Zeitlupenwende

Wehretat: Pistorius will mehr als zwei Prozent

von Lothar Leuschen​

Foto © Anna Schwartz
Zeitlupenwende
 
Wehretat: Pistorius will mehr als zwei Prozent
 
Von Lothar Leuschen​
 
Diesmal scheint Olaf Scholz tatsächlich recht zu behalten. „Wer Führung bestellt, bekommt Führung“, hatte der Kanzler zu Beginn seiner ersten Amtszeit Zweiflern an seinem eigenen Auftreten entgegengehalten, doch seit seiner Zeitenwende-Rede am 27. Februar des vergangenen Jahres ist dieser Eindruck nicht durchgehend entstanden. Umso bemerkenswerter sind die ersten Wochen von Boris Pistorius (SPD) als Verteidigungsminister. Klare Ansagen, klare Aussagen, klare Positionierung. Nicht nur innerhalb der Bundeswehr nimmt jeder wahr, daß nach Jahren des Darbens nun wieder einer an der politischen Spitze der Truppe steht, der Führung so definiert, wie sie gemeinhin verstanden wird. Diesem Minister ist auch abzunehmen, daß er es ernst meint mit Panzer-Lieferzusagen an die Ukraine und daß er den Bündnispartnern tatsächlich sagt, was er von deren Zögern hält. Pistorius zögert nicht. Er positioniert sich eindeutig gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht, regt gleichzeitig aber die Debatte über eine Dienstpflicht in sicherheitsrelevanten Organisationen wie etwa auch dem Katastrophenschutz an. Die Botschaften des ehemaligen Innenministers von Niedersachsen sind sowohl nach außen wie nach innen unmißverständlich. Das mit der Nato vereinbarte Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung zu investieren, nennt er Untergrenze, sich diesem Ziel nur annähern zu wollen, das werde nicht reichen.​
 
Damit setzt der Verteidigungsminister mittelbar auch seinen Bundeskanzler unter Druck. Denn nach dessen beachtlicher Rede über die Zeitenwende ist in Sachen Verteidigung nicht viel geschehen. Die versprochenen 100 Milliarden zusätzlichen Euro für die Bundeswehr liegen weitestgehend noch auf dem Konto des Finanzministeriums, und das Zwei-Prozent-Ziel wird Deutschland in den nächsten Jahren auch weiter verfehlen.  Pistorius erweckt bisher nicht den Eindruck, das widerspruchslos hinnehmen zu wollen. Mit dessen Wahl als Bundesverteidigungsminister hat Kanzler Scholz sich und sein Kabinett also vor eine Herausforderung gestellt. Sie besagt, daß es jetzt Zeit wird für die Zeitenwende. Sonst besteht die Gefahr, daß sie als Zeitlupenwende in die Annalen eingeht.​
 

Der Kommentar erschien am 16. Februar 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.