Das Matratzenmonster

von Erwin Grosche

Foto © Bernd Mueller
Das Matratzenmonster
 
Ich hatte alles in Gedanken durchgespielt. Jeden Schritt plante ich voraus. Man bekommt nicht jeden Tag eine Matratze geliefert. Filtertüten bekam man geliefert oder Duftkerzen, aber Matratzen? Das konnte mein ganzes Leben in Frage stellen. War ich bereit das Monster zu begrüßen, ohne mich lächerlich zu machen? Wer drückte einem schon eine Matratze in die Hand? Das ist ein Schwiegersohntest. Was würden die Nachbarn denken, wenn eine Matratze meine Durchfahrt blockierte? Ich hatte Platz geschaffen und meinen Wagen aus der Einfahrt gefahren. Ich hatte die Klingel angestellt und meine Mittagspause verschoben. Ich wollte da sein und fit sein. Vielleicht mußte ich beim Tragen helfen oder wenigstens die Tür aufhalten. Ich wußte schon in welcher Jacke ich Trinkgeld hatte und wollte in einem geeigneten Augenblick 10,- Euro aus der Innentasche ziehen und es den Anlieferern übergeben. Nun schaute ich regelmäßig aus dem Fenster und erwartete einen LKW, der von einem Mann in meine Einfahrt gewinkt würde. Wahrscheinlich würden zwei Männer aussteigen, die eine übergroße Matratze von der Ladefläche zogen, um sie neben meiner Haustür an die Wand zu lehnen. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie ich die Männer gebeten hätte, diese Matratze ins Gästezimmer zu tragen. „Das soll ihr Schaden nicht sein“, wollte ich sagen und ihnen 10,- Euro in die Hand drücken und ihnen vielleicht ein Bier anbieten oder einen Kaffee. Ich wartete also auf die Ankunft meiner neuen Betteinlage.
       Wenn der Hund nicht angeschlagen hätte, wäre alles noch mysteriöser gewesen. So wußte ich wenigstens, daß jemand da gewesen sein mußte, als ich diesen kleinen Karton vor der Haustür fand. Wo war meine Matratze geblieben? Was war in diesem Karton, groß wie eine Kuckucksuhr? Überraschender Weise stand auf ihm „Vorsicht Matratze“. Ich war gewarnt. Aber drinnen konnte unmöglich eine Matratze mit den Ausmaßen vom 1,40 X 2, 00 Metern sein. Beim Öffnen des Kartons stieß ich auf etwas, was in eine grobe Plastikfolie eingewickelt war. Sah so eine Einlage für Bettnässer aus? Hatte ich mich vertan und etwas falsches bestellt? Schlief man jetzt auf dünnem Eis und mußte zittern? Als ich die Plane vom Inhalt löste, empfing mich ein hämisches Seufzen, als hätte ich gegen seinen Willen wen geweckt. Ich trat einen Schritt zurück. Mir schlug das Strecken des Monsters entgegen, das vor meinen Augen aus seinem tausendjährigen Schlaf erwachte und wuchs. Der Inhalt des Kartons erhob sich vor meinen Augen, besetzte meinen Flur und drückte mich gegen den Gummibaum meiner Schwiegermutter. Immer mehr war zu erkennen, daß sich vor mir eine Matratze ausbreitete, eine Matratze in den Ausmaßen von 1,40 x 2, 00 Metern. Ich kreuzte meine Arme und hielt sie schützend vor mein Gesicht. Schließlich stützte ich die Matratze so ab, daß sie gegen das Holzgeländer meiner Treppe fiel und es einriß. Welch trojanisches Pferd hatte ich mir da aufgehalst? Konnte man nun Matratzen in Zigarettenschachteln transportieren und schlief der Elefant in einer Streichholzschachtel? Ich rief sofort Lydia an um ihr alles zu erzählen. Vielleicht konnte sie mir bestätigen, daß ich nur alt geworden war. Das würde alles erklären. Vielleicht hatte ich auch Glück und war einfach nur verrückt.
 

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