Gibt es einen Osterhasen?

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Gibt es einen Osterhasen?
 
Ich habe mal einem Gespräch unter Kindern beigewohnt, wo die Frage nach dem Osterhasen erörtert wurde. „Fachleute unter sich“, dachte ich. „Wo es Kinder gibt, gibt es Antworten.“ Und wirklich schwor dann ein Mädchen, daß es gestern einen Osterhasen gesehen hat, der mit einem Eimer voller Pinsel vor der Kilianskirche gestanden hat. „Er trug sogar eine weiße Latzhose, auf der viele Farbflecken zu sehen waren.“ Ein Erwachsener würde kontern, das kann auch ein Mitarbeiter vom Malermeister Halsband gewesen sein. Alle Kinder aber wußten, daß sich manche Wunder von selbst erledigen, wenn man älter geworden ist. Warum tragen Maler eigentlich immer vollgekleckerte Latzhosen, obwohl sie noch gar nichts gemacht haben? Wollen sie sich dadurch der Kontrolle der Arbeitsprüfer entziehen? Machen wir uns nichts vor, ich erkläre lieber einer Hambornschülerin die Abseitsregel, als mich auf ein Gespräch über den Osterhasen einzulassen. Wäre es heutzutage nicht glaubhafter zu berichten, daß die Ostereier von Amazon gebracht werden? Wenn man Hühner in Kleingruppenkäfigen sieht, kann man sich kaum vorstellen, daß sie es schaffen zu Ostern genug Eier zu liefern. Man darf auch nicht vergessen, daß der Feldhase in Deutschland so gut wie ausgestorben ist und man auf Fachkräfte aus Rumänien zurückgreifen muß, um alles händeln zu können. Außerdem ist es schwer für Hasen geworden ein Osterfest zu planen. Warum ist Ostern nie am gleichen Datum? In einem Jahr feiern wir das Fest bereits Ende März und in einem anderen Ende April. Claus Josephs, der neue Leiter vom Ordnungsamt, müßte so etwas wissen, oder hat ihn der scheidende Ex erst darin eingearbeitet, wie man vergessene Ostereier entschärft, ohne gleich ein Stadtviertel evakuieren zu müssen? Kann uns dann Wilhelm Grabe vom Stadtarchiv helfen? Er ist ein Fachmann darin, wie früher das Osterfest gefeiert wurde. Er kennt die Osterhasenverstecke, die im 17. und 18. Jahrhundert genutzt wurden, doch das macht uns den heutigen Umgang mit ihm nicht leichter. Paderborn hat sich verändert. Wir sind inzwischen eine anerkannte High-Tech-Stadt vom Kaliber Toronto oder Singapur. Teilweise bemalen hier HNF-Roboter die Eier, und Drohnen mit Hasenohren fliegen damit über das Riemeke-Viertel und der Südstadt. Mich überzeugt jedes Jahr, daß sich 8.003.000.000 Menschen, also die ganze Weltbevölkerung, sicher sind, daß es einen Osterhasen gibt, der Latzhosen und eine Eierhürde trägt, um den kleinen Kindern nicht die Freude am Eiersuchen zu verderben. Wenn die Weltbevölkerung sich darauf einigen kann und Kinder es noch immer schaffen, an diese unglaubliche Ostergeschichte zu glauben, dann überzieht diese Absprache wie eine Tatsache die Erde. Auf alles, wozu der kluge Menschenverstand nicht mehr ausreicht, haben die Phantasie und das Verzeihen einen großen Einfluß. Apropos: Wie oft versteckte sich das Wort „Ei“ in diesem Text? Aber um die Frage zu beantworten. Natürlich, es gibt einen Osterhasen. Wer kann sich da sicherer sein als die Menschen in der Drei-Hasen-Stadt. Frohe Ostern, Paderborn
 

© Erwin Grosche
 
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