Prima la Musica

Janowski und die anderen

von Jörg Aufenanger

Marek Janowski 2016 - Foto © Ermell / Wikimedia Commons

Prima la Musica
 
Janowski und die anderen
 
In Wuppertal geboren ist er nicht, sondern am 18.2.1939 in Warschau, aber aufgewachsen ist Marek Janowski in Elberfeld in der Familie seiner Mutter. Kindheit und frühe Jugend hat er dort verbracht, was bis heute nicht zu überhören ist, wenn er über Musik spricht, in jenem breiten rheinisch gefärbten Wuppertal Sound.
 
Vor wenigen Wochen hat Marek Janowski als Chef der Dresdener Philharmoniiker wieder einmal Richard Wagners gesamten „Ring des Nibelungen“ aufgeführt, und zwar konzertant und vom Deutschlandradio übertragen, wie er es zehn Jahre zuvor schon in der Berliner Philharmonie gemacht hat. Denn „prima la musica“ heißt seine von ihm selbst so genannte Devise. „Zuerst die Musik.“
2016 hatte Janowski in Bayreuth das Festspielorchester geleitet in jener legendären sowohl umstrittenen als auch bejubelten Ring Inszenierung von Frank Castorf. Seitdem hat er sich von der Bühne zurückgezogen und Opern nur noch konzertant aufgeführt, so auch in Berlin gar alle großen Musikdramen Wagners.
In Polen also geboren, hatte seine Mutter nach Kriegsbeginn 1939 ihren Mann und das Land verlassen müssen und war zu ihrer Familie nach Elberfeld zurückgekehrt, sodaß der Sohn ohne Vater aufgewachsen ist. Man lebte am Ostersbaum, der junge Mark besuchte die Rudolf-Steiner-Schule, spielte Klavier und Violine, die auch im Schulorchester. Doch er wurde nicht Geigenvirtuose, sondern entschied sich für das Kapellmeisterstudium an der Kölner Musikhochschule bei Wolfgang Sawallisch, pendelte täglich zwischen Wuppertal und Köln, da er sich ein Zimmer dort nicht leisten konnte.
1973 wurde er Generalmusikdirektor in Freiburg, danach für zwei Jahre in Dortmund, dirigierte hier und dort, machte 1984 den Sprung nach Paris, wurde Chef des Orchestre Philharmonique de Radio France und machte in sechzehn Jahr aus einem eher mittelmäßigen Ensemble ein europäisches Spitzenorchester.
Unerbittlich und kompromißlos arbeitete er überaus präzise mit den Musikern an einem unverwechselbaren, optimal ausgefeiltem Klang, sodaß man ihn wegen der quasi diktatorischen Strenge auch einen Napoleon der Musik nannte. In Paris brachte er mit dem „Parsifal“ natürlich auch Wagner zur Aufführung, machte dazu das Pariser Publikum mit dem deutschen Repertoire des 19. Jahrhunderts bekannt, Beethoven, Schubert, Bruckner bis zu Richard Strauss. Zudem interpretierte er französische Komponisten etwa Florent Schmidt, Henri Poulenc, Camille Saint-Saëns, Vincent d'Igny, Albert Roussel, Claude Debussy, Ernest Chausson, Gabriel Fauré, aber auch Henri Dutilleux und Olivier Messiaen, so mit dessen „Turangalila“ Sinfonie.
Parallel zu Paris war Janowski auch Dirigent des Kölner Gürzenichorchesters und des Orchestre de la Suisse Romande, dann noch der Dresdner Staatskapelle, mit der er den „Ring des Nibelungen“ auf die Bühne gebracht hatte, auf CD immer noch als ein Highlight in Janowkis Discographie nachzuhören. Er war nun international gefragt als Gastdirigent an der New Yorker Met und bei den Wiener Philharmonikern, wurde zu einem Star der weltweiten Musikszene, indes ohne jene Starallüren, wie sie etwa Karajan oder Celibidache auslebten. In Paris würdigte 2011 ein TV-Film sein musikalisches Schaffen, kurz zuvor war mit „Atmen mit dem Orchester“ (Schott Verlag) ein Buch über sein Künstlerleben erschienen.
Trotz seines internationalen Wirkens kehrte Janowski auch einige Male in die Heimatstadt Wuppertal zurück, 1984 mit seinem Pariser Orchester, 2008 mit dem von Pittsburgh, dem er auch als Chefdirigent diente. Er brachte in der Elberfelder Stadthalle aber nicht Wagner, den er neben Beethoven besonders verehrte, sondern das 3. Klavierkonzert Beethovens und Schuberts große Sinfonie zur Aufführung.
 

Erich Kleiber, Bundesarchiv
Wagner hatte ein einstiger Wuppertaler Kapellmeister schon 1921 im Barmer Opernhaus erklingen lassen, Erich Kleiber, der seit zwei Jahren das städtische Orchester leitete, indem er den gesamten „Ring“ auf die Bühne brachte. Kleiber sollte in 1920er Jahren in Berlin zu einem der größten Operndirigenten seiner Zeit werden.
Ein anderer Kapellmeister, der am Barmer Opernhaus tätig war,, hatte indes wenig Sinn für Wagner, Franz Allers. Der gebürtige Böhme war der Operettendirektor des Hauses. Doch 1933 wurde er entlassen, da er jüdischer Abstammung war. Er emigrierte in die die USA und wurde dort ein erfolgreicher Musical-Dirigent.
 
Zwei weitere große Dirigenten des 20. Jahrhunderts waren gebürtige Elberfelder: Hans Knappertsbusch und Günter Wand. Der erste wurde am 12. März 1888 als Sohn eines begüterten Fabrikanten geboren. Der kleine

H. Knappertsbusch, Wikimedia
Knappertsbusch soll schon im Alter von zwölf Jahren das Schulorchester geleitet haben und wollte unbedingt Dirigent werden, was er, wenn auch gegen den Widerstand des Vaters auch wurde. Ab 1913 war er kurzzeitig Kapellmeister am Barmer Opernhaus, 1914 bracht er erstmals einen Wagner zur Aufführung und zwar bei den holländischen Wagnerfestspielen, den „Parsifal“. 1922 wurde er musikalischer Leiter der Münchener Staatsoper, dirigierte dort nicht nur Wagner, sondern auch Richard Strauss. 1935 fiel er aber bei dem Wagnerenthusiasten Hitler in Ungnade, denn für ihn dirigierte er dessen Opern zu langsam und nicht schmissig heldenhhaft genug. Goebbels schrieb in sein Tagebuch: „Knapperstbusch muß weg.“ Und der ging weg, nach Wien an die Staatsoper.
1951 ging seine große Sehnsucht endlich in Erfüllung. In Bayreuth: „Der Ring des Nibelungen“. Aber die Zusammenarbeit mit Wieland Wagner war nicht problemlos. Der „Kna“ wie er von seinen Verehrern kurz und knapp nur genannt wurde, war ein schwieriger Mensch, ein Elberfelder Dickkopp. Ein nur begrenztes Wagnerleben war ihm gegönnt, er starb im Alter von 77 Jahren, galt aber als der Wagnerinterpret seiner Zeit.
 
Günter Wand, geboren am 7. Januar 1912, war ein völlig anderer Elberfelder. Und kein Wagnerianer, seine umfangreiche

© Hoffman und Campe
Discographie weist nur einmal Wagner aus: In einer Compilation, das „Bacchanal“ und „Venusberg“ aus dem „Tannhäuser.“
Wands Repertoire war vor allem das sinfonische Werk Mozarts, Beethovens, Schuberts, Brahms und vor allem Bruckners. Doch wandte er sich auch einer gemäßigten Moderne zu, Werken von Strawinsky, Fortner, Ligeti und Bernd Alois Zimmermann. Dessen frühe Kompositionen wie „Sinfonia prosodica (1946) und „Burleske Kantate“ auf Goethes Worte (1948) brachte er in Köln
zur Uraufführung. Es entstand eine Freundschaft zwischen dem Komponisten und seinem Interpreten, die indes jäh zerbrach, als Zimmermann seine Oper „Die Soldaten“ an der Kölner Oper gespielt sehen wollte. Wand hielt die Partitur für unspielbar, was den Komponisten tief kränkte. Michael Gielen übernahm und machte aus der Uraufführung 1965 eines der spektakulärsten Ereignisse im Musiktheater des 20. Jahrhunderts.  Wand wurde 1982 Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters, zudem zeitweise auch des BBC-Klangkörpers und zog sich zurück auf das Repertoire der deutschen Klassik und Romantik, galt als der kongeniale Interpret Bruckners.
 
Marek Janowskis Repertoire ist ebenfalls von der deutschen Musik des neunzehnten Jahrhunderts geprägt, anders als bei Wand aber mit dem Zusatz Wagner. Und doch ist er kein zweiter „Kna“ gewesen.
2002 wurde Janowski Chef des DSO, des deutschen Sinfonieorchesters Berlin, machte es in wenigen Jahren zu einem deutschen Spitzenorchester. Alle zehn großen Wagneropern gab er 2012/13 mit ihm konzertant in der Berliner Philharmonie, einschließlich des „Ring“. Es war ein Ereignis, das ich zeitweise miterleben konnte. Doch auch der zeitgenössischen Musik widmete er sich, der einer gemäßigten Moderne, mit Krenek, Lutoslawski. K.A. Hartmann und vor allem Hans Werner Henze, dessen Sinfonien er aufführte und auf CD verewigte.
Die Musiker des DSO dankten ihm das Engagement für ihr Orchester, trugen ihm das Chefdirigat auf Lebenszeit an, doch Janowski lehnte ab, verließ sein Orchester und ging nach Dresden, wo er Chef der Philharmoniker wurde und unter anderem kürzlich erneut den „Ring“ konzertant aufführte. 2022/23 ist nun aber seine letzte Saison in Dresden. Eröffnet hatte er sie mit Anton Bruckners unvollendeter neunten Sinfonie und Alban Bergs Kammerkonzert. Beenden wird er sie im kommenden Frühjahr mit der neunten Sinfonie von Hans Werner Henze und Anton Bruckners fünfter Sinfonie.
Und was wird danach sein? Den Taktstock wird Marek Janowski nicht beiseite legen. Denn „Prima la Musca“ ist und bleibt Lebensmotto und Elexier. Sempre la Musica!
 
 
© 2022 Jörg Aufenanger für die Musenblätter