Meisterstückchen

„Weißt du noch“ von Rainer Kaufmann

von Renate Wagner

Weißt du noch
Deutschland 2023

Regie: Rainer Kaufmann
Mit: Senta Berger, Günther Maria Halmer, Konstantin Wecker u.a.
 
Ein Ehepaar über 80, aber doch noch rüstig. Lebt in offenbar guten Verhältnissen in einem schönen Haus (Vorstadt oder Kleinstadt), den Kindern geht es hoffentlich gut, was will man mehr? Marianne versucht, wie es immer empfohlen wird, sich fit zu halten, Yoga-Kurs, Turnen, Freundinnen, auch Kreuzworträtsel gehören dazu. Gunter macht sich eigentlich nichts vor: Man hat alles hinter und nichts mehr vor sich. Die daraus resultierende schauerlich schlechte Laune läßt er an Marianne aus (es ist ja sonst niemand da). Als man ihn zu Beginn des Films dabei erlebt, daß ein Freund ihm ein Pillenpäckchen in die Hand drückt und vor den Folgen warnt… der Kinobesucher, unschuldsvoll, vermag an nichts anderes zu denken als an Viagra.
 
Das ist der Ausgangspunkt des Films, den Regisseur Rainer Kaufmann ausbalanciert zwischen grimmiger Komödie und sanfter Tragödie, zwischen süßer Schmerzlichkeit und abgehobenem Traumspiel. Denn die Pillen, die Günter von seinem Freund bekommen hat, haben nichts mit Sex zu tun, sondern mit dem, was den alten Leuten noch mehr abgeht – mit dem Gedächtnis, mit der Erinnerung an das eigene Leben.
Keine Ahnung, ob es die Wunderpillen wirklich gibt, die die Vergangenheit hervorholen, die den grimmigen Alten in den verliebten jungen Mann von einst verwandeln, die um Optimismus ringende alte Frau in das strahlende junge Mädchen, das sie einst war.
Schön war’s, in die Vergangenheit abzutauchen, ernüchternd ist es, wenn danach wieder alles beim Alten grau und trocken ist, man sich viel vorzuwerfen hat (seinen Seitensprung, die Kinder, die doch nicht so ideal sind – wann sind sie das je?). Aber vielleicht bleibt noch ein Hauch der Erinnerung von der verlorenen Erinnerung…
Ist das kitschig? Vielleicht ein bißchen, weil es zu sehr kinomäßig geheime Wünsche erfüllt. Aber es ist auch schön, nicht nur für alte Leute (junge Leute sollten bedenken, was sie sich naturgemäß nicht vorstellen können, daß sie auch einmal alt sein werden), denn der Film geht den Problemen nicht aus dem Weg.
 
Und er ist mit Senta Berger und Günther Maria Halmer schlichtweg ideal besetzt (Rückblenden mit der jungen Senta Berger, davon gibt es ja Filme genug, sind hinreißend, weil sie ihre unvergleichliche Mischung von süßem Mädel und Sexbombe reflektieren). Sie zeigt das klassisch weibliche Verhalten, mit den männlichen Launen so friedlich wie möglich umzugehen, bis ihr von Zeit zu Zeit der Kragen platzt. Er leidet und will sie verletzten, weil er sich selbst so unglücklich fühlt. Zwei Meisterstückchen. Am Beginn ist es übrigens Konstantin Wecker, der die Pillen bringt – man hätte ihn kaum erkannt. Alt geworden…
„Weißt du noch“ ist ein Film, der weiß, daß nicht alles im Leben erinnernswert ist. Aber manches würde man sich mit einer Wunderpille doch gerne zurück holen.
 
 
Renate Wagner