Martha Argerich und Micha Maisky seit 40 Jahren zusammen auf der Bühne

Am 06.06.2023 in Wuppertal mit Beethoven, Debussy und Chopin

von Johannes Vesper

Klavierfestival Ruhr 2023 - Martha Argerich, Micha Maisky - Foto © Christian Palm

Martha Argerich und Micha Maisky
seit 40 Jahren zusammen auf der Bühne

Am 06.06.2023 in Wuppertal mit Beethoven, Debussy und Chopin
 
Von Johannes Vesper
 
Zu Beginn dieses außergewöhnlichen Konzertes gab Franz Xaver Ohnesorg bekannt, daß Martha Argerich heute zum 30. Mal und Mischa Maisky als Cellist zum 10. Mal beim Klavierfestival Ruhr auftreten, daß Martha Argerich vorgestern ihren 82., Mischa Maisky vor kurzem seinen 75. Geburtstag, und das 50jährige Jubiläum seines 1. Konzertes im Westen (nach Auswanderung aus der Sowjetunion) gefeiert haben. Also wurden die beiden unter dem souveränen Dirigat des Intendanten mit einem kräftigen „Happy Birthday“ des Publikums in der ausverkauften Stadthalle begrüßt.
 
Das Konzert selbst startete mit der Cellosonate Nr. 2 g-Moll op 5/2 des 26jährigen Ludwig van Beethoven (1770-1817), die er zu seinem Besuch bei König Friedrich Wilhelm II in Berlin komponiert hatte. Nach derbem Eingangsakkord im Adagio sostenuto et espressivo entwickelt sich ein gesangliches Thema des Cellos. Gleichberechtigt musizieren die beiden Instrumente, stürzten sich dann mit Verve in ein großes Allegro molto, welches lebendig und sehr schnell vorgetragen wurde. Dabei wie auch im 2. Satz hatte es der Cellist trotz vollen Krafteinsatzes nicht leicht, sich klanglich gegenüber dem mächtigen Klavier bei affenartigem Tempo und überhaupt nicht altersgemäßem Temperament zu behaupten. Die hochvirtuosen Cello-Arpeggien gingen, obwohl durchaus forciert vorgetragen, gelegentlich im leidenschaftlichen pianistischen Sturm etwas unter. Die Tempi waren schon bei der Aufführung des gleichen Stücks am 24. 01.2022 an gleichem Ort eine Bemerkung wert gewesen. Bei Martha Argerich scheinen jedenfalls Fingerbeweglichkeit und Geläufigkeit parallel zum Alter zuzunehmen. Mischa Maisky hatte am Ende seiner Anstrengungen das Bedürfnis sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Beethoven hatte in Friedrich Wilhelm nicht nur einen ungewöhnlichen Celloenthusiasten getroffen, sondern auch Jean-Pierre Duport, mit dem er die Sonate erstmalig spielte. Friedrich der Große hatte den berühmten Musiker 25 Jahre zuvor als Solocellisten in sein Berliner Orchester geholt. Dank seines Unterrichts wurde König Friedrich Wilhelm II ein sehr guter Cellist. Für die ihm gewidmete Sonate hat sich der königliche Streicher beim Komponisten mit einer kostbaren goldenen Schnupftabakdose bedankt.
 
Die Cellosonate von Claude Debussy (1862-1918), der sich auf der Titelseite der Erstausgabe als „Musicien francais“ bezeichnet hatte, entstand 1915, als er zunehmend unter seinem fortschreitenden Dickdarmkrebs zu leiden hatte. Sie gehört zu dem geplanten Zyklus von sechs Sonaten für verschiedene Instrumente, von denen aber nur drei vollendet wurden. Die Ouvertüre beginnt mit dem langsamen Prolog eines ernsten, geheimnisvollen Motiv in hier subtiler Dynamik und erinnert mit den Verzierungen und Punktionen an französische Barockmusik des von Debussy verehrten Jean-Philippe Rameau(1683-1764). Das Cello reagiert auf die strenge Einleitung frei in der Art einer Kadenz. Bei den umfangreichen Pizzicati des 2. Satzes wird das Cello sozusagen zu einer großen Kniegitarre, wären da nicht doch auch eingestreute Kantilenen und klangvolle Flageolette. Ironisch wollte er diese Musik verstanden wissen, was auch immer das heißt. Die unterschiedlichen, stellenweise aberwitzigen Tempi (animé, vivace, Lento Vivace) führten mit feinen Glissandi, metallischem Saitenklang bei kräftigem Strich nahe des Stegs zu jedenfalls zu einer Zerrissenheit der Musik, die die tragische Lebens- und Leidenssituation des Komponisten zum Lebensende hin widerspiegeln mag. Früher hatte er geschrieben hatte, meine „Musik besteht aus Farben und rhythmisierter Zeit“. Vorbei. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Nach dem Ausbruch des fortgeschrittenen Krebsleidens wurde endlich eine Operation unter Morphium durchgeführt, die aber ebenso wie die anschließende Bestrahlungsbehandlung mit Radium keine durchgreifende Besserung brachte. Debussy, stets unter Schmerzen erheblich leidend, war zuletzt ans Bett gefesselt, wollte „in der Gesellschaft von Bäumen und Vogelgezwitscher“ begraben werden, wurde tatsächlich aber am Ende des Krieges unter Artilleriebeschuß zu seiner letzten Ruhe geleitet.
 

Klavierfestival Ruhr 2023 - Martha Argerich, Micha Maisky - Foto © Christian Palm

Nach der Pause gab es die Sonate g-Moll op. 65 für Violoncello und Klavier von Frederic Chopin (1810-1849), eines der neun Werke, die der Komponist nicht für das Klavier alleine geschrieben hat. Der Komponist war mit dieser Sonate, seiner letzten Komposition mit Opuszahl, nie recht zufrieden gewesen. Vor allem mit dem langen 1. Satz tat sich Chopin schwer und ließ ihn bei der Uraufführung mit dem berühmten Cellisten Auguste-Joseph Franchomme einfach weg. Martha Argerich hingegen spielte technisch souverän, weniger delikat als kräftig ihre Klavierkaskaden rauf und runter, sodaß Micha Maisky bei dem oft tief gesetzten Cellopart trotz vehementen, hoch dynamischen Strichs nur selten sein wunderbares Cello singen lassen konnte, wie auch nicht im hochvirtuosen Scherzo des 2. Satzes. In dessen cantablem Mittelteil aber, auch im Largo (3. Satz) mit der wunderbaren, ruhigen Kantilene allerdings spielte der Cellist auf dem Cello von Domenico Montagnana (Venedig, 1720) Herz und Seele voll aus. Nach dem rasenden Finale hielt sich das Publikum nicht länger auf den Stühlen, jubelte mit nicht enden wollenden Bravi und stehenden Ovationen. Blumen gab es u.a. vom Mäzen dieses großartigen Konzertes (Großer Dank an Knipex/Familie Putsch) und drei Zugaben: Franz Schuberts inniges Lied „Du bist die Ruh“ (D.776, Transkription), Dmitri Schostakowitschs hochvirtuosen 2. Satz aus seiner Violoncellosonate op. 40, ein „Rausschmeißer-Hit“ in aberwitzigem Tempo mit Oktavparallelen, halsbrecherischem Pizzicati und Flageolett-Glissandi. Erst nach dem stimmungsvollen „Liebesleid“ von Fritz Kreisler verließ das Publikum schließlich doch noch den Saal.
Ein wunderbarer Abend, währenddessen in den Nachrichten der katastrophale Dammbruch am Dnipro gemeldet wurde.