Dies Bildnis ist bezaubernd schön

Jörg Pramor (Fotografie) - Daniel Juhr (Autor)

von Frank Becker


Vom Seemannsgrab zum Arschgeweih

Dies Bildnis ist bezaubernd schön
Hautgeschichten

Rund zwei Quadratmeter Haut bedecken den Körper eines durchschnittlich großen Menschen. Haut, auf der bei Teenagern Pusteln und Pickel sprießen, auf der bei Männern mitunter großflächig Haare wuchern (bzw. anderenorts ausfallen), Haut, die bei jungen Menschen, vor allem Mädchen samtweich und zart ist und die bei Alten runzlig, fleckig und faltig wird. Im Hausmärchen Nr. 53 der Brüder Grimm wird Schneewittchens makellose Haut  gelobt: „so weiß wie Schnee“. Weit in der Zeit zurück reicht die Tradition alter Kulturen, die Reinheit bestimmter Partien der Haut mit Bildern zu zieren. Die auch bei den Germanen gepflegte Sitte des Tätowierens war hierzulande in Vergessenheit geraten und kam erst durch Seeleute im 18. Jahrhundert von den Marquesas-Inseln wieder zurück. Das thaitische „tatau“ (zeichnen) wurde zum „Tätowieren“, engl. „tattow“, später „tattoo“, frz. „tatouer“. Bei Goethe heißt es noch „tatouiren“.


Sara Urban - Foto © Jörg Pramor



Sara Urban - Foto © Jörg Pramor

Was in der abendländischen Gesellschaft noch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts überwiegend Seeleuten, Abenteurern, Artisten und Strafgefangenen vorbehalten war - sie wissen schon, Anker, Mutters Grab, nackte Schöne, Name der wartenden Braut oder unter Verbrechern als Erkennungszeichen drei Punkte im Winkel zwischen Daumen und Zeigefinger bzw. die Träne unter dem Auge, ist seither in einem ungeheuren Boom zum begehrten Körperschmuck, seit den 90ern vor allem bei jungen Frauen geworden. Der Phantasie sind allenfalls durch die Kunstfertigkeit der Tätowierer Grenzen gesetzt, doch die haben sich den Anforderungen gestellt und sind zu einer Zunft wahrer Künstler geworden. Ihre Bilder auf den Körpern schöner junger Frauen haben den Fotografen Jörg Pramor derart fasziniert, daß er sich dem Thema jahrelang umfassend gewidmet hat.


Julia (Schnute) - Foto © Jörg Pramor

Jörg Pramor, Jahrgang 1963, bekam seine erste eigene Tätowierung mit 19 Jahren. Weitere folgten, und er sei noch lange nicht fertig, heißt es in seinem ersten Buch „Hautgeschichten“, das wir ihnen hier mit einer kleinen Auswahl vorstellen. Mehr als 150 mit Tätowierungen geschmückte weibliche Modelle hat er fotografiert. Die Auswahl - auch unsere - ist zwangsläufig subjektiv. Die hier präsentierten Modelle verzichten überwiegend auf sichtbares Piercing, lassen die z.T. dezent plazierten Hautbilder wirken, ohne durch Metall im Gesicht abzulenken. Wir sehen hier phantasievolle Blumen und Sterne, Drachen, Schmetterlinge und sogar eine Geisha. Das Buch zeigt auf seinen 120 Farbseiten natürlich mehr: Schriftzüge wie „Glaube, Liebe Hoffnung“, Totenköpfe, Comic-Figuren, Flammen, Aktdarstellungen, Portraits, Fische und natürlich die berüchtigten Arschgeweihe.
 

Fairy - Foto © Jörg Pramor

Das durch seine phantastischen Bilder dokumentierte hochwertige Ergebnis der Arbeit Jörg Pramors wird von einem Essay und einfühlsamen Texten des Journalisten Daniel Juhr begleitet. Es ist so überzeugend, daß er gewiß „nachlegen“, will sagen, einen weiteren Band mit den delikaten Kunstwerken auf zarter Haut gestalten muß, um der zu erwartenden Nachfrage gerecht zu werden.
Weil das bislang leider nicht geschehen ist, erinnern wir mit dieser bilderreichen Buchbesprechung gerne daran.
 
 

Linda Kays - Foto © Jörg Pramor

Jörg Pramor (Fotografie) - Daniel Juhr (Autor) - „Hautgeschichten“
© 2007 rga Buchverlag, 120 Seiten, gebunden, durchgehend farbig illustriert - mit einem Vorwort von Stefan Kretzschmar und einem einleitenden Essay von Daniel Juhr (Das Buch ist mittlerweile vergriffen.)
28,50 €

Weitere Informationen unter: www.rga-buchverlag.de
 
Das Buch ist beim Verlag und im Buchhandel vergriffen. Wenige Exemplare sind im Online-Antiquariatshandel zu finden.