„Glücklich ist dieser Ort“ (Graffiti in Pompeji)

Eugen Ruge – „Pompeji oder die fünf Reden des Jowna“

von Johannes Vesper

„Glücklich ist dieser Ort“
(Graffiti in Pompeji)
 
Migrant Josse (Jowna) und der Ausbruch des Vesuvs
 
Nach dem katastrophalen Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. war keiner mehr dort glücklich. Der Kaiser jedenfalls hat geweint, sofort Aufbauhilfen und Entschädigungszahlungen zur Verfügung gestellt. „Wir schaffen das“ wird er gesagt haben. Alle Anspruchsberechtigten sind nach Rom gefahren: die, die die ihren Besitz verloren hatten, die indigenen Samniter, im römischen Reich immer noch nicht vollständig integriert, die Reichen, die Besitzlosen. „Beim Geld hört die Feindschaft auf“. Aber Politik war schon damals in Pompeji mit solchen Großschadensfällen überfordert, nicht erst bei der Überschwemmung der Ahr. Die Verfahren dauern, der Baustoffhandel für den Wiederaufbau beginnt zu florieren, und die „aus heiterem Himmel“ entstandene höchst bedrohliche „schwarze Wolke, die wie eine Pinie, oder ein Schirm, oder eine Stierleber, wie ein Geschwür oder ein Grünkohl“ ausgesehen hat, verschwand lange nicht aus den Gesprächen und Erzählungen, aus dem Geiste der Überlebenden und der Atmosphäre über Wirtshaustischen. Da wurde das Übertreiben übertrieben, das Blaue vom Himmel gelogen, daß sich die Balken gebogen hätten, wären sie nicht verbrannt. Steinregen, Asche, giftiger Rauch, Götter der Unterwelt, fackelschwingende Furien wollen Erzähler gesehen haben.
     Das alles kann der literarisch Interessierte mit diesem Buch in der Hand oder auf dem Schoß vergessen. „Vergiss und lies!“ Der Autor dieses Romans über die Zeit unmittelbar vor dem Ausbruch des Vesuvs, der seinen sensationellen Bericht über die Zustände damals sich und seinem Publikum nicht zumuten konnte, hatte ihn in einer Amphore verschlossen, um der Nachwelt also uns nach rund 2000 Jahren davon Kenntnis zu geben. Kann diese fiktive Geschichte des „vielbewunderten, des unglaublich schlauen Bürgers Josse (oder auch Jowna), der als Migrant aus Pannonien - das ist die Region östlich des Wienwalds, damals noch nicht ungarisch - mit seiner Familie ins Reich geflohen war und in Pompeji seine neue Heimat fand, heute noch einen Hund hinter dem Ofen hervorlocken? Sie kann und zwar vergnüglich. Josses Vater hatte bis zur Pleite eine Metzgerei betrieben. So hatte Josse schon als Kind über den Gott der Schweine nachgedacht und gespürt, daß seine Familie dem Flüchtlingsschicksal nicht entrinnen konnte. Nach der Flucht zu Fuß beherrschte keiner Latein, litt unter Armut, gehörte in der Stadtgesellschaft nicht dazu. Der Junge geriet nach dem ersten Chaos (Erdbeben Stärke 6.5 im Jahre 62) in paradiesische Verwahrlosung, schämte sich seiner Migrantenherkunft.
 

Pierre-Jacques Volaire, Der Ausbruch des Vesuvs am 14. Mai 1771

     Der  Roman von Eugen Ruge schildert fiktiv ironisch-satirisch die politischen Verhältnisse Pompejis vor dem Vulkanausbruch, als das Elend der armen Bevölkerung zunächst durch Fliegenpilzsud, endgültig durch Feuerbestattung beendet wurde, während die richtig Reichen zwar kein mit Gold überzogenes Steak aßen aber sich immerhin Fischgräten, Muschelschalen, also Speisreste als Perlmuttintarsien in den schwarzen Marmor-Fußboden legen ließen. Die Schere zwischen arm und reich existierte als Sollbruchkante der Gesellschaft also schon damals. „Ich verabscheue die Armen, wer auch immer etwas umsonst erbitte ist ein Holzkopf. (….) Du bist Hausierer gewesen und jetzt machst du Krüge. Hast Du aber Fotzen geleckt, dann hast Du alles gehabt“. Neoliberale und obszöne philosophische Volksweisheiten Graffiti wurden damals bedenkenlos auf die Wände in Pompeji geschmiert, weniger prüde und kleinbürgerlich als heutige Straßenkunst. Die soziale Herkunft bestimmte schon immer den Lebenserfolg und die Korruption die Wirtschaft. Immerhin einen Unterschied zu den Verhältnissen damals scheint es zu geben. Wie jüngst in heutigen Gazetten zu lesen war, fordern viele Abgeordnete des Bundestages in Berlin aller politischen Couleur, nämlich der Parlamentarischer Arbeitskreis „Hund“ jüngst anläßlich des Internationalen Bürohund-Tages, daß das Haustierverbot für Hunde im Bundestag gekippt wird. Auf der zentralen Bühne des Demokratietheaters (Reichstag) macht es anscheinend keinen Spaß, immer nur allein zu knurren und zu kläffen. Darauf sind die alten Römer in ihrem Senar nicht gekommen. Fortschritt also scheint es zu geben. Eugen Ruge hat sich der Schriftstellerei zugewandt, weil er als Mathematiker in der Akademie der Wissenschaften der DDR keine seismische Sicherheitsanalyse für das geplante Kernkraftwerk Schleiz liefern konnte und wollte. Für sein literarisches Werk („In Zeiten abnehmenden Lichts“) wurde er mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem aspekte-Literaturpreis und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Sein „Pompeji“ ist ein großes (satirisches) Lesevergnügen.


 
Eugen Ruge – „Pompeji oder die fünf Reden des Jowna“
Roman
© 2023 dtv Verlagsgesellschaft, 364 Seiten, gebundenes Buch mit Lesebändchen und Schutzumschlag –  ISBN: 978-3-423-28332-8
25,- €
 
Weitere Informationen: www.dtv.de
 
Redaktion: Frank Becker