Späte Rache

Katrine Engberg – „Wintersonne“

von Frank Becker

Späte Rache
 
Keine Idylle auf Bornholm
 
Es kommt der Tag,
da will die Säge sägen.
(Adolf Winkelmann)
 
In Katrine Engebergs neuem Krimi „Wintersonne“ treffen wir das bewährte Personal aus „Krokodilwächter“, „Blutmond“ und „Glasflügel“ wieder, wenn auch in etwas anderer Konstellation und überwiegend an einem anderen Ort. Denn nicht nur die Spuren des Falles einer in einem alten Koffer in Kopenhagen gefundenen der Länge nach halbierten und verwesten Leiche führen nach Bornholm. Anette Werner muß diesen mysteriösen Mord ohne ihren Kollegen Jeppe Kørner aufklären, denn der hat sich für den Winter eine Auszeit genommen, um, na klar, auf Bornholm als Holzfäller wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Und wie es der von Katrine Engberg eingefädelt Zufall will, hat es auch Jeppe Kørners alte Freundin, die Krimi-Autorin Esther de Laurenti auf Dänemarks östlichen Außenposten verschlagen, wo sie an der Biographie der verstorbenen Anthropologin Margarethe Dybris arbeiten will und nebenbei den Verlust ihres Freundes und Kopenhagener Mitbewohners Gregers Hermansen überwinden möchte. Aus dem Kopenhagen-Krimi wird also im Handumdrehen ein Bronholm-Krimi, denn Anette Werner fährt natürlich selbst auf die sturmumtoste Insel, um die Spuren aufzunehmen. Als Nikolaj, der Bruder von Esthers Gastgeberin Ida Dybris verschwindet, wird auch Jeppe Kørner – einmal Bulle, immer Bulle –, anfangs widerwillig, dann mit dem alten Feuer in die Ermittlungen hineingezogen.
 
Das Konstrukt des Romans, der sich aus verschiedenen Bornholmer Handlungsfäden der Vergangenheit und Gegenwart, den Kopenhagener Mordermittlungen sowie Briefen von Margarethe Dybris entwickelt, ist zwar ein wenig kompliziert angelegt, zieht den Leser aber gekonnt ins vielschichtige Geschehen hinein. Die persönlichen Geschichten der Protagonisten kommen nicht zu kurz, vor allem Anette Werner, Jeppe Kørner, Esther de Laurenti und die flinke Bornholmer Polizistin Ditte Vollmer (eine gute Figur, von der man gerne mehr lesen möchte) bekommen Kontur. Aber auch die vielen anderen Charaktere des personalreichen Romans sind hervorragend gezeichnet.
Als auch die zweite Hälfte der Leiche in Kopenhagen in einem weiteren Koffer entdeckt wird und Nikolaj Dybris verschwunden bleibt, weisen alle Indizien auf ihn als Opfer hin. Doch wer sollte hinter dem äußerst grausam ausgeführten Mord stehen und wieso?
Katrine Engberg hält die Spannung hoch, wenn sie auch zum auf verschiedenen Ebenen höchst dramatischen Schluß wiederum allzusehr die Zusammenhänge und Geschehnisse und Zusammenhänge konstruiert. Und auch warum der Roman im dänischen Original Isola heißt wird erst am Ende offenbar. Aber das alles verrate ich hier nicht. Nur soviel: Jeppe und Sara finden wieder zusammen, aber das war die ganze Zeit abzusehen.
 
Katrine Engberg – „Wintersonne“
Der Kopenhagen-Krimi (Originaltitel: Isola)
Übersetzung aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
© 2022 Diogenes Verlag AG, 430 Seiten, Ganzleinen, Schutzumschlag  -  ISBN-13: 9783257072044
22,- €
 
Weitere Informationen: www.diognes.ch