Keine Frage der Statistik

Frauen verdienen 17 Prozent weniger

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Keine Frage der Statistik
 
Frauen verdienen 17 Prozent weniger
 
Von Lothar Leuschen
 
Auf den ersten Blick ist ein Skandal, was das Landesamt für Statistik am Montag veröffentlicht hat. Demnach verdienten Frauen in Nordrhein-Westfalen auch im vergangenen Jahr durchschnittlich immer noch 17 Prozent weniger als Männer. Das klingt  sehr ungerecht und anachronistisch.​
Bei näherer Betrachtung könnte der Pulsschlag des Gerechtigkeitsfanatikers allerdings wieder auf „normal“ sinken. Denn die Statistiker relativieren ihre Angaben unter anderem damit, dass Frauen traditionell eher in Berufen arbeiten, in denen ohnehin weniger verdient wird, außerdem sind sie viel häufiger in Teilzeit beschäftigt als Männer, was Auswirkungen auf das Einkommen hat. Also alles gut?​
 
Natürlich nicht. Allein der Hinweis auf das Phänomen Teilzeit sollte den Puls wieder beschleunigen. Denn dahinter verbirgt sich, daß es auch im Jahr 2023 in aller Regel immer noch Aufgabe der Frau ist, die Kinder zu betreuen, während der Mann in der Hauptsache für das Familieneinkommen sorgt. Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden, es ist eine Angelegenheit der Eltern, den Staat geht das nichts an.​
Dennoch könnte der sich konstruktiv einmischen. Denn in Deutschland wird Familienarbeit schlecht bezahlt. Hier ein paar Freibeträge, dort ein inzwischen auf 250 Euro pro Monat gestiegenes Kindergeld, mehr nicht. Das bedeutet, daß Mütter oder Väter Erziehungsarbeit für einen Stundenlohn leisten, der diese Bezeichnung gar nicht verdient.​
 
Dabei ist Erziehung, ist die Begleitung von Kindern in das Erwachsenen- und Berufsleben eine Leistung, die gar nicht überbewertet werden kann. Was an Wirtschaftskraft, Steueraufkommen und Einsparungen im Sozialhaushalt durch gute Elternarbeit erreicht werden kann, verdient auch finanziell mehr Respekt.​
Wenn der Staat sich Elternarbeit mehr kosten ließe, wären Eltern, vor allem Frauen, weniger benachteiligt und schlösse sich die Lücke im Sinne von Einkommensgerechtigkeit ein wenig schneller. Für den Rest sorgt längst schon eine Generation junger Frauen, die sich Ungleichbehandlung nicht mehr bieten läßt.​
 

Der Kommentar erschien am 31. Januar 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.