Die hohe Kunst der Illustration

Von Bonnard bis Klemke - Illustrierte Mappenwerke und Künstlerbücher aus der Sammlung Wieland Schütz

von Frank Becker

Die hohe Kunst der Illustration
 
Buch und Mappe als bibliophiler Genuß
 
Die hohe Kunst, einem literarischen Text passende, treffsichere und künstlerisch anspruchsvolle Illustrationen mitzugeben ist in den zurückliegenden Jahrzehnten spür- und vor allem sichtbar zurückgegangen. Kaum noch findet man in Neu- und Erstausgaben die harmonischen Bildbeigaben und Vignetten, die dem Leser oft im Zusammenwirken von Typographie und Bildgestaltung zum literarischen auch den optischen Genuß vermitteln beziehungsweise beides zu einer kostbaren Einheit werden lassen. Die große Zeit der Buchillustration ist in etwa zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Mitte der 1970er festzumachen, als Bücher noch ein längeres Leben als heute hatten und anders wertgeschätzt wurden.
 
In der Zeit des Wiedererwachens nach dem 2. Weltkrieg erlebte die Buchillustration in Deutschland zu beiden Seiten des Stacheldrahts eine Hochblüte, als sowohl die gehobene Literatur, die leichte Belletristik wie auch die Jugendbuch-Literatur unerhört liebevoll mit wundervollen Zeichnungen versehen wurde. Wer in den 50er/60er Jahren ein spannendes Jugendbuch in die Hand bekam, stieß, oft zu bescheiden ins Impressum verbannt, auf Namen wie Ulrik Schramm, Lotte Oldenburg-Wittig, Hans Kossatz, Axel Mathiesen oder Moritz Pathé. Einer der einfühlsamsten Zeichner der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, ein Alleskönner, der das Jugendbuch ebenso kongenial illustrierte wie Märchen, klassische und erotische Literatur war
Wilhelm M. Busch. Bis heute haben weder seine Bilder zu Eichendorffs „Taugenichts“ noch die zu „Appelschnut“ von Otto Ernst, Alfred Lücks „Fatme“ oder der Anthologie „Erotische Szenen der Weltliteratur“ etwas von ihrem federstrich-leichten Charme verloren.
Apropos Taugenichts: Der als Pardon-Satiriker der Frankfurter Schule berühmt gewordene Hans Traxler hat 2007 für eine Luxus-Ausgabe bei Reclam herrliche Farbillustrationen geschaffen. Es geht also auch heute noch. Und apropos Ulrik Schramm: Seine Illustrationen zu Goethes „Das Tagebuch“ sind an Delikatesse nicht zu übertreffe, ebenso wie die zu „Der Traummacher“ von Johannes Kirschweng. Otto Bachmanns zart-wollüstige Bilder zu Catulls  Gedichten „Die Locke der Berenike“ (1968) sind ebenso reizvoll wie die von Elfriede Weidenhaus zu Lujo Bassermanns „Hochzeitsreise in die Barbarei (1974). Großartige Holzschnitte trug Anton Kling 1920 zu Adelbert von Chamissos „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ bei.
 
Hans Wingenbach, Heinrich Schröder, Ortwin Knabe, Ernst Hoff, Gunter Böhmer und Günther T. Schulz sind nur ein weiteres halbes Dutzend Graphiker, die sich im (west)deutschen Sprachraum um die Buchillustration verdient gemacht haben. Nicht zu vergessen Fritz Grasshoff, der seine Läster- und Halunkenlieder brillant selbs bebildert hat.
Im Verlagswesen Ostdeutschlands wurde nach 1945 dem illustrierten Buch viel Aufmerksamkeit geschenkt, zumal man durch das ruinöse scheinsozialistische Wirtschaftssystem nicht den finanziellen Zwängen des Westens unterworfen war. Den Liebhabern illustrierter Literatur war das natürlich ein Vergnügen, denn große Zeichner und Graphiker wie Max Schwimmer (auch er hat übrigens Goethes „Das Tagebuch“ pikant umgesetzt, daneben französische und deutsche Klassiker von Tucholsky über Rimbaud bis Heine), Thomas Schleusing (Sie finden ihn oft auch in den Musenblättern) und Kurt Klamann (der als ständiger Gast ebenfalls oft die Musenblätter schmückt), gehörten zur Elite der Buch-Illustratoren der DDR, haben über Jahrzehnte hinreißende Buchillustrationen geliefert. Fritz Fischer, Josef Hegenbarth, Lothar Otto; Hans Ticha und Gitta Kettner sind noch einige zu erwähnende Namen aus der großen Zahl.


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Werner Klemke (er ist wöchentlicher Gast der Musenblätter) nimmt eine Sonderstellung ein. Nicht nur hat er 40 Jahre lang die Titelillustrationen für „Das Magazin“ gezeichnet, seine Illustrationen zu „Fredmans Episteln“ (Carl Michael Bellman), zu Johann Christian Günthers „Gedichte und Studentenlieder“ und die zu den „Liedern der Mamsell“ sind legendär geworden.
 
Ein anderes Kapitel sind im thematischen Zusammenhang Künstlerbücher und Mappenwerke, die als Verneigung vor der Kunst des Zeichners, Graphikers oder Typographen gesehen werden können. Hier knüpfen wir an Werner Klemke an, dessen kleines Mappenwerk ebenso wie Kurt Klamanns Mappe in den 80er Jahren der Serie „Acht bunte Blätter“ des Eulenspiegel Verlages erschienen ist. Andere Künstler wie Willi Dirx gaben zauberhafte Mappenwerke im Eigenverlag heraus. Seine kraftvollen „Menschenbilder“ und leichten  „Skizzen aus Südfrankreich“ sind von großem Reiz.
Die farbigen Federzeichnungen von Eberhardt Brucks zu E.T.A. Hoffmanns Werk, 1947 im Horst Böttcher Kunstverlag erschienen, sind ein exorbitantes Beispiel für gelungene Künstlerbücher. Das Gesamtwerk Werner Klemkes liegt ebenfalls in anspruchsvoller Buchfom vor.
Einige bibliophile Verlage und Pressendrucke legen glücklicherweise bis heute schöne illustrierte Bücher auf, doch man erkennt an der oft sogar im Verhältnis moderaten Preisgestaltung, daß es heutzutage ein verlegerisches Wagnis ohne Gewinnchancen ist – einfach um der schönen Sache willen.
 

   Werner Klemke, Die Facezien des Florentoners Poggio 1967

Ich habe hier nur über einen Ausschnitt der Buchkultur im deutschen Raum geplaudert, quasi als Einladung zur Betrachtung einer Ausstellung, die noch bis zum 29. September 2023 im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig zu sehen ist: „Von Bonnard bis Klemke - Illustrierte Mappenwerke und Künstlerbücher aus der Sammlung Wieland Schütz“.
Gezeigt wird die Sammlung des Berliner Graphikers und Sammlers Wieland Schütz, der über einen Zeitraum von 40 Jahren illustrierte Bücher und Mappenwerke zusammengetragen und jetzt dem Museum geschenkt hat.
„Die Liste moderner Künstler, die sich dem Buch gewidmet haben, läßt keine Größe aus: Sie reicht von Manet, Picasso und Matisse über Slevogt, Kirchner und Barlach bis hin zu Grieshaber, Heisig und Baselitz. Sie alle sind Teil einer Schenkung des Sammlers Wieland Schütz an das GRASSI Museum für Angewandte Kunst, die das Herzstück dieser Ausstellung bildet.
Neue Drucktechniken führen im 19. Jahrhundert zu einem Comeback der Buchkunst. Künstler und Drucker erwecken gemeinsam die Illustration zu neuem Leben – von der untergeordneten Rolle als Buchschmuck entwickelt sie sich zur seitenfüllenden Protagonistin. Die künstlerischen Mittel der Illustrationen sind dabei vielfältig. Kontrastreiche Farben und feine Graustufen stehen sich ebenso gegenüber wie zarte, fließende Linien kräftigen, kantigen Flächen oder erzählerische Szenen abstrakten Stimmungsbildern“, schreibt das Museum dazu.
Zu der Ausstellung ist ein mehr als umfangreicher, opulenter und überaus reich illustrierter Katalog erschienen, der von Hans Aichinger bis Alfred Zacharias 170 Künstler und Künstlerinnen mit ihren Arbeiten vorstellt, darunter u.a. Max Slevogt, Thomas Theodor Heine, Pablo Picasso, Paul Cézanne, Wilhelm Busch, Alfred Kubin, René Sintenis, Werner Klemke, HAP Grieshaber, Gerda Raidt, Hans Arp, Pierre Bonnard, um nur einige der Namen zu nennen.
 

Thomas Theodor Heine: Friedrich Hebbel, Judith (links) - Ludwig Thoma, das große Malöhr (rechts)

Das Buch, herausgegeben von Karoline Schliemann und Olaf Thormann ist eine Köstlichkeit von hohem Rang, das pure Vergnügen, und es ist unsere besondere Auszeichnung wert, den Musenkuß* (mit Sternchen).
 
Von Bonnard bis Klemke - Illustrierte Mappenwerke und Künstlerbücher aus der Sammlung Wieland Schütz
Hrsg. von Karoline Schliemann und Olaf Thormann
Katalog einer Ausstellung im GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig
© 2023 Faber und Faber, 300 Seiten im Format 32x24 cm, gebunden, Lesebändchen - ISBN 9783867302562
40,- €
 
Weitere Informationen: www.verlagfaberundfaber.de  und  www.grassimak.de