Lebhaft, kenntnisreich wie spannend erzählt

Daniel Gerlach – „Die letzten Geheimnisse des Orients“

von Johannes Vesper

Daniel Gerlachs Geheimnisse des Orients

und die Wurzeln unserer Kultur
 
Zwischen den Säulen der Philoxenos-Zisterne im Untergrund des alten Konstantinopel bzw. des heutigen Istanbul erläutert der Autor am Ende dieses Buches, warum er über den alten Orient geschrieben hat. Er sieht in Istanbul, als Stadt sich in die Fläche und in die Tiefe ausbreitend, das Spiegelbild einer langen und reichhaltigen Vergangenheit, die zusätzlich zu dem, was heute an der Oberfläche zu sehen ist, aus alledem besteht, was auch darunter, zwar überbaut, in der Tiefe noch vorhanden ist. Sichtbare Ruinen und Spolien bilden die geschichtliche Dimension dieser Stadt (wie übrigens auch Roms.). Das religiöse, durchaus nicht unproblematische Miteinander der Religionen heute in Europa möchte der Autor verstehen und die Wurzeln unserer Kultur sichtbar machen. Judentum, Islam und Christentum stammen aus dem Orient. Antisemitismus ist mit der Shoa in Deutschland nicht vorbei und zur antiislamischen Entwicklung hierzulande werden Untersuchungen und Studien angestellt. Als Autor mehrerer Sachbücher über Arabien und den Islam, als Chefredakteur/Herausgeber der Nah-Ost Zeitschrift „Zenith“ kennt Gerlach sich im Orient aus. In 19 Essays behandelt er orientalische Ursprünge Europas, nicht enzyklopädisch umfassend, sondern erzählend von subjektiv ausgewählten mythischen Orten, die er aufgesucht. 31 Farbfotos zeigen ihn mit und ohne Gesprächspartner an den für seine Aspekte wichtigen Stätten. In Karten der hinteren und vorderen Umschlagseiten sind seine Reiserouten eingezeichnet. Von Tataouine in Tunesien bis nach Amara an der irakisch-iranischen Grenze in West-Ost-Richtung und von Istanbul bis Philae (Ägypten) in Nord-Süd-Richtung ist er gereist. Zum Teil hat er über seine Entdeckungsreise auch in der ARD bzw. bei arte berichtet.
 
So klärt er z.B. bei seiner Autofahrt über den Damm des Großen Salzsees Richtung Süd-Tunesien über das Gottesbild des Philosophen Plotin aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. auf, erzählt über den rituellen Beischlaf und den Spermakult der Anhänger Valentinians und berichtet vom dortigen Drehort der Star Wars Filme. In Süd-Tunesien kämpfen noch heute die Mächte der Finsternis und des Lichts miteinander, gilt Tatouine doch heute als eine Hochburg des IS.
 
In Babylon dagegen herrschte Kultur. Die hängenden Gärten der Semiramis, einer der mächtigsten Frauen der Welt überhaupt, sind wahrscheinlich Legende, jedenfalls heute nicht mehr identifizierbar, aber altmesopotamische Pornographie auf Keilschrifttafeln ist noch gut lesbar. Kein Wunder, daß Saddam Hussein sich selbst als Nachfahre altorientalischer Herrscher, vom ruchlosen Belsazar angefangen, verstand. Und die Zwangsumsiedlung von Juden nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. im 6. Jahrhundert vor Christus („Babylonische Gefangenschaft“) ist ein frühes Beispiel für die Durchmischung der Kulturen in der Region. Mesopotamien war schon tausend Jahre vorher ein Schmelztiegel für Sumerer, Kassiten, Amurritter, Altbabylonier, Assyrer oder Chaldäer. Selbst Hammurabi (1810-1750 v. Chr.), Verfasser eines der ältesten Gesetzbücher überhaupt, hatte damals schon in Mesopotamien Migrationshintergrund. Und der Mischung der Ethnien entsprach im alten Orient die der Gottheiten. Jupiter, für den die Römer auch im Osten ihres Reiches missioniert haben, verschmolz mit den dort „endemischen“ Sonnengottheiten, deren Strahlenkranz erst Kaiserbilder, dann als Heiligenschein weitere Häupter zierte. Die römischen „Saturnalien“, ehemals ein Freß- und Weinfest zu Ehren des Saturns am Jahresende, wurden in der Spätantike (genauer durch Kaiser Aurelian nach seinem Sieg 272 über Palmyra bzw. des Herrscherin Zenobia) umgewidmet, sodann als Geburtstag des orientalischen Sonnengottes Sol invictus und noch später als Geburtstag Jesu Christi gefeiert.
 
Chaibar ist eigentlich ein ursprünglich von jüdischen Stämmen bewohnte Stadt auf der arabischen Halbinsel, aber auch als antijüdische Parole heute unter den Arabern weit verbreitet. Dort wurde im 7. Jahrhundert n. Chr. zwischen islamischen Streitkräften unter Mohammed und Juden gekämpft, hinterhältig gemeuchelt und nicht zum letzten Mal eine Politik der verbrannten Erde betrieben, in dem die Dattelbäume, Lebensgrundlage der Stadt, gefällt worden sind. Chaibar gilt bis heute als Sinnbild der Unversöhnlichkeit zwischen Judentum und Islam. Daniel Gerlach war dort und erzählt die Geschichten lebhaft, kenntnisreich wie spannend.
Zusammenfassend, die Kulturgeschichte und ihre orientalischen Wurzeln sind interessant und Migration kein neues Problem des 21. Jahrhunderts. 
 
Daniel Gerlach – „Die letzten Geheimnisse des Orients“
Meine Entdeckungsreise zu den Wurzeln unserer Kultur
© 2022 C. Bertelsmann, 365 Seiten, gebunden, mit 31 Reisefotos – ISBN: 9783570104804
24,- €
 
Weitere Informationen: www.penguinrandomhouse.de