Kitsch und Kunst – Seiltanz und Spagat

Zwei Ausstellungen zum Thema „Kitsch“ im Bergischen Land

von Frank Becker

 
Kitsch und Kunst – 
Seiltanz und Spagat

Zwei Ausstellungen zum Thema „Kitsch“ 
im Bergischen Land
 
„Kitsch und Kunst. Konfrontation und Grenzgänge“ 
+ „ALIBABA Round The World - Ein Gartenzwerg 
geht auf Reisen“ (Hilden)
und
„Kitsch - In der Schatzkammer unserer Träume“
(Wuppertal)
 
Gleich zwei Ausstellungen befassen sich derzeit gänzlich unabhängig voneinander und mit verschiedenen Ansätzen mit der Schönheit des Geschmacklosen, der Ästhetik des Häßlichen, dem Grenzgang zwischen künstlerischem Anspruch und dem Bedienen von schlechtem Geschmack: dem Kitsch. Im Hildener Kunstraum zeigt Kuratorin Sandra Abend mit „Kitsch und Kunst. Konfrontation und Grenzgänge“ die Begegnung künstlerischer Intentionen mit der Überführung der Kunst in die Banalität der Wirklichkeit. In Wuppertal präsentiert Max Christian Graeff aus der Mottenkiste des Alltagskitsches, was uns tagtäglich umgibt und vom einen als schön empfunden, vom anderen aber abfällig als Kitsch abgetan wird. Gemeinsam ist beiden Ausstellungen eines auf jeden Fall – der Gartenzwerg. Dem kann man da wie dort schlicht nicht ausweichen. Auch geht es beiden Ausstellungen um eine Antwort auf die Frage, ob und wie man Kitsch überhaupt definieren kann. Liegt die Einordnung nur im Auge des Betrachters? In dem einen Fall ist es ein Spagat, im anderen ein gewagter Seiltanz.
 
Kitsch und Kunst – Kitsch als Kunst
Im Kunstraum Gewerbepark-Süd geht es in der von Sandra Abend kuratierten Ausstellung um den Kitsch und seinen Stellenwert in der Kunst. Ist Kitsch definierbar? Und was überhaupt ist Kitsch? Das Thema der Ausstellung stellt eine Herausforderung dar, denn zu dem Begriff Kitsch und seiner Bedeutung gibt es historisch bis in die Gegenwart betrachtet die konträrsten Positionen. Von den einen geliebt und gehätschelt, von den anderen verteufelt und verflucht verbinden viele mit ihm etwas Alltägliches, Triviales und in Masse Reproduziertes. Von den negativen Konnotationen hat sich der Begriff heute weitgehend gelöst und einen Wandel in seiner Wahrnehmung und Definition erfahren. 


Kunstraum Hilden: Christa Murken (Schneewittchens Flucht), Hans-Peter Feldmann (David), Ottmar Hörl (Dürer-Hase) - Foto © Frank Becker

Zu sehen sind Arbeiten von Thomas Virnich (Röhrender Hirsch), Ottmar Hörl (Dürer-Hase), Hans-Peter Feldmann (David), Dominik Hebestreit (SALE), Cornelia Schoenwald (Sammeltasse), Pierre & Gilles (Buddha), Ansgar M. van Treeck (Alibaba round the world), Damien Hirst (Theodora), Dennis Josef Meseg (Schluß mit dem Kasperletheater), Ruediger Glatz (Wonderful World), Christa Murken (Schneewittchens Flucht), Michael Berger (Mona Lisa) und vielen weiteren Kunstschaffenden.


Kunstraum Hilden: Kurt Haase, Rosenstilleben - Foto © Frank Becker
 
Das parallel gezeigte Kunstprojekt „ALIBABA Round The World - Ein Gartenzwerg geht auf Reisen“ von Sabine und Ansgar M. van Treeck begann 1987. Mittlerweile hat der von den Beduinen in Marokko „Alibaba“ getaufte deutsche Gartenzwerg bereits über vierzig Länder der Welt bereist, und die Reise geht weiter. Die Reiseaktivität steht im Gegensatz zur ursprünglichen Bestimmung des Gartenzwergs, denn eigentlich ist er im deutschen Garten fest verwurzelt und hält dort als Glücksbringer und Beschützer die Stellung. So hat er tierische Begegnungen mit Dromedaren, Schildkröten, Ziegen und Tauben. Alibaba wird umarmt, liebkost, an die Brust gezogen und gefeiert, er erlebt Abenteuer, in der Luft, zu Lande, auf und unter Wasser und er betritt die Bühne. Passend zur eigentlichen Bestimmung des in der Ausstellung persönlich anwesenden Gartenzwergs werden die ausgewählten Fotos aus dem Kunstprojekt auf der Wiese vor dem Kunstraum als Außenpräsentation gezeigt.
 

Kunstraum Hilden:  Dennis Josef Meseg (Schluß mit dem Kasperletheater - Foto © Frank Becker


 „ALIBABA Round The World - Ein Gartenzwerg geht auf Reisen“ © Sabine und Ansgar M. van Treeck

 
„Ist das Kitsch oder kann das weg?“
fragt Kurator Max Christian Graeff in der Wuppertaler Ausstellung „In der Schatzkammer unserer Träume – unsere Sehnsucht nach dem Kitsch“, die noch bis zum 23.11. in der Elberfelder Rathausgalerie zu sehen ist. Im Auftrag der Veranstalter Begegnungsstätte Alte Synagoge und Jüdisches Museum Westfalen konnte er aus dem Vollen schöpfen, sind wir doch mitten im Leben allgegenwärtig vom Kitsch umgeben.
Hier kommt es nicht zur Begegnung von anerkannter Kunst und Kitsch, sieht man einmal von der ebenso wie der Gartenzwerg anscheinend unvermeidlichen italienischen Porno-Ikone Cicciolina ab, die durch Jeff Koons Eingang in die Welt der Galerie-Kunst gefunden hat. In der Ausstellung öffnet der Kurator die Tür zu den heimlichen und den öffentlich zur Schau gestellten Sehnsüchten nach dem vermeintlich Schönen in Gebrauchsgegenständen, Souvenirs und Devotionalien.
 

Rathausgalerie Wuppertal: Aus der Welt der Gartenzwerge - Foto © Frank Becker


Rathausgalerie Wuppertal: Aus der Welt der Groschenromane - Foto © Frank Becker

Da finden sich in trauter Eintracht herrlich-schreckliche Beispiele aus dem religiösen Bereich, sei es katholisch, jüdisch oder buddhistisch. Natürlich winkt aus einem Regal eine Maneki-neko, die japanische Winke-Katze, Putti und Engels-Scharen dürfen nicht fehlen, und keck recken sich dem Betrachter von Groschenromanen, Zeitschriften und schwülstigen Magazinen Brüste entgegen. Apropos - auch hier zeigt sich, daß beide Ausstellungen nicht auf Titten-Kitsch verzichten mögen: hier eine Busen-Tasse zum Milchgenuß, dort eine Mona Lisa mit freigelegten Brüsten (Lach mal!).
 

Rathausgalerie Wuppertal, Titten-Tasse - Foto © Frank Becker

In Wuppertal dominiert die tägliche bürgerlich Begegnung mit dem Kitsch, sei es das idyllische Schlafzimmer-Bild auf Rosen-Tapete, das Häkelpüppchen als Versteck für die Klorolle, die Anbetung durch die Hl. Drei Könige oder der mit Stocknägeln gespickte Wanderstock. Quietsche-Entchen für die Badewanne, bewaffnete Gartenzwerge, Schlagerfilm-Programme aus den 60ern und ein Hauch Pornographie – alles da.
 

Rathausgalerie Wuppertal: Nazi-Kitsch - Foto © Frank Becker

Als Besonderheit gibt die Ausstellung Besuchern die Möglichkeit, mitgebrachte und von ihnen als Kitsch eingestufte Gegenstände in einem Gäste-Regal als Geschenk an die Ausstellung oder als befristete Leihgabe zu plazieren.
 

Rathausgalerie Wuppertal: Klorollen-Püppchen - Foto © Frank Becker

Die Hildener Ausstellungen im Kunstraum, Gewerbeparks Süd, Hofstraße 64, sind bis zum 3. Dezember dienstags bis freitags von 14 Uhr bis 18 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 11 Uhr bis 16 Uhr für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Der Eintritt ist frei. Ein Katalog ist erschienen.
Am Donnerstag, 26. Oktober, um 18:00 Uhr führt Kuratorin Sandra Abend durch die Ausstellungen. Die Teilnahme an der Führung ist kostenfrei. Eine Anmeldung nicht notwendig.
Der Zugang zum Kunstraum ist barrierefrei.
 
Die Wuppertaler Ausstellung in der Rathausgalerie (Ebene 2), Klotzbahn 5, 42105 Wuppertal ist Dienstag bis Samstag, 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Der Zugang zur Rathausgalerie ist barrierefrei.
Führungen finden noch am 12. und 19. Oktober sowie am 23. November, jeweils um 17.00 Uhr statt.
Weitere Informationen: www.alte-synagoge-wuppertal.de