Isolde, „die Tochter des Kolosses“

Eva Rieger – „Isolde – Richard Wagners Tochter: Eine unversöhnliche Familiengeschichte“

von Johannes Vesper

Isolde, „die Tochter des Kolosses“

Verfall einer legendären Familie
 
Von Johannes Vesper
 
Es handelt sich nicht um die Biografie der ältesten und Lieblingstochter Richard Wagners sondern laut Titel um die unversöhnliche Geschichte seiner Familie, nachdem er sich in die Tochter Franz Liszts verliebt, sie mehrfach geschwängert als sie noch mit dem großen Dirigenten Hans von Bülow verheiratet war, und endlich geheiratet hat. Das Buch ist weniger musikhistorisch sondern eher gesellschaftshistorisch interessant. Während Cosima (1837-1930) selbstbestimmt und emanzipiert ihr langes Leben führt, während Tochter Isolde (1865-1919) ohne Beruf sich dem bestimmenden Einfluß ihrer Mutter nicht entziehend konnte. Cosima hat nach Richard Wagners Tod 1883 die Bayreuther Festspiele nicht nur vor dem Untergang gerettet, sondern als Kennerin und Regisseurin auch erheblichen Einfluß auf die Wagnerrezeption genommen. Richard selbst wußte zu Lebzeiten schon, was er an ihr an ihr hatte, wenn er schrieb: „So sind die Frauen. Sie können alles. Die Männer nichts“. Sie, die vor der üblen Unterordnung ihre Familie unter die ideologischen wie finanziellen Interessen des Familienunternehmens „Richard Wagner“ nicht zurückschreckte, kann zweifellos als eine hochgradig emanzipierte Frau, vielleicht sogar als Feministin bezeichnet werden. Ihrer ältesten Tochter Isolde dagegen, großbürgerlich erzogen und aufgewachsen, weitgereist, ist es trotz glänzender Verhältnisse in ihrer Jugend nicht gelungen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Eva Rieger behandelt beide als Beispiele für gelungene wie gescheiterte Gleichberechtigung und Emanzipation der Frau.
 
Die Geschichte Richard Wagners und seiner Frauen ist immer wieder interessant. Cosima hatte er erstmalig 1853 - da war sie 15 - bei einem Familienbesuch gesehen, aber sich für den Backfisch nicht weiter interessiert. Mathilde Wesendonck interessierte ihn damals mehr. Bevor Cosima 1864 seine Geliebte wurde, befand er sich bezüglich seiner Libido „in der Lage eines Ertrinkenden“, ihm „fehlte ein weibliches Wesen“, schrieb er, besuchte noch einmal seine herzkranke Frau Minna in Dresden (Sie starb 1866), zog im November 1862 mit der lockeren Friederike Meyer nach Wien, verliebte sich dort in eine Metzgerstochter - Seraphine Mauro, seine Flamme zwei Jahre zuvor hatte er längst vergessen – traf im November die ernsthafte Notartochter Mathilde Maier in Karlsruhe, besuchte zum letzten Mal Wesendoncks in Zürich, fuhr anschließend auf Einladung von Hans von Bülow nach Berlin. Während der Dirigent die Uraufführung seiner Orchesterballade „Des Sängers Fluch“ probte, unternahmen Cosima und Richard, die sich von etlichen Besuchen her schon kannten, eine Kutschfahrt durch Berlin und gaben sich erstmalig Liebesschwüre. In den Folgetagen schrieb Richard innige Briefe an seinen „besten Schatz“ Mathilde Maier wie auch an seine Mätresse Maria Völkl in Wien, eine andere Tochter des gleichen Metzgers einige Monate zuvor. Eine „ geistig erfüllende Partnerin für Richard sei sie nicht gewesen“, schreibt die feministisch interessierte Autorin der Biografie. Nach seiner Flucht aus Wien am 23.3.1864, also ca. ein Jahr später hatte Ludwig II. die Wiener Schulden bezahlt und eine Villa am Starnberger See für Richard gemietet, der in Torschlußpanik nahezu gleichzeitig Cosima und ihre Familie wie auch Mathilde Maier dorthin einlud, um den Haushalt zu führen. Cosima kam zuerst, zunächst nur mit ihren Töchtern, und Mathilde wurde abgesagt. Schnell kam es „in der Woche der Zweisamkeit zur sexuellen Vereinigung“ mit Richard, wie die Hausangestellte berichtet hat, und neun Monate später wurde Isolde geboren. Das sich anschließende, wirklich pikante Dreiecksverhältnis Cosimas mit ihren beiden Männern in Tribschen kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. In der Villa bei Luzern am Vierwaldstätter See wuchs Isolde sorglos großbürgerlich auf. Die Familie besuchte die Fastnacht, den Jahrmarkt, Kasperletheater. Geburtstage wurden theatralisch in Verkleidung gefeiert. Und natürlich gab es für die Kinder ein eigenes Pferd namens Grane, damit sozusagen das vorweggenommene Roß Brünhildes aus der Götterdämmerung, welches beim Weltuntergang eigens besungen wird („Grane, mein Roß“).

Die unbefangene Jugend der Schwestern Eva und Isolde endet, als 1869 ein Sohn, der Stammhalter Siegfried, geboren wurde. Dafür bedankt sich Cosima bei der Weltseele und Richard komponierte das „Siegfried Idyll“. Nach dieser Geburt endlich willigt Hans von Bülow in die Scheidung, die das Stadtgericht Berlin „wegen böslicher Verlassung seitens der Ehefrau“ im Juli 1870 vollzog. In der Scheidungsurkunde sind vier Kinder genannt: Daniela und Blandine als echte sowie Isolde und Eva als gesetzliche Kinder Hans von Bülows, die in Wahrheit aber von Richard gezeugt worden waren. Siegfried wird erst nach vollzogener Scheidung in Luzern auf den Namen Siegfried Helferich Wagner getauft. Damit ist die unversöhnliche Familientragödie vorgezeichnet, die ihren Höhepunkt im Prozeß von 1914 fand, mit dem Isolde ihre Abstammung von Richard Wagner gesetzlich feststellen lassen wollte. Dabei ging es um Geld, Erbe und Ehre für Isolde, die bis zu ihrer Trennung von Wahnfried auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen schien. Die innerfamiliäre Konkurrenz ihres Mannes Franz Beidler, des in Europa von Manchester und Moskau über Barcelona bis nach Lissabon höchst erfolgreichen Wagnerdirigenten zu dem „würdelosem Reise- und Gigerl Dirigenten“ Siegfried Wagner, der unermüdlich von Cosima gestützt wurde, führte zu zunehmenden Spannungen. Familiäre Bindung „sonder Wahn und Weh“ war nicht mehr möglich, auch weil Isoldes Schwager, der Ehemann von Schwester Eva, der einflußreiche, rechtsradikale Houston Stewart Chamberlain den Familienstreit zusätzlich beförderte. So starb Isolde, die auch Malerin oder Kostümbildnerin hätte werden können, der aber ihre emotionale Befreiung von der weit rechtskonservativen Cosima nicht gelungen ist, 1919, fünf Jahre nach dem Prozeß, infolge dessen Richard Wagners Lieblingstochter und ältester Enkel nicht mehr zur Familie gehörten.
 
Diese kaputte Familiengeschichte der Wagners, geschrieben anhand der Biographie Isoldes, ist unterhaltsam zu lesen, bietet Einsichten in den rechtsradikalen, antisemitischen deutschen Geist Bayreuths, welchen Cosima und Siegfried bis hin zum Nationalsozialismus maßgeblich befördert und bestimmt haben. Als authentische Quellen werden viele Briefe der Familie und Freunde Wagners präsentiert (Quellenangaben als Fußnoten). Allerdings fließen hin und wieder auch nicht belegte Vermutungen in den Text ein.
Auf 26 Seiten illustrieren Schwarz/Weiß-Bilder (teilweise ohne Datumsangabe) die Geschichte. Am Ende finden sich eine Stammtafel zu den Familien Franz Liszt und Richard Wagner sowie ein Literatur- und ein Abkürzungsverzeichnis samt einem Personenregister.
Die Autorin Eva Rieger, geboren 1949, wurde 1976 an der TU-Berlin mit einer Arbeit zur Schulmusikerziehung in der DDR promoviert. Sie veröffentlicht seitdem immer wieder zur Sozial- und Kulturgeschichte der Frau, zu Feminismus in der Musik und zu Genderfragen. Von 1990-2000 war sie als Professorin an der Universität Bremen tätig.
 
Eva Rieger – „Isolde – Richard Wagners Tochter: Eine unversöhnliche Familiengeschichte
© 2022 Insel Verlag, 354 Seiten, gebunden, 26 Seiten Schwarz/Weiß-Bilder – ISBN:  978-3-458-64292-3
26,- €
 
Weitere Informationen:  www.suhrkamp.de/verlage/insel-verlag