Peer Gynt zwischen Sabbergreisen

Köln: Ibsens Drama, von Karin Beier als Pflegeheim-Klamotte angelegt, zieht sich

von Andreas Rehnolt

"Peer Gynt" im Altenheim
auf der Suche nach seiner verlorenen Zeit
 
Karin Beier schickt den Antihelden aus Ibsens Drama
ins Endzeit-Hospital todgeweihter Senioren
 

In Karin Beiers Köner Version des Ibsen-Dramas "Peer Gynt" ist der Antiheld inmitten einer Schar sabbernder, inkontinenter und dementer Greise auf der Suche nach seiner verlorenen Zeit und seinem wahren Ich. Im Ohrensessel gibt Michael Wittenborn, die Kornflasche neben sich, den abgehalfterten Peer mit einer wahren Lust am Untergang. Die von Thomas Dreissigacker gebaute Bühne im Großen Haus des Kölner Schauspiels gewährt auf drei Ebenen einen schwankenden Einblick ins Endzeit-Hospital todgeweihter, kranker Senioren. Über die wacht mehr genervt als involviert Angelika Richter mal als Pflegeschwester, mal als entführt und sitzengelassene Kurzzeit-Geliebte Solveig.
 
Dick aufgetragen und vom Ensemble auch zu sehr ausgespielt die Elends-Figuren der debilen Alten, die in den kurzen Erinnerungs-Phasen von Peer Gynt auch die Dorfgemeinschaft, die Emporkömmlinge während seiner Goldsucher-Zeit und die Schiffsbesatzung bei der nach Jahrzehnten gewagten Heimkehr übers Meer darstellen. Und dennoch. Den für Regie, Kostüm und Bühnenbild Verantwortlichen muß man attestieren, daß sie sich bis ins kleinste Detail mit den Alltags-Gegebenheiten rund um von Demenz oder Alter geschlagenen Senioren beschäftigt haben. Wenn einer der Alten seine Hose runterläßt, sagt Solveig fast zärtlich: "Nun ziehen Sie sich mal wieder an, ihr Pimmelchen haben wir doch alle schon mal gesehen".
 
Und Peer? Der spielt im Greisen-Karneval den Starken, den Macho, den Helden. Wie er sich in den erahnten Bergen an die fettleibige Brust von Josef Ostendorf als Trollkönig drücken läßt. Wie er dessen Königstochter - von Martin Reinke im Kitsch-Tulpenkleid der 60'er Jahre grotesk gespielt - schwängert und dann doch die Flucht ergreift vor einem Leben im Zwischenreich, ist wunderbar anzusehen. Doch alles Groteske, alles Überspitzte, alles Brabbeln und Sabbern verhindert nicht, daß die rund dreistündige Inszenierung von Kölns Intendantin auf weiten Strecken Längen hat. Das Zittern und Zappeln, das Mundabwischen und Kaffee-Ausschenken und nicht zuletzt Schwester Solveigs Klagen über ihren Job an den oft nur noch künstlich am Leben gehaltenen Alten ist zu dominierend.
 
Dennoch gibt es schöne Regie-Einfälle. Wenn Reinke etwa mit sonorer Stimme den Altershit "60 Jahre - und kein bißchen weise" von Curd Jürgens singt und kurz darauf als Trollmädchen den Schlager "Mit 17 hat man noch Träume" trällert, ist das vergnüglich im nordischen Land der Mythen. Zwischendurch säuft Peer sich sein Leben schön und bekennt: "Mal zu tief ins Glas geschaut - ist der ganze Scheiß verdaut." Wie Angelika Richter sich stolze 15 Minuten lang als Table-Dancerin vor Peer Gynt in sexistischer Pose gibt, sich begehrlich begehrend windet und ihn um sein Erspartes bringt, ist beachtlich und zieht die Blicke zumindest der männlichen Premierengäste auf sich. Wie er mit anderen Kapitalisten über das Geschäftemachen philosophiert, ist Zeitgeist-Effekthascherei: "Ich bin Waffenhändler und Sie? Ach, Investmentbanker. Na das ist doch das Gleiche!"
 
Nach der Pause dann zieht sich das letzte Drittel merklich. Die Schiffsreise nach Hause übersteht Peer schwankend und nur um den Preis, daß er andere Schiffbrüchige vom rettenden Holz in die todbringenden Fluten stößt. Doch zu Hause findet er - natürlich mit der Zwiebel kämpfend - nicht sein wahres Ich. Solveig ist alt und klapprig und auf ihn selbst wartet nur der Geige spielende Tod samt dem Knopfgießer. Ein langer Abend, der trotz schöner Momente nicht vollständig überzeugen konnte. Trotzdem applaudierte das Premierenpublikum am Ende erschöpft und lang anhaltend.
 
Nächste Aufführungen: 18., 22. November und 13., 14. Dezember

Weitere Informationen unter: www.buehnenkoeln.de