Der alte Mann und sein Hund (32)

von Erwin Grosche

Foto © Alfred Glupstra / pixabay

Der alte Mann und sein Hund
 
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Er traf sich mittwochs immer mit seinem Freund Alfred. Seit Wochen schien die Sonne auf die Paderstadt und lud die beiden Freunde zum Innehalten ein. Alfred und er gingen dann eine Runde um den Südring und schauten dem Hund beim Mäusefangen zu. Sie begannen am Pohlweg und landeten irgendwann auf ihrer Bank, die kurz vor einem Bilderstock an der Husener Straße zu finden war. Man hatte von hier einen wunderbaren Blick bis zum Golfplatz im Haxterpark und konnte im Rücken die Anfeuerungsrufe der Fans von Blau-Weiß Paderborn auf dem Monte Scherbelino hören. „Für diese herbstlichen Sonnentage muß man dankbar sein“, sagte der alte Mann und ließ seinen Hund von der Leine. Alfred, der fast auf der Bank eingeschlafen war, öffnete die Augen und nickte. „Stimmt“, sagte er, „aber man muß nicht für alles dankbar sein.“ Der alte Mann schaute Alfred an und setzte seine Sonnenbrille ab. „Ich laß mir zum Beispiel nicht gerne von Jugendlichen die Tür aufhalten“, sagte sein Freund weiter. „Ich muß mich dann immer so beeilen.“ Der alte Mann schaute auf einen Stromkasten, auf dem ein Graffiti gesprayt worden war. Sah man auf dem Stromkasten ein Gemälde von Eugen Drewermann? „Viele alte Menschen sagen nicht gerne „Danke“, wenn sie über die Straße geführt werden und das gar nicht wollen“, sagte er. Alfred lachte. „Das kenne ich. Warum soll ich mich bei meiner Nachbarin bedanken, wenn sie vor der Tür steht und mir einen Kuchen gebacken hat?  Der schmeckt ja gar nicht.“ Alfred redete sich in Rage. „Und dann muß ich ihr immer eine Stunde zuhören, in der sie mir lang und breit erzählt, wie sie den Kuchen gebacken hat. Wenn man dann die Zutaten hört, die sie dazu benutzt hat, ist einem schnell klar, warum der Kuchen nicht schmecken konnte.“ Der alte Mann setzte wieder die Sonnenbrille auf. Sie schlossen die Augen und genossen die Sonne. „Warum soll ich immer meiner Tochter „Danke“ sagen, wenn sie vorbei kommt und mich besucht?“, sagte der alte Mann plötzlich. „Sie denkt immer, daß ich mich allein fühle.“ „Und?“, fragte Alfred. „Fühlst du dich allein?“ Der alte Mann lachte. „Nein, ich habe doch meinen Hund.“ Er seufzte. „Ich vermisse nur manchmal meine Tochter“, sagte er. „Es ist immer so schön, wenn sie mich besucht.“ „Sag ihr das doch“, sagte Alfred. „Sag ihr, daß du dich freust, wenn sie kommt.“ Der alte Mann pfiff nach seinem Hund, der sich zu weit entfernt hatte. „Danke für den Tip“, sagte er. „Nicht dafür“, sagte sein Freund. Sie schauten sich an und waren dankbar, daß sie sich hatten. 

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