Der alte Mann und sein Hund (34)

von Erwin Grosche

Foto © Bernd Mueller
Der alte Mann und sein Hund (34)
 
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Es war Montag und er hatte gerade seine Mülltonne auf den Bürgersteig gestellt. Er wußte, daß gleich alle seine Nachbarn auch ihre Mülltonnen auf die Straße stellen würden. Sie schauten schon aus dem Fenster und winkten ihm zu. Zufrieden schaute er auf seine gelbe Mülltonne, die noch allein auf die Abholung wartete. Gibt es ein harmonischeres Bild als eine Straße voller gleich aussehender Mülltonnen, die alle auf ihre Entleerung warten? Der alte Mann war stolz. Alle seine Nachbarn richteten sich nach ihm. Stellte er die blaue Mülltonne mit dem Papiermüll raus, stellten auch alle ihre blauen Mülltonnen mit dem Papiermüll raus. Einmal hatte er aus Versehen die grüne Mülltonne rausgestellt, obwohl die graue dran gewesen wäre. Alle stellten dann auch ihre grünen Mülltonnen raus. Da war was los. Der Mitarbeiter von der Müllabfuhr dachte doch, er wäre schon eine Woche weiter gewesen und wußte gar nicht mehr, was er entleeren sollte. Einmal hatte der alte Mann seinen Fernseher auf den Bürgersteig gestellt, da stellte die gesamte Nachbarschaft auch ihre Fernseher auf den Bürgersteig, aber seiner war kaputt gewesen. Er stand nur da, weil an dem Tag Elektroschrott abgeholt wurde. Nun gab es in der ganzen Straße keinen Fernseher mehr. Einmal stand er selbst auf dem Bürgersteig, da kamen alle aus ihren Häusern und stellten sich auch auf den Bürgersteig. Das Taxi, das er bestellt hatte, wußte erst gar nicht, wen es mitnehmen sollte. Zum Glück war es ein Sammeltaxi, da fuhren alle gemeinsam in der Stadt herum und schauten sich an, wie die anderen Stadtteile versuchten ihre Straßen menschlicher zu gestalten. Der alte Mann entdeckte zum Beispiel, daß am Valentinstag nur rote Autos in der Riemekestraße parken durften und zu Weihnachten im Rotheweg nur goldene SUVs standen, die alle einen Duftbaum mit der Duftnote Tanne im Auto hängen hatten. Man kann schon was machen. Er erzählte gerne die Geschichte, wie mal in seinem Viertel eine Bombe entschärft werden mußte und alle bis um 16:00 Uhr die Straße verlassen sollten. Er erinnerte sich noch daran, wie niedergeschlagen und traurig alle waren, weil keiner wußte, ob sie jemals ihre Häuser und ihre Straße wiedersehen würden. Da hatte der alte Mann eine Idee. Er stellte als Zeichen der Hoffnung seine Mülltonne auf den Bürgersteig. Wie gerührt war er, als alle seine Nachbarn und Nachbarinnen mitzogen und auch ihre Mülltonne auf den Bürgersteig stellten, zumal am nächsten Tag sowieso die Müllabfuhr kommen sollte.

© Erwin Grosche
 
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