Sex and Crime in der Oper

Wolfgang Seidel – „Die Braut des Holländers. Berühmte Frauengestalten in der Oper“

von Johannes Vesper

Sex and Crime in der Oper
 
Berühmte Frauengestalten der Opermbühnen
 
Die europäische Operngeschichte begann 1607 mit Monteverdis „Orfeo“. Seitdem entstanden laut Wiki mehr als 500 Opern. Im Opernführer, in welchem nur die meistgespielten auftauchen, finden sich immerhin ca. 220. Ursprünglich war das nicht vorhandene Urheberrecht dafür verantwortlich, daß immer neue Opern geschaffen werden mußten, damit die Komponisten und Librettisten leben konnten. Vierundvierzig Komponistinnen haben Opern komponiert. Vor allem aber als Titelfiguren, Bühnenheldinnen, als Fürstinnen, Geliebte, Heroinen spielen Frauen in der Operngeschichte bedeutende Rollen, und alle diese starken Frauen erscheinen auf den Bühnen als Figuren ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft. Da ist Orientierung nötig und wird von Wolfgang Seidel geliefert, der sich schon mehrfach kulturgeschichtlichen Themen gewidmet hat.
 
Inzwischen ist das Standardrepertoire durchaus überschaubar und Wolfgang Seidel hat Frauengestalten aus 29 Opern, von der „Alceste“ bis zur „Violetta“, behandelt, analysiert, dargestellt und bedauert, daß heutige aktuelle Themen nicht mehr auf der Opernbühne erscheinen: Angela Merkel und Ursula von der Leyen entsprechen beide nicht der der Lady Macbeth, könnten aber vielleicht trotzdem anderes Publikum in die Opernhäuser ziehen, würden sie erst auf den Opernbühnen singen. Die gekrönte Poppea und größte Hure Roms ihrer Zeit („Die Krönung der Poppea“ 1642 Claudio Monteverdi) oder auch „Agrippina“ (Stadtgründerin von Köln und Oper von Georg Friedrich Händel aus dem Jahre 1709 ) fechten ihre Intrigen, Machtkämpfe, Eifersuchtsdramen und Leidenschaften in der römischen Kaiserzeit höchst spannend aus. „Sex and Crime“ faszinierte über Jahrhunderte das Publikum, als es Netflix noch gar nicht gab. Nach der weiblichen Psyche wird in der Barockoper kaum gefragt. Kurtisanen und Mätressen gehörten als Hofdamen im Barock dazu und geheiratet wurde nicht aus Liebe oder Zuneigung, sondern eher dienstlich aus dynastischen Gründen. Das änderte sich im 19 Jahrhundert. Für „Violetta“ war die „Liebe der Pulsschlag des Universums“. Als der „Fliegende Holländer“ Ricard Wagners die Biedermeiernähstube betritt, erschrickt Senta, die gehorsame, höhere Tochter, bis ins Mark und erschreckt mit ihrem Schrei das Publikum. Im „Ring“ ist zu erleben, wie die Welt zugrunde geht, wenn Betrug, Geld und Gewalt regieren. Wotans uneheliche Tochter, vom Feuergott Loge vor Durchschnittsmännern gesichert, rächt sich an ihrem Geliebten, der sich schicksalsbedingt umorientieren mußte, und läßt ihn vom finsteren Hagen umbringen. Zuletzt hat sie nur noch Grane, ihr Roß, bevor sie im nicht-klimabedingten Rheinhochwasser untergeht. Auch das „geflügelte Luft- und Windwesen“ Kundry, die einzige Frau in der ansonsten reinen Männeroper „Parsifal“ singt laut und deutlich: „Nie tu ich Gutes“.
 
Und die moderneren Frauen wie Carmen, Elektra oder Salome schrecken vor gar nichts mehr zurück. Waren von Eva im Paradies über Carmen bis Lulu die Frauen tatsächlich immer die sexuell offensiven Verführerinnen und die Männer Opfer, oder vielleicht nur in der Oper? „Erst durch den Siegeszug der Frauenbewegung seit den 1960er Jahren“ sei es zum „Rollentausch“ gekommen. Sieht man heute in jedem Manne gerne einen „Harvey“, galten auch schon vor Zeiten für Angela del Moro und Susanna im Bade Männer als aggressive Vergewaltiger. Auch Tosca mußte sich, zwar singend, bereits mit Kuß und Messer des unappetitlichen, ekligen wie furchtbaren #MeeToo-Ganoven Scarpia erwehren. Und die Rätsel der frigiden Turandot erinnern trotz humaner Ministerialbürokratie des chinesischen Reiches mit den Ministern Ping, Pang und Pong an die Schauprozesse Stalins und Freislers, bei denen der tödliche Ausgang auch schon vorher feststand. Frauen sind jedenfalls rätselhaft.
 
Im Anhang werden Komponisten und Librettisten dargestellt, findet sich zusätzlich ein umfangreiches Sachregister. Das amüsante Buch ist flott, locker geschrieben und kann als unterhaltsame Lektüre wie als Opernführer empfohlen werden.
 
Wolfgang Seidel – „Die Braut des Holländers. Berühmte Frauengestalten in der Oper“
© 2021 Faber & Faber, 287 Seiten, gebunden, Lesebändchen -  ISBN 978-3-8673-217-2
24,- €
 
Weitere Informationen: www.verlagfaberundfaber.de