Sommerstunden des Lebens (13)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens


Coraidelstein, im März

Michael, Du wirst Dich über die Länge meiner Schreiberei wundem, wo Du im allgemeinen ziemlich knapp ge­halten wirst, aber diese Blätter .entdeckte ich und fügte sie gestern zusammen; erst waren es nur Bruchstücke von verschiedenen, zer­fledderten Skizzen, nun sind es kleine Loblieder auf die Früchte geworden. Wieviel Leitern habe ich angelegt an fruchtbeladene Bäume und bin hinaufgeklommen mit leerem Korb und hungrigem Magen, um beide zu füllen. - ­Birnen, Äpfel, Pflaumen, - lachende Pfirsiche, deren Saft mir am Kinn herabtropft, Kirschen glänzen wie Edelsteine in der Sonne! - Weite Rundschau genieße ich von der Spitze des Baumes am Berghang, vom Laub umrahmt und im Wind in den Zweigen wiegend. –
Viele Bäume habe ich ohne Leitern erklettert und ihnen einen Teil ihres Überflusses geraubt, nicht immer mit der Erlaubnis der Besitzer, aber gerade darum waren die Früchte so süß. -
Wie gut kann ich die Eva verstehn, die die verbotenen essen muß­te, wenn man auch nicht aus dem Paradies dafür verjagt werden möchte und ein Leben voll Mühsal darum tragen wollte. – O, ihr Früchte, ­- wie spannend ist so ein heimlicher Raub in der Dämmerung. - ­Weißt Du noch? - Wir biegen des Abends von einem Seitenweg in die Kirschengasse ein, eigentlich müde und nur nach einem Zeltplatz suchend.
 
Wie schnell sind wir von den Rädern und mitten im saftigen, Rot! - Die Straße liegt zwischen den
Hügeln, und es ist still, kein Mensch und kein Haus im Umkreis; ein Baum scheint beladener als der andere, wir essen, soviel wir können, - es ist keine Lücke zu sehen. - Danach lauschen wir dem Gesang der Wiesen­schnarre und blicken hinab auf das kleine, rotgoldene Auge des Sees, in dem wir morgens baden, während der ,Schäfer und seine Herde sich oben auf den Hügeln gegen den Himmel abhebt. –­ Wir reiten über die gelben Stoppeln, Wind im Haar, - Deines hat die Farbe des Kornes, wenn die Sonne darauf glänzt; dicht nebeneinander jagen wir im Galopp über die Felder. Du sitzt ausgezeichnet im Sattel, und die Freude der Bewegung ergreift uns beide. – Zurück traben wir auf einem Feldweg, brechen uns im Reiten die roten Äpfel von den Bäumen, sie krachen ordentlich, wenn wir hineinbeißen ; - die aus den Hosentaschen bekommen die Pferde vorm Stall, die Stute ist gerade tragend und naschhaft wie eine junge Frau. -



Folgen Sie unserer jungen Freundin am kommenden Sonntag weiter durch ihre "Sommerstunden des Lebens"!

Der Merkur-Verlag existiert nicht mehr. Die Autorin ist nicht zu ermitteln. Wir haben alle zur Verfügung stehenden Quellen befragt und konnten doch niemanden finden, der uns hätte Auskunft geben können. Sollten Sie einen Hinweis auf die Autorin oder Rechteinhaber für uns haben, bitten wir um Nachricht. Illustrationen: Gisela von Baum