Mitgliederschwund

von Hanns Dieter Hüsch

© Paul Maaßen
Mitgliederschwund

Sagen Sie mal
Vielleicht kennen Sie das ja auch
Was macht man wenn man an einem „Mitgliederschwund“ leidet
Also nicht daß Sie jetzt meinen
Das wär was Unanständiges
Und ich würde daran leiden
Nein son Mitgliederschwund das ist so:
Wenn man in einem Verein ist
Sagen wir mal in einem Gesangverein
Und auf einmal treten die Mitglieder wie aus heiterem Himmel
Aus dem Verein aus
Also einige
Aber immerhin genug daß die Tenöre sich Sorgen machen müssen
Und die Baritöne oder Baritone dumm aus der Wäsche gucken
Und die Bässe nur noch von einem
Der sowieso tief im Keller sitzt
Vertreten werden das ist dann der Mitgliederschwund
Da kann der Verein noch so schön „Eintracht“ oder „Harmonie“
Oder „Sangeslust“ oder „Frohsinn“ heißen
Die Leute sind des Liederschatzes überdrüssig
Oder wie man heut sagt sie sind liedverdrossen
Und gehen nach Haus und singen in der Badewanne
Ich mein das ist ja alles nicht so schlimm und auch meistens
Vorübergehend
Tenöre wachsen bei uns reihenweise nach
Und Bässe werden auch von Zeit zu Zeit in die Welt gesetzt
Denn der deutsche Sänger ist noch nie ausgestorben
Und davon ging ja auch die Welt nicht unter.
Wenn es sich dann doch um etwas mehr als einen
Gesangverein dreht
Wird die Sache schon brenzliger
Zum Beispiel wenn aus der Kirche die Gläubiger
Verzeihung die Gläubigen massenhaft austreten
Dann ist der Frohsinn und die Harmonie
Die sind dann doch ziemlich im Eimer
Denn das hat ja mit Metaphysik zu tun
Und die wächst ja so schnell nicht nach
Und das wissen ja die Bischöfe am besten
Ich mein son Tenor den kann man wirklich notfalls
Punktuell ersetzen
Oder sich beim Nachbarverein ausleihen aber sone Metaphysik
Und überhaupt die ganze Religion
Das ist ja was Innerliches
Und wenn das futsch ist
Verzeihung ich muß darüber so weltlich sprechen
Denn die katholische Kirche geht jetzt oder will jetzt
Mit diesem Problem in diesem Jahr genauso weltlich umgehen
Und zwar
Die haben Angst daß immer noch mehr aus der Kirche austreten
Und um das zu stoppen
Wird jetzt
Weil da geht es ja auch um Einschaltquoten
Wird jetzt eine Werbekampagne für drei Millionen Mark gemacht
In Limburg in Trier und in Mainz und in Speyer
Denn da sollet ja am schlimmsten sein
Also da sollen schon viele innerlich nicht mehr unter den
Schäfchen sein
Äußerlich aber noch in der Kirche
Und um dem vorzubeugen also daß das äußerliche Schaf jetzt
Nicht auch noch ganz davonläuft
Deswegen sagt man ja auch schwarze Schafe
Soll jetzt diese große Werbeaktion mit Plakaten gemacht werden
Auf einem Plakat soll zum Beispiel draufstehen:
„Ich hätte mich nie an die Kirche gewandt
Bis Claudia sich von mir trennte“
Ja und die PR-Strategie sieht dann noch
Professionelle Motivationsschulung für Priester
Und kirchliche Mitarbeiter vor
Also ich weiß nicht ich weiß nicht wie wir Rheinländer sagen
Was der Jesus dazu gesagt hätte oder sagt:
Macht mal so weiter dann könnt ihr eure Kirche bald zu machen
Denn siehe
Wer innerlich schon so weit weg ist
Der kann auch äußerlich nicht mehr heimgesucht werden
Dat hab ich jetzt gesagt.

Hanns Dieter Hüsch

 


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte dankenswerterweise Paul Maaßen zur Verfügung.