Mit Kanonen auf Spatzen

Eiszeit zwischen den USA und China

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Mit Kanonen auf Spatzen
 
Eiszeit zwischen den USA und China
 
Von Lothar Leuschen​
 
Die Rituale sind alt wie Methusalem. Und sie sind so sinnlos wie ein Kühlschrank am Nordpol. Aber sie werden immer noch bemüht, weil Politiker und Regierungen die wirklich drängendsten Herausforderungen immer noch nicht als solche erkennen. Jüngstes Beispiel dafür ist der fast schon pubertär anmutende Konflikt um einen chinesischen Ballon über US-amerikanischem Hoheitsgebiet. Selbstverständlich haben die Chinesen den Ballon losgeschickt, um die USA und den Westen ein bißchen zu provozieren. Dabei ist es sogar egal, ob der Ballon Wetterdaten einsammeln sollte oder Fotos von militärischen Anlagen der USA. Beides ist den Chinesen garantiert auch ohne Ballon bestens bekannt. Und die USA wissen, dass die Chinesen das wissen. Alles andere wäre auch ein Mißtrauensvotum gegen die jeweiligen Geheimdienste. Daß die Chinesen den Ballon dennoch geschickt und die USA ihn letztlich über dem Meer abgeschossen haben, ist deshalb auch nichts anderes als Säbelrasselei. Nancy Pelosi lotete vor ein paar Monaten mit ihrem Besuch in Taiwan aus, wie weit die USA im Einsatz für die freie Inselrepublik vor Chinas Küste gehen können, nun haben die Chinesen getestet, was sich die USA bieten lassen.​
 
All das wäre kaum der Rede wert, säße die Welt mittlerweile nicht wieder einmal auf einem Pulverfaß. Zuweilen macht es den Eindruck, daß ein Husten reicht, damit irgendwer seine Truppen und seine Raketen in Bewegung setzt. Dabei wäre die lächerliche Ballon-Affäre eine gute Gelegenheit gewesen, statt einer Rakete das Signal zu senden, daß Gesprächsbereitschaft vorhanden ist - über das Verhältnis der USA zu China und umgekehrt, über die Frage, wie ein in jeder Hinsicht schädlicher Krieg in Europa beendet werden kann, über Klimaschutz-, Welternährungs- und Handelsfragen und darüber natürlich, daß Taiwan ein freies Land bleiben muß. Stattdessen läßt sich ein schwacher US-Präsident von der Opposition zum militärischen Handeln nötigen, weil sein chinesisches Pendant seine Fehler in der Corona-Bekämpfung mit außenpolitischen Machtspielchen zu übertünchen versucht. Also zielen Kanonen auf Spatzen - ohne Rücksicht auf Verluste.​
 

Der Kommentar erschien am 7. Februar 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.