„Der Prozeß der Geschichte ist ein Verbrennen“

Susanne Stephan – „Der Held und seine Heizung“

von Johannes Vesper

„Der Prozeß der Geschichte ist ein Verbrennen“
(Novalis)
 
„Held und Heizung“ Susanne Stephans 
Literaturgeschichte des Brennstoffs
 
Das Holzdiebstahlgesetz, nach dem das Sammeln von Brennholz bestraft wurde, war 1842 bereits Thema für Karl Marx. Und die gesetzlose Bestrafung des Prometheus für seinen Feuerdiebstahl mit Hilfe des Riesenfenchels, dieser bis zu 3 m langen Staude, liegt noch viel weiter zurück. Die Brisanz von Brennmaterial ist offensichtlich nicht erst Thema seit dem Ausbleiben russischen Erdgases infolge des Ukraine-Kriegs. Nach der Entdeckung von Kohle, später auch von Erdöl und Erdgas ist Brennstoff auch literarisch von größtem Interesse. Schon René Descartes hätte mit seinem „ich friere, also bin ich“ in größeren Bevölkerungskreisen noch berühmter werden können. Seine berühmten Wissenschaftsträume in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1619 waren ihm möglich dank des herrlichen Kaminofens in seiner Unterkunft bei Ulm. Der energetische Unsinn eines offenen Kaminfeuers war ihm da schon länger klar. Blaise Pascal, Mathematiker, Steuerrichter, Erfinder der ersten Rechenmaschine war weniger fortschrittlich. Ihm erschien wie Moses im brennenden Dornbusch der liebe Gott noch im Feuer seines offenen Kamins.
 
Aber Georg Christoph Lichtenberg fror in seiner Göttinger Wohnung ständig, obwohl er den Herd wie ein Planet die Sonne umkreiste. Er hielt den Kamin für das „Herz des Hauses“ und beklagte den Holzmangel. Die Übernutzung der Wälder seit dem 16. Jahrhundert wegen Schiffsbau für Entdeckungsfahrten, Gütertransporten und Sklavenhandel führte wegen zunehmender Holzknappheit in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zu erheblichen Preisanstiegen für Brennholz. Heizkosten spielten im Privathaushalt schon um 1800 keine kleine Rolle. So setzte Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772-1801) des Geldes wegen auf Braun- bzw. Steinkohle und galt als Vorreiter bei der Verwendung von „bituminöser Holzerde“. Im Brotberuf war er nämlich verantwortlich für die energieintensive Salzgewinnung in den Salinen, besorgte die „Feuerwerksoeconomie“ (heute Energiesicherstellung) für diesen wichtigen Wirtschaftszweig. Damals schon begann er in ganz Sachsen, wie Bergbauminister Goethe in Weimar, nach Braunkohle zu suchen, hoffte man doch, die Fossilien, die unterirdischen Wälder, würden nachwachsen. Novalis versprach sich viel vom gußeisernen Kanonenofen, der wie die Kanone aus einem Guß produziert wurde. Nachdenkend über mögliche Folgen der Ausbeutung der Erde, stellte bereits der Elberfelder Augenarzt Heinrich Jung-Schilling (1740-1817) Überlegungen zu nachhaltiger Waldwirtschaft an und auch Georg Forster (1754-1794) sah die Grenzen der Ausbeutung der Natur durch den Menschen.
 
Aber das Kohlezeitalter nahm zunehmend Fahrt auf, als 1812 in Freiberg/Sachsen eine erste Laterne mit Leuchtgas aus Kohle aufgestellt wurde. Da brannten zahlreiche Laternen aber auch noch mit Öl, und so jagte man bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts jahrzehntelang jährlich tausende Wale wegen des Lampenöls aus Waltran und der Brennstoff schlug sich in der Literatur der Zeit nieder. Mit „Moby Dick“ wurde der Walfangirrsinn literarisch aufs Korn genommen und Zola schilderte in „Germinal“ das soziale Elend im nordfranzösischen Kohlerevier. Welche Ironie der Carbonisierung, daß dieser Kohle-Literat an Kohlenmonoxidvergiftung infolge seines defekten Kohleofens verstarb. Wahrscheinlich war Steinkohle ein Grund für den Kampf um Lothringen im 1.Weltkrieg, der de Gaulle veranlaßte, auf Kernkraft zu setzen um wiederholten Streit um die Kohle zu vermeiden. Philosophen wie Ernst Bloch (1885-1977) hatten von einer Klimakatastrophe keinen Schimmer, träumte er doch noch davon, die Erde mithilfe der inzwischen erfundenen Atomkraft aufzuwärmen, „Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln“.
 
In dieser Literaturgeschichte der fossilen Brennstoffe wird interessant, kenntnisreich und kurzweilig auch die historische Bedeutung der warmen Stube mit Kamin, Kaminofen und Spinnrad für mündlich übermittelte Literatur skizziert. Tatsächlich wurden auf der Ofenbank, dicht nebeneinandersitzend und sich gegenseitig wärmend, zahllose Geschichten und Märchen erzählt. Brennstoff als literarisches Thema findet sich bei Mary Shelley, bei Theodor Fontane bei Theodor Storm, auch bei Heinrich Heine. Vor allen spielt Rainer Maria Rilke mit den „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ aus der Großstadt Paris eine große Rolle. Dabei bedauert der indische Historiker und Schriftsteller Amitav Ghosh, daß Erdöl zu selten zum Thema in der Literatur geworden ist.
 
Ein eigenes Kapitel ist der Autorin die Nachkriegsliteratur in der DDR und ihrer stinkenden Kamine wert. Wolfgang Hilbig, Arbeiter im Meuselwitzer Braunkohletagebau, später Schriftsteller, stellte die blaue Blume von Novalis der braunen Kohle, bzw. der Ascheblume gegenüber. In Meuselwitz gab es ein Außenlager von Buchenwald und die Begriffe Rauch und Asche an solchem Ort führen ihn zur „Asche der Toten, der Kriege, „…zur Asche Millionen Ermordeter“. Lutz Seiler wuchs in Ostthüringen auf, und zwar mit Kohle, die geschleppt, mit Öfen, die täglich befeuert werden mußten und mit den Mahnungen: „vergiss nicht die glut, …vergiss die asche nicht, lutz, vergiss das Feuer nicht“. Hat er nicht, dichtete „prometheus als Kind“, publizierte die „schrift für blinde riesen“ und „Pech & Blende“. Sein Heimatdorf Culmitzsch fiel dem Uranbergbau zum Opfer. Jetzt erhielt er für sein Werk den Georg- Büchner-Preis 2023.
 
Die Naturzerstörung durch den Menschen ist natürlich ein weites Feld. Das wußte schon Effie Briest. Täglich wird über Hitzewellen in den Urlaubsregionen des Massentourismus und über riesige Waldbrände Folge des Anthropozäns berichtet. Wahrscheinlich wurde Prometheus von Zeus für seinen Feuersdiebstahl zurecht bestraft, was nicht geholfen hat. Wie schnell endet das Verbrennungszeitalter? Susanne Stephan zeigt mit ihrem Buch, wie das große Brennen in der und für die Literatur die Diskussion darüber außerordentlich bereichern kann. Bücherverbrennungen ist ein anderes Thema.
 
Susanne Stephan – „Der Held und seine Heizung“
© 2023 MSB Matthes & Seitz, Berlin, 457 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-7518-0359-5
32,- €
 
Weitere Informationen: www.matthes-seitz-berlin.de