Bildende Kunst zwischen Paradies und sexuellem Mißbrauch in der Kirche

Verdammte Lust! Kirche Körper Kunst

von Johannes Vesper

Katalogband
Bildende Kunst zwischen Paradies
und sexuellem Mißbrauch in der Kirche
 
„Verdammte Lust! Kirche, Körper, Kunst“ in Freising
 
Von Johannes Vesper

Schuld und Sühne, Christentum und Sexualität waren immer große Themen. Heutzutage ruinieren sexueller Mißbrauch und der Umgang damit die christlichen Kirchen. Die Ausstellung im Diözesan-Museum Freising (4.3-29.5. 2023) zeigt zum Thema mehr als 150 Kunstwerke von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, darunter Bilder von Leonardo da Vinci, Tintoretto, Cranach und Artemisia Gentileschi. Lust und Begierde, Zölibat und Ehe, Reinheit, Unreinheit, Keuschheit wurden in der Kirche schon immer kontrovers diskutiert. Die Susanna-Ausstellung im Köln hatte sich eines ähnlichen Themas angenommen. Helfen Kunst und Kunstbetrachtung hier weiter?
Dabei scheint der Sündenfall erstmal kein Problem überschießender Sexualität von Adam und Eva gewesen zu sein. Im Garten Eden, dem Garten der Wollust, essen die beiden keine Aphrodisiaka, sondern einen Apfel vom Baum der Erkenntnis, und es ist aus heutiger Gendersicht wirklich interessant, daß Frau Eva den Anstoß zum Erwerb von Erkenntnis gab. Bei Lucas Cranach d.Ä. wie bei Albrecht Dürer sind aber auch Wollust und Erotik im Garten nicht zu übersehen. Und wer von den beiden aktiver ist, wird unterschiedlich gesehen

Eva wollte wie Gott wissen, was gut und was böse ist und beide schämten sich nach dem Apfel ihrer Nacktheit. Als Strafe setzte Gott „Feindschaft“ zwischen Adam und Eva (1. Mose 3, 15). Ehestreit ist also paradiesischen Ursprungs. Zusätzlich drohte er den Frauen die Schmerzen unter der Geburt an und bezüglich der Sexualität ihre Abhängigkeit vom Mann.
So geht der Streit zwischen Lust und Selbstkontrolle los. Der Nordafrikaner Augustinus (354-430) tolerierte die Libido nur im Rahmen der Fortpflanzung. Reiner Sex in und natürlich außerhalb der Ehe galt ihm dagegen als schwere Sünde. Thomas von Aquin dagegen gab sich schon viel moderner. Wenn Gott die Fleischeslust und Sexualität gegeben hat, kann beides nach seiner Auffassung nicht prinzipiell schlecht sein. Erst Boccaccio (1313-1375) behandelt die Sexualität als Ausdruck der Liebe.
 
Lucas Cranach d.Ä. Adam und Eva (Der Sündenfall), nach 1537
© KHM-Museumsverband Wien


Albrecht Dürer, Adam und Eva (Der Sündenfall), 1504 © Privatbesitz

Im Einzelnen und in Gänze können die 20 Essays zum Thema in vom Katalog getrennten Essayband hier nicht reflektiert werden. Johannes G. Deckers schreibt über „Lust und Leben, Tod und Teufel“ und untersucht anhand der bildenden Kunst wie unterschiedlich Erotik, Sex und Sünde bei den antiken Göttern im Vergleich zu Juden- und Christentum bewertet wurde. Bei Griechen und Römern erschien Dionysos in der Regel nackt, wurde umtanzt von wilden Mänaden. Pan, halb Ziegenbock, halb Mann, war mit immer erigiertem Penis stets zu allem bereit und galt später den Christen als personifizierte „Verteufelung des Zeugungstriebes“. Und Aphrodite verführte durch ihre Schönheit alle und brachte selbst den Göttervater dazu, sich zur Triebbefriedigung in Adler, Stier und Schwan zu verwandeln. Erotik, Liebe, Lachen, leckere Speisen in ausreichender Menge und viel Wein gehörten nach den Bildern aus Pompeji in der Antike jedenfalls zum Leben dazu. Auch Jesus hatte nichts gegen Frauen, ihre Schönheit, Erotik und Sexualität. Bei der Hochzeit von Kanaa sorgte er für ausreichend Wein und der Sünderin Maria Magdalena, die ihn salbte und ihm die Füße küßte, vergab er ihre Sünden. Ihre Entrückung, wie sie von Francesco Cairo (167-1665) gemalt wurde, ist offensichtlich erotischer Natur. Bei Tizian ist Jesus dann fast nackt, wenn sich die vor ihm kniende Maria Magdalena nähern will („Noli me tangere“).
 

 Entrückung der Hl. Maria Magdalena, Francesco Cairo (1607-1665) um 1650, © Collezione Gastaldi Rotelli -
 Foto Diego Brambilla, Mailand 

Auch die nackte Susanna („Susanna und die beiden Alten“ Rubens) ist ein Beispiel dafür, wie Erotik und Mythen aus der Bibel als Themen in der bildenden Kunst ihre Attraktion behalten bis hin zum „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch (1450-1516), in dem alle Figuren nackt sind und sich sexuell betätigen. („Reden über den Garten Eden“ von Thomas Raff).
„Enthaltsamkeit ist etwas für Philosophen“, jedenfalls nichts für Priester und Bischöfe stellt Andreas Tacke in seinem Essay über „Die Konkubinate geistlicher Fürsten“ fest, denen Luther empfohlen hat „ihre Huren von sich zu treiben“. Bei der phantastischen Orgie von Cesare Carpioni (1613-1678) handelt es sich aber nicht um eine Bischofskonferenz.


Giulio Cesare Carpion, Rausch des Silens (1613-1678) © Privatbesitz

Monica Kurzel-Runtscheiner („Roma cauda mundi“) berichtet, wie die Hetären des Altertums von der klerikalen Oberschicht Roms um 1500 n. Chr. wiederbelebt worden sind. Dort gab es damals bei berufsbedingtem Männerüberschuß in der Stadt kaum Priester ohne eigenes Konkubinat. Die Kurtisane als Gefährtin der päpstlichen Hofbeamten wurde 1498 sogar als „ehrbare Hure“ bezeichnet. Da ist es zur „Hofdame“ nicht mehr weit. Aus ganz Europa kamen damals junge Mädchen und Frauen in die Hauptstadt der Christenheit. wo sie mittels Prostitution alleine selbständig ihr Glück machen konnten. 10% der Gesamtbevölkerung Roms seien um 1500 Prostituierte gewesen. Was für Zeiten!
Im Katalog werden zahlreiche Abbildungen zum Thema in acht Kapiteln gezeigt, kategorisiert nach Schamlosigkeit, Sünde, Sinnlichkeit, Reinheit, Verbot und Erlaubnis, Verletzungen. Da sind unter dem Stichwort „Sünde“ nicht nur die nahezu pornographischen Drucke der Gebrüder Beham, von Georg Pencz und Heinrich Aldegrever (aus Soest), alle aus der Dürerzeit, zusehen, sondern auch erotische Malereien aus Pompeji und Herculaneum, die jahrzehntelang im Archäologischen Museum von Neapel und Verschluß gehalten wurden. Schon in der Antike haben sich Menschen Gesundheit und Zeugungskraft von den Göttern auch mit Votivgaben erbeten und schreckten dabei vor keiner Erotisierung zurück, so wie auch der „fleischgewordene Engel“ Leonardo da Vincis prächtige Erektion zeigt. Über dessen Kindheit hat glaubte Sigmund Freud sich Gedanken machen zu müssen. Auf der letzten Abbildung ist seine Broschüre von 1919 „Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci“ abgebildet. Das Schlußkapitel ist überschrieben: „Es bleibt schwierig“. Wohl wahr. Immerhin zeigt der Blick auf die Kunst und ihre Geschichte, daß Sexualität, gesellschaftliche und kirchliche Tabus kein aktuelles Problem darstellen. Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising, hatte die Ausstellung angeregt und stellt, anscheinend ratlos, im Vorwort fest, daß das Sexualverhalten und die Lebensrealität der Menschen (wie der Priester!) sich jeder Regulierung und Normierung durch Gesellschaft und Kirche entziehen und verweist explizit auf die brisante Diskussion vor allem auch in seiner Kirche über den sexuellen Mißbrauch. Dokumentiert die sehenswerte Ausstellung also das Versagen kirchlicher Sexualmoral?

Zur Ausstellung sind bei Hirmer ein Katalog und ein zugehöriger Essay-Band (215 Seiten) erschienen. Die anspruchsvollen Essays gruppieren sich um Theologie, Sexualität, historische Beiträge, Kunst und Kunstgeschichte sowie um zeitgenössische Fragen. Im Katalog werden die bei diesem Verlag wieder in hervorragender Qualität gedruckten Bilder erläutert und vorgestellt. Das umfangreiche Verzeichnis von Anmerkungen und Literatur erleichtert die Orientierung.
 
 

Essayband
Verdammte Lust! Kirche Körper Kunst
© 2023 Hirmer Verlag, 435 Seiten (Katalogband anläßlich der Ausstellung Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst im Diözesanmuseum Freising)
Herausgegeben von Carmen Roll, Christoph Kürzeder, Steffen Mensch und Marc-Aeilko Aris

Autoren: Leo Andergassen, Giovanna Accardo, Raffaella Besta, Piero Boccardo, Fernanda Capobianco, Lidia Carrion, Ghislaine Courtet, Rosanna Ferrari, Luca Fiorentino, Giuliana Forti, Cristina Gnoni Mavarelli, Roland Götz, Elisabeth Hipp, Anna-Laura de la Iglesia y Nikolaus, Paolo Jorio Christoph Kürzeder, Ruth Langenberg, Letizia Lodi, Mauro Lucco, Luca Nicola Manzo, Margherita Melani, Steffen Mensch, Guido Messling, Francesco de Monaco, Alessandro Nesi, Antonella Nesi, Veruska Picchiarelli, Margherita Priarone, Maria Silvia Proni, Alberto Rocca, Carmen Roll, Stefan Roller, Marion Ruisinger, Nina Schuster, Björn Seewald, Virginie Spenlé, Andreas Tacke, Pietro Tondello, Matthias Weniger
ISBN 978-7774-3604-3 (Katalogband, 49,90 €), ISBN 978-7774-3604-1 (Essayband, 39,90 €), ISBN 978-7774-3604-4 Paket Katalog- und Essayband)

Weitere Informationen: www.hirmerverlag.de