Die Schönheit ist der Götter erste Gunst

„Gerd Rattei – Das aktfotografische Werk“

von Frank Becker

Die Schönheit ist der Götter erste Gunst
 
Zum Lebenswerk des Fotografen Gerd Rattei
 
Von Frank Becker
 
„Das Bedürfnis nach Schönheit und nach der sie gestaltenden schöpferischen
Betätigung gehört untrennbar zum Menschen, und ohne Schönheit
wollte der Mensch vielleicht gar nicht leben.“
Fjodor Michailowitsch Dostojewski
 
Wer wollte sich ernsthaft der Erkenntnis widersetzen, daß Frauen nun einmal weit schöner und interessanter sind als Männer, durch die Form und Ästhetik ihrer Weiblichkeit folglich auch das attraktivere Objekt für das Objektiv des Künstlers, zumal des Fotografen. „Die Schönheit ist der Götter erste Gunst“ hat Wilhelm August von Schlegel es in eine einfache und ungemein zutreffende Formel gefaßt – die Frau, der jene Gunst der Götter zuteil wurde, abzubilden, ist seit jeher Ziel von Künstlern.
 
Den weiblichen Akt ins rechte Bild zu rücken, klassisch mit Licht und Schatten zu arbeiten, experimentell mit Natur und Interieur zu spielen, um auf ihren Bildern, ihren Kunstwerken festzuhalten, was sie an der Schönheit ihres Modells inspiriert hat, treibt Zeichner, Maler und Fotografen seit jeher an. In der Fotografie ob ihrer optisch realistischen Wiedergabe oft mit einem Tabu belegt und unter dem Ladentisch bzw. im „Giftschrank“ der Buchhandlungen aufbewahrt, brauchte die Aktdarstellung im Lichtbild eine offene Bühne. Die fand sie in beachtlicher Offenheit und Öffentlichkeit in der DDR, während sie im Westen Deutschlands in den 1950er und 60ern noch allzu oft in eine Schmuddelecke gedrückt wurde.
 
Im sozialistischen deutschen Staat entwickelte sich früh, verstärkt ab Mitte der 1960er Jahre - auch als Nische persönlicher Freiheit und inspiriert von der sich durchsetzenden, staatlich geduldeten FKK-Bewegung - eine Szene, in der Berufsfotografen, aber auch Autodidakten begannen, Beachtliches auf dem Gebiet der ästhetischen Aktfotografie zu leisten. Weit ab von kommerziellem Interesse, allein der Schönheit und dem Wunsch, diese für die Ewigkeit im Bild festzuhalten gewidmet und anders als in der benachbarten Bundesrepublik, in der Aktfotografie schnell kommerzialisiert war und ihre Unschuld verlor, blieb dieser Teil der Fotografie in der DDR bis zur Wende 1989 tatsächlich im wesentlichen die dem Schönen und den Schönen zugewandte zärtliche, gerne auch dokumentarische und oft sogar humorvoll augenzwinkernde Betrachtung schöner Frauen.
 

Foto © Gerd Rattei

In der Riege der längst anerkannten Aktfotografen der DDR spielt Gerd Rattei, Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, eine zentrale Rolle. Er gehört zu den Pionieren dieses Genres in der DDR, das vom Publikum teils auch wegen seines unpolitischen Charakters hoch geschätzt wurde und das sich über gut besuchte Ausstellungen und begehrte Zeitschriften wie „Das Magazin“ oder die Foto-Zeitschriften „FOTOGRAFIE“ und „Fotokino magazin“ rasch ausbreitete. Mit der Pentacon Six Mittelformat 6 x 6 mit Rollfilm und der Praktica Kleinbildkamera hielt er auf ORWO Filmmaterial im Studio, in Wohnungen, an verzauberten urbanen Orten und in der ungestörten Natur, ob am Meer oder in Wald und Feld für die Ewigkeit fest, was die Schöpfung über all den zauberhaften Damen mit dem Füllhorn der Schönheit großzügig ausgeschüttet hatte. Im Wettbewerb mit ähnlich produktiven Aktfotografen seiner Zeit – der Verlag Bild und Heimat hat in seiner beliebten Fotoreihe ja schon einige von ihnen vorgestellt – hatte Gerd Rattei durch die Poesie und den Ideenreichtum seiner Bilder einen ausgezeichneten Stand. Natürlich war es damals Aufgabe des engagierten Fotografen, nach dem Druck auf den Auslöser in Handarbeit auch die nächsten handwerklichen Schritte zu machen: Entwickeln, bewerten, bearbeiten, vergrößern und auf das klassische, heute selten gewordene gute Barytpapier abziehen.
 
Seit den frühen 1960er Jahren hat Gerd Rattei bis heute, also bald sechzig Jahre, mit Poesie und mit Humor, mit liebevollem, aber durchaus auch schwelgerischem Blick, vor allem aber mit großem Respekt bildschöne Frauen, zuckersüße und auch kesse Mädchen und besonders blutvolle Weiblichkeit im Foto festgehalten. Gerd Ratteis fotografische Tableaus, seine mal spielerisch wirkenden, mal romantisch inszenierten, sanft erotischen und stets ästhetischen Bilder sind eine Verneigung vor der Schönheit, eine Hommage an jedes einzelne der in jugendlicher Frische funkelnden oder im sanften Schimmer der Reife leuchtenden Modelle.
 

Foto © Gerd Rattei

Die erste Hälfte seiner äußerst produktiven Fotokarriere fand in der DDR statt, in der politisch ereignisreichen Zeit der deutschen Teilung und der relativen Ruhe des sogenannten real existierenden Sozialismus, als der gelernte Plakatmaler am Arbeitsplatz seine Leidenschaft fürs Fotografieren zum Beruf machen konnte. Als technischer Fotograf bei der Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft der DDR (DEWAG) für die Gestaltung von Werbung mit Arbeit am „toten Objekt“ ausgebildet - zum Beispiel der Fotografie von edlen Gläsern -, entdeckte er sehr bald eine ebenso ästhetische, aber weit heiterere, lebendigere Seite der Fotografie: Wenn er nämlich seine Objektive auf die Schönheit der Natur und noch mehr auf die des Menschen richten konnte. Nun wissen wir alle, auch die Damen unter uns, daß im Gesicht einer Frau, in der Gestalt des weiblichen Körpers unendlich viel mehr Facetten der Schönheit zu entdecken sind als im männlichen. Wen also wundert´s, wenn Gerd Rattei mit sicherem Gespür und wachem Blick eben diese Schönheit suchte und bei seinen stets bezaubernden, oft genug hinreißend schönen Modellen auch fand.
 
Nach der politischen Neuordnung und der Öffnung der DDR in Richtung Westen, die auch neue technische Möglichkeiten bot, Rattei griff von nun an zur Nikon D 90, blieb er seiner Fotoleidenschaft wie seiner Motivwahl selbstverständlich treu – denn die Damen waren noch ebenso schön wie eh und je. Es kam ein wenig Farbe hinzu, die Modelle wurden etwas professioneller – hier kann jetzt jeder für sich entscheiden, ob ihm die Ungezwungenheit der frühen Jahre oder die technische Perfektion um die Jahrtausendwende mehr behagt. Was aber in jeden Fall blieb, war und ist der schwelgerische Blick auf SIE.
 

Foto © Gerd Rattei

Viele junge Frauen von damals bekennen heute - ich zitiere A.O. -, daß sie sehr gerne und ohne jedes Honorar von einem der republikweit bekannten Fotografen – und Gerd Rattei war ein solcher – fotografiert werden wollten um ihr Bild in den oben erwähnten Foto-Magazinen oder in Ausstellungen veröffentlicht zu sehen. Man war nicht im Geringsten verklemmt, sondern stolz auf sich selbst und die eigene körperliche, auch erotische Ausstrahlung. Das zeigt sich denn auch stets und immer wieder im Ausdruck der Fotos, die Gerd Rattei mit Feingefühl und sicherem Blick geschossen hat.
 
Was Gerd Rattei und seine Freunde und Kollegen der DDR-Fotoszene mit ihren Bildern ausdrückten, beschrieb Ernst Stadler in diesen Zeilen:
 
Die Jünglinge und das Mädchen
 
Was unsern Träumen Schönheit hieß, ward Leib in dir
Und holde Schwingung sanft gezogner Glieder
Im Schreiten, anders nicht als wie in einem Tier.
Doch unsre Sehnsucht sinkt zu deinen Füßen nieder,

Erhöhung stammelnd wie vor dem Altar,
Und daß dein Blick Erfüllung ihr befehle,
Was blind in deinem Körper Trieb und Odem war,
Das wurde staunend unserm Suchen Sinn und Seele.

Du ahnst nicht dieser Stunden Glück und Qual,
Da wir dein Bild in unsern Traum versenken -
Doch du bist Leben. Wir sind Schatten.
Deiner Schönheit Strahl
Muß, daß wir atmen, funkelnd erst uns tränken.
 
Nach drei schmaleren Büchern zum Werk Gerd Ratteis in den vergangenen Jahren liegt mit diesem ausführlichen Bildband nun eine würdige Retrospektive des meisterlichen Aktfotografen vor, dessen Name bis heute seinen guten Klang hat. Angesichts der behandelten beachtlichen Zeitspanne hat bestimmt manch ein Betrachter der ersten Bände vermutet, daß es doch sicher noch reichlich mehr Bildmaterial gibt, bedenkt man die vielen produktiven Jahre Gerd Ratteis. Genau so ist es, und dem wird mit diesem umfangreichen Band Rechnung getragen.
 

Foto © Gerd Rattei

„Dies Bildnis ist bezaubernd schön!“ läßt Wolfgang Amadeus Mozarts den Tamino angesichts der Pamina in seiner Oper Die Zauberflöte singen. Ich darf unumwunden zugeben, daß mir dieses treffliche Zitat beim Betrachten der Druckfahnen für dieses neue Buch und der vorherigen nicht nur einmal über die Lippen gegangen ist, denn reizende Paminas begegnen uns hier und dort in Fülle. Christian Dietrich Grabbe sagt es so: „Wo ich die Schönheit finde, schätz´ ich solche!“ – Und um es ebenso einfach wie eingangs Wilhelm August von Schlegel zu formulieren darf ich zum guten Schluß auch noch Georg Christoph Lichtenberg zitieren: „Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an!“

Gemeinsam mit seinen zuvor in der gleichen Publikationsreihe erschienen drei Bildbänden „Aktfotografie 1968-2015“, „Aktfotografie II 1965-2015“ und „Aktfotografie III 1963-2021“ liegt nun ein repräsentativer Überblick über Gerd Ratteis aktfotografisches Werk vor.
 

Foto © Gerd Rattei

„Gerd Rattei – Das aktfotografische Werk“
Die Retrospektive
© 2022 BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat, 192 Seiten, gebunden, 21 x 26 cm – ISBN: 978-3-95958-341-1
19,99 €
 
Weitere Informationen zum Buch:  www.bild-und-heimat.de