Detlef Färber - Foto © Silvio Kison Wächst alles wieder nach   Das Land, das es nicht mehr gibt, hatte einen Vorzug: Es war das Land meiner Jugend. Höchste Zeit also, mal was Nettes zu erzählen. Zum Beispiel, daß es im Osten ein Wirtschaftswunder gab. Tatsächlich! Das hatte zwar nicht viel mit Wohlstand zu tun - nein, wirklich nicht. Aber ein Wunder war's trotzdem, weiß Gott! Denn damals im Osten hat ein ganzes Land nach einer einzigen gemeinsamen Methode gearbeitet: der Bassow-Methode. Überall war nur von dieser einen Methode die Rede. Über jedem Fabriktor, an jeder Maschine und jedem Schraubstock hing der Spruch: „Wir arbeiten nach der Bassow-Methode“. Oder gleich an jedem Kittel und jeder Schürze als Selbstverpflichtung: „Ich arbeite ...“ Egal ob Direktor oder Tippse, Brigadier oder Putzfrau - sie alle einte einst eins: die Bassow-Methode. Und niemand wollte da methodisch abweichen: Ich schon gar nicht!        Allerdings hatte die Sache bei mir kleinem Lehrling einen kleinen Haken. Ich wußte nämlich beim besten Willen nicht, was diese Bassow-Methode sein sollte. Deren Inhalt, Wortlaut oder Knackpunkt mußte mir beim jugendlichen Rumträumen mehrmals vollends entgangen sein, so daß es auch nicht möglich war, nachzufragen. So, wie man Leute, die man lange kennt, irgendwann nicht mehr nach ihrem Namen fragen kann. Also mußte ich das Rätsel im Alleingang lösen. Eine irgendwie neue, hochflexible Technologie mußte diese Methode sein, mit der uns der sowjetrussische Kommunist und Erfinder Alexei Dmitrijewitsch Bassow - naja - beschenkt hatte. Aber was speziell konnte sie besagen, diese Methode, die offenbar zum Kanonenbau und zur Kartoffel ernte gleichermaßen geeignet war? Geradezu unglaublich allgemeingültig schien mir diese Methode zu sein: ein Kategorischer Imperativ für die Werkbank! Und Alexei Bassow war demnach der Immanuel Kant für uns Proleten.        Doch immer noch fehlte mir der Bassow-Wortlaut, und ich kam und kam nicht von selber drauf. Nein, diese Materie war zu schwierig für mich, und so faßte ich mir in meiner Verzweiflung doch ein Herz und fragte kurzerhand den alten Meister. Und der faßte das Bassow-Mysterium in die wunderbar schlichten sächsischen Worte: Baß uff deine Pfoten uff! Das war's also: Die Bassow-Methode als Paß-auf-Methode! Das russische Universalgenie hatte nichts Geringeres als den Kategorischen Imperativ des Arbeitsschutzes entwickelt: Arbeite nur nach derjenigen Methode, von der du wollen kannst, daß sie zur allgemeingültigen Arbeitsschutzbestimmung werde.        Und endlich, im Vollbesitz der Bassow-Methode, gelang es mir, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Napoleon zum Beispiel: Warum mußte der alte Eroberer seine eine Hand ständig in der Uniformjacke über seinem Bauch verstecken? Das war mir nun plötzlich sonnenklar. Er hatte sich beim Regieren mit harter Hand die Finger blutig gedrückt. Und warum? Weil es zu seinen Lebzeiten die Bassow-Methode noch nicht gab! Oder, andres Beispiel: der Neandertaler. Endlich hatte ich unwiderlegbar den Beweis für den Grund seines Aussterbens: In vorauseilender Mißachtung der Bassow-Methode war nämlich dieser bedenkenlose Vormensch ohne die nötige Arbeitsschutzkleidung zur Eiszeit ausgerückt. Ganz anders erging es jenen Helden der Arbeit im Osten, die die Bassow-Methode befolgten. Sehr kreativ befolgten: nämlich mit Hände-Stillhalten und damit, am liebsten im Warmen und letztlich auf dem Trocknen zu sitzen. Und so, und nur so, haben es diese Helden - anders als das Land - geschafft, ihre Eiszeit zu überleben.        Doch wer denkt, mit der DDR sei auch die Bassow-Methode untergegangen, der kommt neuerdings aus dem Staunen nicht mehr raus. Denn ganz Deutschland, ach was, ganz Europa, muß sich inzwischen nach Alex Bassows Methode richten - seit hinter jeder Ecke die Geheime Sprachpolizei lauert, um jeden, der vom korrekten Reden und vom einzigrichtigen Denken abweicht, an den Schandpfahl zu stellen. Seither muß wieder jeder jeden Satz mit einer lückenlosen Bekundung seines guten Willens einleiten. Das ist das sensationelle Comeback von Bassows Baß Uff! Der Geist von vorgestern avanciert zur Tagesparole. Wächst also alles wieder nach.     © Detlef Färber