zwar weniger bedeutend, noch am Abend vor seinem Tod in Venedig auf einem Ibach-Flügel „die Klage der Rheintöchter“ gespielt. Franz Liszt dagegen spielte zeitweise auf „mäusesicheren Pianinos und Harmoniums“ bzw. Flügeln und Klavieren von Georg Adam Höhle aus Wuppertal, einer von 18 Klavierbauern daselbst.
Jakob Faust, der junge Klavierbauer in Barmen, bewegt sich beruflich also in bzw. besser vor einer langen Tradition. Sein Urgroßvater erblindete 1896 infolge seines Umgangs mit bleihaltigen Farben als Dekorationsmaler, mußte den Beruf wechseln, wurde Klavierstimmer und begann mit Instrumenten zu handeln. Mittlerweile in der 4. Generation, liegt also das Klavier der Familie Faust sozusagen im Blut und wird infolge des ungewöhnlichen Interesses von Jakob an dem handwerklich-künstlerischem, alten Beruf weitergeführt in Zeiten, wo Bürotätigkeiten, Elektronik, Mechatronik, Informatik im Trend liegen und das Klavier schon bessere Zeiten gesehen hat.


Foto © Johannes Vesper

Jakob Faust begann 2017 seine Lehre im Entwicklungszentrum der C. Bechstein Pianoforte AG in Seifhennersdorf in Sachsen, wo der Spitzenklang der Bechstein-Klaviere und Flügel von 150 Spitzenkräften (Ingenieure, Tonmeister, Klavierbauer) gepflegt bzw. ihm nachgespürt wird und auch historische Modelle neu erbaut, z.B. der Goldflügel der Königin Victoria, werden. Zusätzlich werden heute in Hradec Králové/Tschechien Klaviere und Flügel („W. Hoffmann by C. Bechstein“) gebaut. In Seifhennersdorf, kombiniert mit dem Besuch der Berufsschule für Instrumentenbau in Ludwigsburg bei Stuttgart (jährlich sechs Wochen), lernte Jakob Faust in dreieinhalb Jahren das künstlerische Handwerk des Klavierbaus mit allen seinen Facetten, zunächst alles über die Werkzeuge zur Holzbearbeitung und ihre Benutzung. Was macht man mit dem Doppelhobel? Wie werden Eckverbindungen hergestellt? Wozu benutzt man Stechbeitel und Stemmeisen? Wie wird Fournier bearbeitet? Arbeiten am Resonanzboden, z.B. der Reparatur eines klaffenden Risses durch Einsatz und Verleimen eines exakt zugeschnittenen Spans, erfordern besondere Kunstfertigkeit. Die komplexe Herstellung des Rims – das ist die aus einem Stück bestehenden Außenkontur des Flügelkorpus- erfolgt im Rimbiegeblock, in den lange Furniere (meist Ahorn) in Schichten eingespannt und verleimt, zum Rim gebogen, dann in klimatisierten Räumen getrocknet werden, so daß die Rimse zuletzt völlig spannungsfrei sozusagen die Zarge des Instruments bilden können. Schreinerarbeit ist auch die Fertigung der Raste, des stabilen Holzrahmens von Klavier oder Flügel. Sie bildet das Grundgerüst des Resonanzkastens, der bestehend aus Raste, Resonanzboden und Klangsteg die Seele des Instruments ausmacht. Auf der Raste ist auch der oftmals aus schichtverleimtem Hartholz gefertigte Stimmstock befestigt, in dem die Stimmwirbel stecken (ca. 300 pro Instrument), über die die daran befestigten Saiten gestimmt werden. Der Resonanzboden verstärkt und moderiert den großen Klang im Fortissimo wie den zarten im Pianissimo (Leislaut s.o.). Er wird zusammengefügt aus Fichtenhölzern besonderer Struktur und Jahresringdichte. Durch Hobeln der Oberfläche, Applikation von Rippen und Steg erhält er seine charakteristische leichte Wölbung, die wie bei Decke und Boden der Violine (ebenfalls aus Fichtenholz) das Spezifische des Klangs ausmacht.
 

Jakob Faus bei der Arbeit am Objekte - Foto © Johannes Vesper

Im Pianohaus Faust repariert Jakob Faust gerade die Pedalanlage eines Blüthner Flügels, die, bei Unebenheiten im alten Parkettbodden des Schlosses, aus dem er stammt, gebrochen war und ihre Funktion nicht mehr erfüllt. Da wird gekürzt, werden neue stabile Holzdübel in richtiger Länge eingeleimt, die Pedalstange korrigiert, Stößer und Wackelbrett neu eingepaßt.
Seit der industriellen Fertigung im Klavierbau hat sich eine breite Zulieferer-Industrie entwickelt. Rahmen, Hämmer, Saiten, Klaviatur und vieles andere werden aber von renommierten Herstellern auch wieder selbst hergestellt. In Barmen gab es vor dem 1. Weltkrieg fünf Fabriken für Klaviaturen, von den die Fa. Kluge, inzwischen von Steinway & Sons übernommen, noch heute für den weltweiten Klavierbau Klaviaturen inzwischen in Remscheid produziert.
 
Als Klavierbauer in Barmen baut Jakob Faust keine neuen Instrumente, aber er restauriert und repariert defekte und auch historische Instrumente, die dazu gelegentlich völlig auseinandergenommen und zerlegt werden. Da bleibt der nackte Corpus ohne Saiten über. Die herausgenommene Mechanik wird instandgesetzt, wozu gegebenenfalls auch die Hämmer neu befilzt oder mit speziellen Zangen ausgestielt und durch neue Hammerköpfe ersetzt werden. Das alles muß haargenau wieder zusammengefügt und gerichtet werden. Zuletzt wird das Instrument reguliert, gestimmt, getrimmt und neu intoniert. Darin besteht die eigentliche Kunst des Klavierbauers. Denn der Klang des Flügels hängt wesentlich von der Einrichtung ab, die entweder eine reiche Obertonreihe mit klarer, strahlender Klangpräsenz in einem großen Konzertsaal oder aber eine wärmere, gesanglichere, romantischere oder sogar dunklere Toncharakteristik für Kammermusik und oder den Salon begünstigen kann. Der Geschmack und die Vorlieben des Nutzers können bei der Einrichtung des Instruments berücksichtigt werden.
Und auch die Elektronik hat Einzug gehalten im Klavierbau. Seit der Erfindung und Patentierung der elektronischen Stummschaltung (Silent System) 1987 durch Seiler in Kitzingen werden Klaviere heutzutage auf Wunsch damit ausgestattet oder auch nachgerüstet. Sensoren messen Anschlagsstärke und Geschwindigkeit, übermitteln die Daten an einen Rechner (Box unter der Klaviatur), der die Klaviertöne elektronisch erzeugt und über Kopfhörer ausgibt. Dann stört in seinem „Lustrevier den Nachbarn nicht mehr das Klavier“ (W. Busch). Beim voll elektronischen Klavier erinnert nur die Tastatur an das Klavier konventioneller Bauart. In besonders hochpreisigen Instrumenten mit elektronischer Klangerzeugung wird gelegentlich eine echte Flügelmechanik eingebaut. So kann jederzeit mit gefühlsechtem Anschlag klaviergespielt werden.
 

Foto © Johannes Vesper

Zu dem alten Industriegebäude an der Reichsstraße weist die gemalte Klaviatur im Löw schon den Weg. Im Inneren stehen neue und gebrauchte Flügel in Reih und Glied, wartet die die Armada der elektronischen Klaviere auf ihre musikalische Erweckung, hängen Gußrahmen, Klaviaturen oder auch eine ganze Mechanik an den Wänden. In zwei isolierten Übungsräumen wird Klavierunterricht erteilt. Historische Instrumente wie der riesige Gradsaiter von Bechstein oder das monströse Tafelklavier aus dem 19. Jahrhundert sorgen für zusätzliches Flair. Hier spürt der Klavierbauer der Seele, also der Ton- und Klangcharakteristik jeden Klaviers, nach das ihm unter die Hände kommt, und Besucher können mit Wilhelm Busch „die Eingeweide des Klaviers klanglich durchwühlen“, also probieren, herausfinden, welches „gute Tier“ bzw. welcher Schwachstarktastenkasten (Beethoven?) am ehesten paßt.