Tal-Brass: Kein Blechschaden!

Blechmusikalische Kammermusik à la bonheur

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

 

Tal-Brass: Kein Blechschaden!
 
160. Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal: 1.Kammerkonzert
 
Die Kammerkonzertreihe des Sinfonieorchester Wuppertal wird in der Spielzeit 2022/23 insgesamt sechs Konzerte bieten und damit montagabends die Gelegenheit, Orchestermusiker auch als Kammermusiker näher kennen zu lernen. Die Kammerkonzertreihe wird unterstützt von den Theaterfreunden sowie der Konzertgesellschaft Wuppertal.
Diese Reihe mit reiner Blechmusik zu eröffnen, weckt Neugier, spielte doch reine Blechmusik mit Signaltrompeten ursprünglich keine Rolle im Konzertsaal, eher beim Militär oder als Hornmusik auch bei den Jägern im grünen Wald. Zu blechmusikalischer Kammermusik rotteten sich jetzt sechs Blechbläser des Sinfonieorchesters zusammen. Ihr Programm begann mit einer sechsstimmigen Partita des überaus produktiven Coburger Hofkapellmeisters Melchior Franck (1579-1639), zu dessen Zeit die Fürsten bei Festlichkeiten mit ihren Bläsern renommierten. Zu welchem Anlaß diese Kompositionen entstanden sind, wissen wir nicht Aber der Konzertabend wurde damit festlich eröffnet. Akkordisch, madrigalartig rhythmisch pronunziert spielten zunächst die drei hohen Trompeten gegen die drei tiefen Bläser an, bis Trompetenfanfaren mit Echodynamik die musikalische Entwicklung dominierten. Das Ganze endete mit einer schnellen Gaillarde in flottem Dreier.

Samuel Scheidt war Oberaufseher und Director musices über Kirchenmusiker, „Stadtpfeifer und Kunstgeiger“ in Halle an der Saale, dort also für alles, was in der Stadt mit Musik zu tun hatte verantwortlich. In Preußen wurde daraus später der „Generalmusikdirektor“ (erstmals 1819 in Berlin). Scheidt liebte, wie viele damals sogenannte Schlachtmusiken, Programmmusiken, mit denen Kämpfe auf dem Schlachtfeld musikalisch tänzerisch nachvollzogen wurden, erzählte Hartmut Müller, der den Abend kenntnisreich wie unterhaltsam moderiert hat. Hochvirtuos begannen die beiden Trompeten ihren Kampf gegeneinander, begleitet vom Blechbläserquintett. Diese Tänze, darunter auch hier ein schneller Springtanz (Gagliarde) gehörte damals zu den Standardtänzen Europas. Die damalige Queen, die 1. Elizabeth, tanzte ihn begeistert. Nach dem schmerzvollen Adagio des 2. Satzes war im 3. Satz eine schnelle Fuge zu erleben mit virtuoser Tuba in der Tiefe. Blitzsauber, klangreich, ausdrucksvoll fesselte das Ensemble sein Publikum.
 

Purcell-Trio - Foto © Johannes Vesper

Henry Purcell in London ist der berühmteste Komponist Englands vor Händel. Obwohl nur 36 Jahre alt geworden, hinterließ der „Orpheus britannicus“ - er wurde tatsächlich so genannt - ein breites Oeuvre, darunter auch Kammermusik, vor allem 3-5 Stimmige Fantasien (ursprünglich für Streicher gesetzt). Seine Fantasia No. 1 wurde hier gespielt von Roberto de la Guía Martinez (Posaune), Karsten Hoffmann (Horn) und Hartmut Müller (Tuba), der daraufhin gewiesen hat, daß der Solo-Posaunist des Sinfonieorchesters Wuppertal (seit 2022) den 3. Preis beim internationalen ARD Wettbewerb 2022 in München während der Solohornist fast zeitgleich den 2. Preis beim internationalen Aeolus Wettbewerb dieses Jahres gewonnen hat. Die Fantasien Purcels können in ihrer komplizierten, kontrapunktischen Polyphonie als englisches Pendant zum „Musikalischen Opfer“ gesehen werden. Die freien, höchst anspruchsvollen und heiklen Trios schlichen sie sich nicht ohne weiteres in die Ohren.
Von London führte die musikalische Reise nach St. Petersburg, wo seit 1898 der in Sachsen geborene, in Deutschland und Ungarn ausgebildete Kornettist Oskar Böhme gewirkt hat. In St. Petersburg hielten sich um 1900 die besten Blechbläser ihrer Zeit auf. Sie wurden dort dank Unterstützung durch den Zaren besonders gefördert. Bei seinem Blechbläsersextett es-moll op 30, (ursprünglich mit Baryton, heute Abend stattdessen Tuba) konnten die Musiker ihr ganzes Können zeigen. Technisch höchst anspruchsvoll präsentierten hier die Blechbläser souverän wie wohlklingend ungebrochene sonore Spätromantik, die das spätere Schicksal des Komponisten nicht vorherahnen läßt. Er fiel dem Stalin-Terror zum Opfer und wurde 1938 erschossen.
 
Nach der Pause gab es das Bläser-Quintett Nr. 1 op. 5 von Victor Ewald, der sein Brot als Professor für Ingenieurwesen in St. Petersburg verdient hatte. Der füllige, jetzt stellenweise fast sinfonisch daherkommende Blechbläserklang schien die konzertante, direkte, laute Akustik des Mendelssohn-Saals fast zu überfordern. Heiligkeit des Blechs wie in hohen Kirchen stellte sich nicht ein. Nach flinkem Scherzo ging unter Jagdhornfanfaren der letzte Satz zu Ende.
Hartmut Müller führte sodann, souverän und humorvoll, zurück nach London zu dem berühmten Trompeter Malcolm Arnold, der in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts als Komponist dort große Erfolge zeitigte, u.a. erhielt er einen Oscar für eine seiner 132 Filmmusiken, nämlich für die „Brücke am Kwai“. Sein Quintett Nr. 1 Op. 73, versprach Hartmut Müller, sei ein Höhepunkt in der faszinierenden und tollen Welt der Blechmusik. Auch im 20. Jahrhundert streiten sich die Trompeten, jetzt rhythmisch vertrackt, jagen schnellstens, gestopft oder ungestopft hintereinander her. Im schrägen Adagio übernimmt rezitativartig die wichtige Posaune die Führung. Im schnellen letzten Satz endlich überschlagen sich die Auf- und Abwärtsglissandi, bringt ein melodisches Hornsolo nur zeitweise noch mal Ordnung ins Chaos. Dann ist Schluß und das Publikum begeistert. Für rote Nelken und stehende Ovationen bedankten sich die Musiker mit dem herrlichen Rag „That´sa plenty“, unsterblich seit fast 100 Jahren durch unzählige Einspielungen u.a. von Louis Armstrong. Damit ging, fetzig, jazzig, lässig, mitreißend gespielt, dieser außergewöhnliche Konzertabend zu Ende.


Foto © Johannes Vesper

Tal-Brass – 1. Kammerkonzert 2022
Markus Czieharz, Martin Dajka, Cyrill Sandoz (Trompete) - Roberto de la Guía Martíne (Posaune) - Karsten Hoffmann (Horn) - Hartmut Müller (Tuba und Moderation)
 
Programm:
Melchior Frankck (1579-1639): Partita zu sechs Stimmen: 1. Intrada I, 2. Intrada II, 3. Galliarde
Samuel Scheidt (1587 – 1654) Battle Suite: 1. Galliard La Battaglia, 2. Courant Dolorosa, 3. Canzon Bergamasque
Henry Purcel (1659 – 1695) Fantasia No.1 zu 3 Stimmen. Oskar Böhme (1870 – 1938)
Blechbläsersextett es-Moll op. 30: 1. Adagio – Allegro, 2. Scherzo, 3. Andante cantabile
4. Allegro con spirito
- Pause –
Victor Ewald (1860 – 1935), Brass Quintet Nr. 1 op.5
1. Moderato, 2. Adagio – Allegro vivace, 3. Allegro moderato. Malcolm Arnold (1921 – 2006) Quintett Nr. 1 op. 73, 1. Allegro vivace, 2. Chaconne 3. Con brio